VW-Diesel-Affäre:Im Sündenpfuhl

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Mehr Öko geht nicht: Harms ist auch Expertin für Baumschulen. (Foto: imago)

Die Grünen-Politikerin Rebecca Harms besucht die Diesel-Betrüger von Volkswagen. Politischer Katastrophentourismus sozusagen.

Von Angelika Slavik, Wolfsburg

Rebecca Harms steht jetzt auf dem Bahnsteig, grauer Hosenanzug, blauer Mantel, flache Schuhe. Hinter ihr ragen die Türme der VW-Konzernzentrale in den Himmel. Monatelang hing außen an dem Gebäude ein riesiges Plakat, irgendwas von Zusammenhalt und Zukunft stand da drauf, eine Art überdimensionales Gnadengesuch. Heute ist es verschwunden, es hat ja ohnehin nicht viel genützt. Rebecca Harms ist trotzdem gekommen.

Harms, 59, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, ist viel unterwegs. Sie war in Fukushima, um die Schäden nach dem Reaktorunfall in Augenschein zu nehmen, sie war bei den Demonstrationen am Maidan in Kiew. Jetzt besichtigt sie den größten Industriebetrug der deutschen Nachkriegszeit. Politischer Katastrophentourismus sozusagen. Aber Harms sagt, sie mache sich eben gerne selbst ein Bild. Und gerade jetzt, wo der Untersuchungsausschuss zur Dieselaffäre endlich mit der Arbeit beginne könne, sei es sinnvoll, sich anzusehen, in welcher Lage das Unternehmen sich derzeit eigentlich befinde.

Gut fünf Stunden dauert das mit dem Sich-ein-Bild-Machen, und natürlich prallen da Welten aufeinander: Harms ist nicht nur eine Spitzenpolitikerin der Grünen. Sie ist auch noch ausgebildete Expertin für Baumschulen. Mehr öko geht nicht. Volkswagen dagegen hat Abgastests manipuliert, Behörden getäuscht, Kunden betrogen. Volkswagen hat Millionen Dreckschleudern als "sauberen Diesel" verkauft. Weniger öko geht nicht. Trotzdem findet Harms bemerkenswert warme Worte für dieses Unternehmen. VW sei von einzelnen Menschen im Konzern in eine ganz schwierige Lage gebracht worden, sagt sie. Nun spüre man natürlich eine "unglaubliche Spannung" im Unternehmen. "Es geht jetzt darum, diese Phase irgendwie zu überstehen."

Dass sich die Baumschulexpertin Harms so um die Zukunft von VW sorgt, kommt nicht von ungefähr. Harms stammt aus der Region, zehn Jahre lang war sie Abgeordnete im niedersächsischen Landtag. Sie weiß um die Bedeutung, die VW für das Land hat. Wenn VW hustet, hat Niedersachsen die Grippe, sagen sie hier gerne. Aber seit ein paar Monaten geht es ja hauptsächlich darum, wie viel auf der Welt eigentlich wegen VW gehustet wird.

Herbert Diess, der Markenvorstand von VW, habe ihr erklärt, dass diese Krise für das Unternehmen auch eine Chance darstellen könne. "Die könnten jetzt einen echten Quantensprung im Bereich der E-Mobilität machen", sagt Harms, und dass das doch alles "sehr gut" klinge. "Es ist ja nicht neu, dass in der Entwicklungsabteilung von VW sehr gute Leute arbeiten", sagt die Politikerin. "Es ist nur schade, dass sie die E-Mobilität nicht früher zum Mittelpunkt ihrer Arbeit machen durften." In anderen Ländern und anderen Konzernen sei man da weitaus früher dran gewesen. "Aber es geht ja jetzt darum, wie die Zukunft aussieht."

Wie die aussehen könnte, hat Harms an diesem Vormittag selbst getestet: Sie sei eines dieser "ganz modernen, futuristischen kleinen Autos" selbst auf der Teststrecke gefahren, erzählt sie. "Aber nicht ganz oben in dieser steilen Kurve, das nicht." Welches Auto das genau gewesen sei? An den Namen könne sie sich nicht mehr erinnern, aber: "Es war wirklich richtig toll."

Harms ist jetzt wieder auf dem Heimweg, sie reist mit dem Zug über Köln nach Brüssel. Zu Hause fährt sie übrigens einen alten Audi A2, einen Diesel. "Der ist so alt, der wurde noch vor den Manipulationen gebaut", sagt die Politikerin. "Aber was soll man machen? Die Dinger halten einfach ewig."

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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