VW-Affäre: Pischetsrieder und Stadler sagen aus:"Das schien mir völlig normal"

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Unterschiedlicher können zwei Zeugen kaum sein: Im VW-Prozess holt der ehemalige VW-Chef Pischetsrieder zum großen Schlag aus - und Audi-Chef Stadler übt sich in Diplomatie.

Hans Leyendecker

Genau wüsste wohl niemand zu sagen, wie einer auszusehen und vor allem zu sein hat, der in Wolfsburg unter Ferdinand Piëch als Vorstandsvorsitzender dauerhaft erfolgreich sein kann. Über das Gegenteil scheint eher Einigkeit möglich: So wie Bernd Pischetsrieder jedenfalls nicht. Fast fünf Jahre stand der Maschinenbau-Ingenieur an der Spitze des Volkswagen-Konzerns. Ende 2006 musste er gehen. "Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben", trat Aufsichtsratschef Piëch im Frühjahr 2007 auf der VW-Hauptversammlung übel nach.

Prominenter Zeuge: Der ehemalige VW-Konzernchef Bernd Pischetsrieder (rechts) sagte vor Gericht aus. (Foto: Foto: AP)

Je länger an diesem Dienstagvormittag in Braunschweig der Zeugenauftritt des 59-jährigen Pischetsrieder im Prozess gegen den früheren VW-Betriebsratschef Klaus Volkert und den ehemaligen VW-Abteilungsleiter Klaus-Joachim Gebauer dauert, desto stärker drängt sich der Eindruck auf, dass dem katholischen Bayern der bei VW gepflegte preußisch-protestantische Kadavergehorsam sehr fremd gewesen sein muss. Anders als andere Zeugen beruft sich Pischetsrieder nicht auf anonyme höhere Mächte, die irgendetwas auf den Weg gebracht haben. Er verkriecht sich nicht hinter der Fassade von Möglichkeiten.

Werbung für die eigene Sicht der Dinge

Eigentlich soll der Manager nur aussagen, ob und was er von den Lustreisen des VW-Gesamtbetriebsratsausschusses, den wilden Parties und den Sonderboni für den früheren Betriebsratsvorsitzenden Volkert gewusst hat. Aber Pischetsrieder holt aus. Er erklärt, er argumentiert, wirbt für seine Sicht. Der Mann mit den fast schwarzen Pupillen und dem bairisch eingefärbten Tonfall schmunzelt, er zeigt einen Kratzfuß an Lächeln. Wenn er über VW spricht, verwendet er die Wendung "meine Firma" oder "wir". Wenn er über BMW spricht, wo er 1973 als Fertigungsplaner begann und von Mai 1993 bis Februar 1999 Vorstandsvorsitzender war, spricht er von seiner "früheren Firma".

Ob er gewusst habe, dass der Betriebsratschef Volkert wie ein Markenvorstand oder wie ein Topmanager bezahlt worden sei, will die Vorsitzende Richterin Gerstin Dreyer wissen. "Mir war das bewusst", antwortet Pischetsrieder. "Das schien mir völlig normal." Um keine Unklarheiten aufkommen zu lassen: Nicht jeder Topmanager sei ein Markenvorstand, aber jeder Markenvorstand sei ein Topmanager.

Symbolische Ohrfeige für Peter Hartz

Wie viel denn ein Markenvorstand verdiene, will Volkerts Anwalt Johann Schwenn wissen. "Zwischen 250.000 bis 500.000 Euro, vielleicht 600.000 Euro Gesamtbezüge", antwortet Pischetsrieder. In seinem besten Jahr hat Volkert 692.000 Euro bekommen. "Es ist völlig klar, dass die Sanierung von VW ohne Herrn Volkert nicht möglich gewesen wäre", sagt Pischetsrieder. Die Angeklagten strahlen.

Den früheren Personalvorstand Peter Hartz hingegen watscht er durchgehend ab. Nein, Hartz habe ihn im Juni 2005, als die Affäre ins Rollen kam, nicht umfassend und ordentlich darüber informiert. Die interne Kostenstelle "1860", über die anonymisiert außerhalb der sonst üblichen VW-Regeln alle Ausgaben für die Triebbefriedigung der Herren Arbeitnehmervertreter verbucht worden waren, habe Hartz unterstanden. Er habe "keine Veranlassung gesehen", sich um Details zu kümmern. Noch mal: "Auf die Idee, mich mit einer Kostenstelle zu beschäftigen, bin ich in 35 Berufsjahren nicht gekommen.

Hartz, immer wieder Hartz. In diesem Prozess geht es unter anderem um einfache Organisationsfragen wie: Warum reichte eine einfache Unterschrift für großzügige Vertrauensspesen, wenn für alle Dinge des Lebens mindestens zwei Unterschriften notwendig waren? "Hierarchie korrigiert nur in Ausnahmefällen die Kompetenz", hatte Pischetsrieder nach Amtsantritt in einem 14-Punkte-Papier geschrieben. Bei VW habe es eine "Hierarchiegläubigkeit" gegeben, hat der frühere Finanzvorstand Jens Neumann vor einer Woche als Zeuge ausgesagt. Pischetsrieder scheint das fremd.

Rupert Stadler: Der Audi-Chef war früher Piëchs Büroleiter, jetzt kam er extra aus Detroit angeflogen, um vor Gericht auszusagen. (Foto: Foto: dpa)

Er variiert als Zeuge die Begriffe der Sachlichkeit und der Ordnung, er doziert über den Unterschied von Einzel- und Sammelbelegen, über die Aufgaben eines Sicherheitschefs bei VW, über das Betriebsverfassungsgesetz und macht in jeder seiner Ausführungen klar, dass er eine solche Regelung, wie sie bei VW praktiziert wurde, "bei Kenntnis nie geduldet hätte".

Er ist, was in diesem Prozess ungewöhnlich ist, ohne Rechtsbeistand nach Braunschweig gekommen und jeder, der geglaubt hat, der rausgeworfene Vorstandsvorsitzende werde irgendwie mit Piëch abrechnen, sah sich schon bei der Ankunft des Zeugen getäuscht. Der frühere BMW-Vorstandsvorsitzende und frühere Volkswagen-Chef fuhr mit einem Phaeton vor.

Schwieriger Start für neuen Chef

Piëch habe sich um solche Dinge wie die Bezahlung von Volkert oder die Kostenstellen nie gekümmert, erklärte Pischetsrieder. Design, Eigenschaften der Autos, Qualität der Fahrzeuge - das seien dessen Themen gewesen. Er sei da Piëch gar nicht so unähnlich.

Ähnlich wie der Patron ist auch er ein Autofan. Pischetsrieder, der mal einen 1,5 Millionen Mark teuren McLaren F1 in den Straßengraben gesetzt hat (Totalschaden), bezeichnet sich als "Petrolhead". Nur einmal lässt der Vorstandsvorsitzende a. D., der bis ins nächste Jahrzehnt von VW jährlich weiterhin 2,6 Millionen Euro Jahresgehalt bezieht, ein bisschen Distanz zu dem Patriarchen erkennen.

Der 70-jährige Piëch hatte vor einer Woche als Zeuge bedeutet, dass er 1993 VW in desaströsem Zustand vorgefunden und 2002 in bester Ordnung an Pischetsrieder übergeben habe. Pischetsrieder lässt ahnen, dass dieses Bild etwas oberflächlich ist.

Mit der "Produktpalette und den Kosten" beispielsweise habe es bei VW erhebliche Probleme gegeben. Je länger der Prozess dauert, um so mehr kommt bei den Zuschauern der Eindruck auf, dass jeder neue Vorstandsvorsitzende bei VW in schwerem Gelände beginnt.

Als sich der Mann mit dem König-Ludwig-Bart nach anderthalb Stunden verabschiedet, lächelt er immer noch.

Der zweite Zeuge an diesem Dienstag wirkt äußerst kontrolliert und sehr konzentriert. Ganze zwölf Minuten lang dauert der Auftritt des Audi-Chefs Rupert Stadler, der mit Münchner Rechtsbeistand und einem beachtlichen Tross kurz vor 13 Uhr in den Gerichtssaal einzieht.

Der erst 44-jährige Diplom-Betriebswirt, der eigens von der Automobilmesse in Detroit angereist ist, war von 1997 bis 2002 als Leiter des Generalsekretariats von Piëch eine Schlüsselfigur im VW-Machtapparat. Er soll Auskunft geben, ob ihm Piëch in diesem Zeitraum den Auftrag erteilt hat, die Vorgänge auf der Kostenstelle "1860" näher zu untersuchen. Wenn Piëch Kenntnis über den Selbstbedienungsladen in seinem Haus gehabt hätte, wäre er ein großes Stück mitverantwortlich gewesen für das wilde Treiben bei VW.

Die Spur zu Piëch hatte ein Außenstehender gelegt. Ein NDR-Journalist, der bei den Braunschweiger Staatsanwälten als zuverlässig gilt, hatte in zwei Gesprächen mit dem Pressestaatsanwalt Klaus Ziehe vor zwei Monaten von einem Mister X berichtet, der von drei Zeugen wisse, die angeblich Piëch belasten könnten. Der Informant wolle anonym bleiben, sei aber angeblich sachkundig. "Kümmere mich mal drum", habe Piëch angeblich seinem Bürochef Stadler mit Blick auf das Konto "1860" gesagt.

Spekulationen und Vermutungen

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hatte am 23. November 2007 die Vernehmung von Stadler sowie zwei weiterer Zeugen beantragt. Der Beweisantrag hatte in den Medien Spekulationen ausgelöst, Piëch stehe unter Druck, werde stark belastet und es gab Vermutungen, die Staatsanwälte hätten Dokumente oder Aktennotizen in der Hinterhand. Doch sie haben nicht mehr als die Aussage eines Journalisten, dessen Namen nicht genannt wird. Das ist sehr dünn.

Stadler sagt wie aufgezogen: "Ich persönlich habe keinen solchen Auftrag bekommen." Auch sei ihm nicht bekannt, dass Dritte eine solche Order erhalten hätten. "Es lag nicht in meinem Verantwortungsbereich." Auf die Frage des Verteidigers Wolfgang Kubicki, was denn ein Markenvorstand bei Audi "in etwa" verdiene, befindet der Zeuge: "Das gehört nicht hierher. Das würde ich auch der Presse nicht sagen."

Spekulationen und Vermutungen

Nun ist es in deutschen Gerichtssälen unüblich, dass Zeugen ungerügt über die Sinnhaftigkeit von Fragen befinden, aber es gibt in diesem Verfahren viele Merkwürdigkeiten. Nach Stadlers Abgang ist klar, dass der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft wie ein Soufflé zusammengefallen ist. Die Strafverfolger ziehen den Antrag zurück, den in Österreich lebenden dritten Zeugen, den sie benannt haben, noch nach Braunschweig zu bitten. "Das soll alles gewesen sein?", fragt Volkerts Anwalt Johann Schwenn etwas fassungslos.

Am Nachmittag ziehen sich die Prozessbeteiligten ohne die Angeklagten zu einer Beratung über den Stand des Verfahrens zurück. Einige der wesentlichen Vorwürfe der Anklage haben sich längst wie Zucker im Wasserglas aufgelöst.

Das Gericht wird am Mittwoch die Öffentlichkeit über das Ergebnis der Beratung informieren.

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