VW/Scania:Überrollt

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Nach der Scania-Übernahme durch VW muss MAN-Chef Samuelsson die Regie für eine große Lkw-Allianz endgültig abgeben.

Thomas Fromm

Am Tag, an dem in Stockholm die Übernahme des schwedischen Nutzfahrzeugherstellers Scania durch VW der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, ging es vor allem um den demonstrativen Austausch von Nettigkeiten. Für Börje Ekholm von der Wallenberg-Finanzgesellschaft Investor, die ihre Scania-Anteile an VW veräußert, war es "die beste Lösung für Scania". Scania-Boss Leif Östling, noch bis vor kurzem erklärter Gegner eines Verkaufs, begrüßte Volkswagen nun als "Mehrheitseigner". Und VW-Chef Martin Winterkorn sprach von Scania als einer "starken Premium-Marke mit einer aussichtsreichen Zukunft".

Nur einer war beim harmonischen Familientreffen in Schweden nicht eingeladen: Hakan Samuelsson, der Chef des Münchner Lkw- und Motorenkonzerns MAN, blieb zu Hause und schwieg. Ausgerechnet an dem Tag, der von Kommentatoren schon als möglicher Startschuss für die Lkw-Allianz aus MAN, Scania und Volkswagen ausgemacht wurde, hatte der Schwede nichts zu sagen. Ob Samuelsson vorab über den Coup seines Hauptaktionärs VW informiert war? In der Münchner Konzernzentrale weicht man aus. Natürlich hätten alle gewusst, dass es irgendwann so weit kommen und VW seinen Anteil von 38 Prozent aufstocken würde. Auch Lothar Pohlmann, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des MAN-Konzerns, hatte es seit langem erwartet. Aber als es dann am Montagvormittag geschah, sei er dann doch "überrascht" gewesen, sagte er der SZ. Immerhin ist Pohlmann im MAN-Aufsichtsrat der zweite Mann nach Chefkontrolleur Ferdinand Piëch. Und der gilt als derjenige, der hinter der Scania-Übernahme steht.

Mit der Scania-Übernahme durch VW ist Samuelsson das Drehbuch für die Gründung eines großen Lkw-Bündnisses endgültig aus der Hand gerissen worden. Dabei war er es, mit dem alles begann. Im September 2006 legte er ein Übernahmeangebot für seinen früheren Arbeitgeber Scania vor. Für rund 9,6 Milliarden Euro, so Samuelssons Kalkül, wollte er einen großen europäischen Nutzfahrzeugkonzern zusammenschmieden. Doch der Manager machte Fehler. Er unterschätzte den Widerstand der Schweden. "Ich bin überrascht, wie feindlich das in Schweden aufgenommen wurde", räumte er später ein. Er selbst habe sein Angebot nie als feindlich verstanden. Überrascht war er auch, als ihm dann VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch in die Parade fuhr. Samuelsson hatte im Sommer 2006 mit dem damaligen Chef des Scania-Großaktionärs VW, Bernd Pischetsrieder, gesprochen - und wähnte sich damit auf der sicheren Seite. Insider machten sich später über Samuelsson lustig. Dieser habe Piëch ignoriert und dabei die "Grundregeln der Deutschland AG" nicht beachtet.

Samuelsson erlitt einen schweren Dämpfer, blieb aber zumindest nach außen hin souverän und trieb seinen Konzern von einem Rekordergebnis zum nächsten. Allein im Jahr 2007 machte MAN 1,7 Milliarden Euro Gewinn. Hinter den Kulissen aber trieben andere das Projekt Lkw-Fusion weiter voran: Anstatt ihre Scania-Anteile an MAN zu verkaufen, drehten die Wolfsburger den Spieß um und kauften nun selbst MAN-Anteile. Inzwischen ist VW größter Einzelaktionär bei beiden Konzernen, Piëch sitzt als Aufsichtsratschef bei MAN fest im Sattel - und Samuelsson in der Falle.

Bisher lässt er sich nichts anmerken. Mit stoischer Ruhe kommentierte er in den vergangenen Monaten den Lauf der Dinge. Zuletzt betonte er immer wieder, er verfolge das Ziel technischer Kooperationen - zum Beispiel die Zusammenarbeit beim Bau gemeinsamer Achsen, die 2006 eingestellt wurde. Ihm sei an einer "einvernehmlichen Lösung auf Augenhöhe" gelegen. Wenn Samuelsson früher so etwas sagte, dann vor allem, um den Gegner zu beruhigen. Inzwischen klingt es wie der Versuch, sich selbst zu beruhigen.

Dass die Lkw-Allianz kommen wird, ist klar. Auch wenn VW erklärte, man wolle zunächst weitere Kooperationsmöglichkeiten austarieren. Nur wann, und wie sie aussehen wird, ist offen. Arbeitnehmer fürchten, dass der Mischkonzern MAN zerschlagen werden könnte. Das Lkw-Geschäft macht zurzeit nur 65 Prozent des MAN-Umsatzes aus - der Rest verteilt sich auf die Geschäftsgebiete Dieselmotoren, Turbomaschinen und Industriedienstleistungen. Im Arbeitnehmerlager sieht man die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. "Der Beginn einer Lkw-Allianz ist im Grunde ein gutes Zeichen, solange keine Zerschlagung von MAN geschieht", sagte der Vorsitzende des MAN-Gesamtbetriebsrates, Lothar Pohlmann, der Süddeutschen Zeitung. Aus Sicht der Arbeitnehmer sei eine "Zwei-Marken-Strategie" mit Scania und MAN ideal. Dafür könnte sprechen, dass es angeblich schon im vergangenen Jahr Absprachen zwischen Piëch und dem MAN-Betriebsrat gegeben haben soll. Piëch soll dabei versprochen haben, MAN nicht zu zerschlagen - im Gegenzug soll er sich die Zustimmung der Gewerkschafter für seine Wahl an die MAN-Aufsichtsratsspitze gesichert haben. Piëch und die Arbeitnehmer bestreiten dies.

In München hofft man nun, dass MAN als Konzern erhalten bleibt. Und verweist auf den 17. Oktober 2008, den Tag, an dem der Konzern bei einem Gala-abend in der Münchner Residenz seinen 250. Geburtstag feiert. "In so einem Jahr kann man unmöglich einen Traditionskonzern auseinandernehmen", heißt es in der Münchner Zentrale. Das ist eine Hoffnung, aber keine Garantie.

© SZ vom 04.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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