Volkswagen:Rückkehr der Techniker

Volkswagen will Toyota bis zum Jahr 2018 überholen und damit der größte Autokonzern der Welt werden. Anfang 2009 wird der neue Golf VI ausgeliefert.

Michael Kuntz

Das größte deutsche Industrieunternehmen ist Volkswagen bereits. In diesem Jahr rückte Europas führender Autohersteller an die Spitze, nachdem bei Siemens der Umsatz eingebrochen war und Daimler sich von Chrysler getrennt hat. Nun will VW bis zum Jahr 2018 den japanischen Konkurrenten Toyota überholen, den gleichauf mit General Motors größten Autokonzern.

Volkswagen

VW will bis zum Jahr 2018 der größte Autokonzern der Welt sein.

(Foto: Foto: dpa)

Doch Größe an sich schafft noch keinen Wert. Dies erfuhr VW leidvoll an seinem Klassiker Golf. Das aktuelle Modell kam bei seinem Start im Herbst 2003 nur durch Zugabe einer Klimaanlage ins Laufen. Erst seit zwei Jahren spült es einen kleinen Gewinn in die Kasse. Kurz vor ihrem Ende ist diese Generation Golf auf einmal so gefragt, dass im Sommer zusätzliche Werkstudenten eingestellt werden müssen, um in den Ferien und vor dem Modellwechsel noch einen Extraschwung alte Golf zu produzieren.

Mehr Geld als mit dem Grundmodell verdient VW an den weiteren Mitgliedern der Golf-Familie: Variant, Plus, Tiguan, Touran, Scirocco. Insgesamt allerdings war die Herstellung des aufwendig konstruierten Golf der fünften Generation lange Zeit zu kostspielig, um annähernd profitabel zu sein wie Toyota.

Das soll sich nun ändern mit dem Golf VI. Der wird den Motorjournalisten im September vorgestellt, auf dem Pariser Autosalon im Oktober seine Premiere haben. Ende des Jahres, spätestens Anfang 2009 kommt er zu den Kunden. Mit markanten Seitenlinien rollt das Auto wuchtiger, breiter auf die Straße. Dabei wirkt es höherwertiger als der aktuelle Golf.

Mehr für das selbe Geld

Dies ist ein Eindruck, der einerseits täuscht, andererseits aber auch stimmt. Denn wie alle anderen Autohersteller nutzt auch VW den Modellwechsel, um die ganze Veranstaltung deutlich wirtschaftlicher zu machen.

Die Steigerung der Produktivität lässt sich gut ablesen an der Zeit, die für die Herstellung eines Autos gebraucht wird. Das waren beim Golf vor drei Jahren um die 50 Stunden, das sind heute unter 30 Stunden. Es werden beim neuen Modell noch einmal 15 bis 20 Prozent weniger. Um Kosten zu senken, werden einerseits Teile neu entwickelt. Haltegriffe über den Türen im Innenraum werden nicht mehr angeschraubt, sondern eingeclipst. Der Schaltknüppel sieht besser aus, obwohl er statt 5,65 Euro nur noch 3,70 Euro kostet.

"Beim Design denken immer alle an die großen Linien eines Autos", sagt jemand, der viel davon versteht. Es sind die vielen Details, die den Erfolg bringen. Zum Beispiel ein Sitz: Durch anders zugeschnittenen Stoff und kürzere Nähte entsteht ein besser aussehendes und höherwertiges Produkt, das schneller herzustellen und dabei auch noch 13 Euro günstiger ist. "Mehr Wert ohne mehr Kosten", lautet die Devise.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie VW versucht, Kosten zu sparen.

Rückkehr der Techniker

Die größere Hälfte der Kosten holt VW durch einfachere Abläufe in den Fabriken, eine straffere Organisation und bei den Lieferanten herein. So soll für die geplante Fabrik in den USA ein Netzwerk von Zulieferern entstehen, das im Dollarraum einkauft - ohne Währungsrisiko.

Aus Unternehmenskreisen von VW ist zu hören, dass man deutlich stärker als bisher amerikanische Zulieferer zum Zuge kommen lassen will. Wegen der Krise der Autokonzerne aus Detroit verfügen sie über ungenutzte Kapazitäten. Im Übrigen sei die Qualität der amerikanischen Autozulieferer längst nicht so schlecht wie ihr Ruf. Ein gutes Lieferanten-Netzwerk in den USA ist für Volkswagen genauso wichtig wie die neue Fabrik.

Denn VW will im Jahr 2018 in Nordamerika 800000 Autos verkaufen, also drei Mal so viele wie heute. Davon soll das neue Werk 300000 herstellen, aus der vorhandenen Fabrik in Mexiko werden 375000 kommen. Mexiko soll 125000 Autos nach Europa liefern, die europäischen Werke eben so viele nach Nordamerika. "Die Wertschöpfung im Dollarraum muss größer werden", lautet die Vorgabe aus Wolfsburg.

Der nächste Golf kommt noch auf einer konventionellen Plattform - wie sein Vorgänger. Doch Volkswagen bereitet den nächsten Schritt vor. Statt einer technisch bei mehreren Automodellen einheitlichen Plattform mit verschiedenen übergestülpten Karosserien denkt man künftig in Modulen, die sich quer durch die Baureihen eines Autoherstellers einsetzen lassen.

So lässt sich eine im Grundsatz gleiche Klimaanlage durch Zusatzteile so verändern, das sie in einer Vielzahl verschiedener Autotypen eingesetzt werden kann. Ähnliches gilt für die Elektronik eines Autos. Solche Module werden künftig mehr als die Hälfte zum Wert beitragen. Es geht um enorme Mengen. Bereits im vergangenen Jahr stellte der Konzern 6,2 Millionen Autos her, es sollen bis 2010 mindestens 20 Prozent mehr werden.

Allein für die Golf-Familie kann VW nach Einführung des Baukastens mindestens jeweils 2,5 Millionen Module einkaufen. Die Produktion von exotischen Modellen wird so erst erschwinglich. "Standardisierung reduziert nicht die Flexibilität", rief VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch Aktienanalysten vergangene Woche in Frankfurt zu.

Neuer Jetta für Amerika

Auf einem geometrisch gleichen Hinterwagen lässt sich die schlichte Verbundlenkerachse wie auch die komfortable Mehrlenkerachse montieren - je nachdem, wofür sich der Käufer entscheidet.

Gegenwärtig wächst VW weltweit bei sieben Prozent mehr Autos mit der dreifachen Schlagzahl wie die Industrie im Durchschnitt. Das soll so weitergehen. Mit dem neuen Golf will VW die Hälfte des Weges zum Ziel einer deutlich zweistelligen Kapitalrendite im Jahr 2018 schaffen. Für die Hauptmarken VW Pkw, Audi und Skoda werden 21 Prozent angestrebt, im Durchschnitt soll das Autogeschäft 16,5 Prozent bringen.

Der Golf ist das erste Volumenmodell der Marke VW, in dem sich die Wachstumsstrategie widerspiegelt, die Martin Winterkorn nach seinem Amtsantritt als Konzernchef vor anderthalb Jahren angeschoben hat. Die Module aus dem Baukasten sollen bei der übernächsten Golf-Generation die Kosten noch einmal deutlich senken und auch beim Ertrag den Anschluss an Toyota bringen, erwarten Personen, die mit der Sache vertraut sind.

Bis zum Jahr 2010 kommen zu den 68 vorhandenen Modellen zwanzig Autos dazu. Darunter werden auch Fahrzeuge sein, die speziell für große ausländische Märkte wie Nordamerika und China entwickelt wurden. Eine neue klassische Limousine mit Stufenheck und Kofferraum steht als Jetta-Nachfolger für die USA in Wolfsburg startklar. Das Auto wird deutlich preiswerter sein als etwa der Passat in Amerika heute.

Das Motto "Mehr Wert ohne mehr Kosten" gilt in diesem Fall auch für die Autokäufer. Einer, der ziemlich intensiv mit dem Aufbruch bei Volkswagen zu tun hat, beschreibt das so: "Die Zeiten, in denen die Hochglanzfolien-Schreiber die Oberhand hatten, sind vorbei. Die Techniker haben wieder das Sagen."

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