VW und der Abgas-Skandal:Schwarzer Montag

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Eigentlich wollte der Aufsichtsrat von VW in dieser Woche den Vertrag von Martin Winterkorn verlängern. Aber geht das jetzt noch?

Von Thomas Fromm, München

Am Montag wollte VW in New York seine neue Passat-Limousine vorstellen. Nur: Als man den Rock-Sänger Lenny Kravitz für den Abend anheuerte, wusste man in Wolfsburg noch nicht, was für ein Montag das werden würde - der Montag nach dem Wochenende, an dem bekannt wurde, dass Europas größter Autokonzern jahrelang die Abgasmessungen seiner Diesel-Fahrzeuge in den USA manipuliert hat.

An diesem Tag bricht vieles zusammen in der VW-Welt. Zuerst stoppt der Konzern den Verkauf von Diesel-Autos mit Vierzylindermotoren in den USA. Dann rauscht der Aktienkurs in die Tiefe und mit ihm auch die Aktien anderer Hersteller - Anleger haben Angst vor milliardenschweren Strafzahlungen und stoßen VW-Papiere ab. Ein Minus von knapp 23 Prozent, der größte Kurssturz seit Jahrzehnten.

16 Milliarden Euro innerhalb kurzer Zeit: verbrannt. Was da aber im Hintergrund brennt, kommt erst allmählich ans Tageslicht. Und es könnte den Konzern, Monate nach dem Machtkampf zwischen VW-Chef Martin Winterkorn und dem abgetretenen Aufsichtsratsboss und VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, noch einmal kräftig durchrütteln. Denn an diesem Freitag sollte der VW-Aufsichtsrat zusammenkommen, um eigentlich Winterkorns Vertrag bis Ende 2018 zu erneuern. Der Vertrag des 68-Jährigen läuft im kommenden Jahr aus. Schon am Mittwoch trifft sich das Präsidium des Aufsichtsrats in Wolfsburg zu einer Krisensitzung, um über die Lage zu beraten.

Doch nun gerät der VW-Boss wegen der Manipulation der Abgaswerte von fast einer halben Million Dieselfahrzeugen in den USA selbst unter Druck. Wenn, wie jetzt bei VW, Strafzahlungen in Milliardenhöhe, Rückrufkosten und Schadenersatzansprüche drohen, dann kommt irgendwann ganz automatisch die Frage: Wer hat es angeordnet, wer war eingebunden, wer hat etwas gewusst und seit wann?

Hinter vorgehaltener Hand sagen Insider: Eine Software, mit der Abgasmessungen manipuliert werden, dürfte in den Bereich der Motorenentwicklung fallen. Nur: Wie selbständig arbeiten hier die Ingenieure eigentlich? "Es kann jetzt nicht darum gehen, irgendwelche Bauernopfer zu suchen", heißt es aus dem Aufsichtsrat.

Im Auge des Sturms: Martin Winterkorn auf der Automesse IAA in Frankfurt. Der Skandal hat auch die Frage nach seiner Vertragsverlängerung aufgeworfen. (Foto: Odd Andersen/AFP)

Im Kontrollgremium mehren sich nach Informationen der Süddeutschen Zeitung daher die Zweifel daran, dass die Vertragspläne für Winterkorn unter den jetzigen Vorzeichen noch einzuhalten sind. "Es ist schwer, jemanden jetzt für weitere Jahre im Amt zu bestellen, wenn man noch nicht genau weiß, worum es bei dem Skandal geht", heißt es dort. Zunächst müsste man weitere Details wissen.

Die Sorge der Kontrolleure ist groß: Was, wenn man nun Winterkorns Vertrag verlängert - und später käme eine Mitverantwortung des Chefs ans Tageslicht?

Die Aufsichtsräte sind in der Bredouille. Liegt vorher kein Prüfbericht vor, können sie dem Chef nur schwer einen neuen Vertrag ausstellen - vertagen sie aber die Entscheidung, beschädigen sie ihren Chef, möglicherweise auch zu Unrecht. Die Lage ist vertrackt. Daher steigt der Druck auf den VW-Vorstand, schon bald eine Erklärung über die Vorfälle in den USA abzugeben. Am Sonntag teilte VW mit, man habe externe Prüfer beauftragt, die Vorgänge zu untersuchen. Doch was können die bis Freitag an brauchbaren, sicheren Erkenntnissen liefern? "Der Zeitablauf ist sehr knapp, da muss in den nächsten Tagen noch sehr viel passieren", heißt es aus Kreisen der Kontrolleure.

"Es ist schwer, jemanden im Amt zu bestellen, wenn man noch nicht genau weiß, worum es geht"

Viel Zeit haben Aufsichtsräte und Vorstand also nicht. Dafür sind die Verluste an der Börse zu dramatisch, dafür ist die Kritik der Öffentlichkeit zu groß. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) meint, der Begriff "Made in Germany" sei nach wie vor "weltweit ein Qualitätsbegriff" - er glaube nicht, "dass das ein dauerhafter und prinzipieller Schaden für die deutsche Industrie" sei. Die Angst vor einem Flächenbrand in der deutschen Auto-Industrie ist an diesem Montag mit Händen zu greifen.

Der VW-Aktienkurs legte einen der größten Abstürze der Dax-Geschichte hin. Grafik: SZ (Foto: s)

Ist VW ein Einzelfall? Oder sind sie nur die ersten, die ertappt wurden?

VW, der Konzern, der zehn Millionen Autos im Jahr verkauft und größer sein möchte als Toyota und General Motors, ist zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate in eine schwere Krise gerutscht. Im Frühjahr war es der damalige Aufsichtsratschef Piëch, der sagte, er sei "auf Distanz" zu Winterkorn. Ein Satz wie ein Fallbeil, doch es traf nicht. Am Ende versammelten sich Betriebsräte und Hauptaktionäre hinter Winterkorn. Piëch, der milliardenschwere VW-Miteigentümer, verlor den Machtkampf an der Spitze und musste abdanken. Viele meinen heute, dass er weiterhin hinter den Kulissen seine Fäden zieht.

Zum Beispiel im Fall Winterkorn: Eigentlich sollte der Manager an die Spitze des Aufsichtsrats wechseln und dort den Interims-Vorsitzenden Berthold Huber von der IG Metall ablösen. Dieser galt von Anfang an als Mann des Übergangs, da sich die Familienaktionäre auf keinen Kandidaten einigen konnten. Piëch soll diesen Plan vereitelt haben - und so soll es zu dieser Programmänderung gekommen sein: Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch soll in den Aufsichtsrat und Winterkorn macht den Vorstandschef bis weit über sein 70. Lebensjahr hinaus. Alles war so geplant. Aber jetzt stellt der Ärger in den USA alles in Frage.

Bernd Osterloh, der mächtige VW-Betriebsratschef, stärkte seinem Chef den Rücken. "Ich stehe zu Herrn Dr. Winterkorn", sagte er. Und: Sollte sich herausstellen, dass Winterkorn an dem Skandal beteiligt ist, werde dieser von alleine zurücktreten. VW heute, das ist auch die Arbeit von Winterkorn, der Anfang 2007 von Audi zu VW kam. In diesen Jahren hat er den Umsatz des Konzerns auf mehr als 200 Milliarden Euro verdoppelt. In einem Reich, das seit Jahren auf Expansion setzt und in dem die Macht auf wenige Männer verteilt ist, sind Nachfolgedebatten schwierig. Deshalb ist bislang offen, wer Winterkorn eines Tages nachfolgen könnte. Einer der Kandidaten ist der frühere BMW-Manager Herbert Diess, derzeit für die Kernmarke VW zuständig. Allerdings: Der ist erst seit Juli im VW-Konzern.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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