Volkswagen:Gruß vom Informanten

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Im Verfahren gegen VW gehen viele Impulse von den Journalisten aus: Der Fall liefert reichlich Anschauungsunterricht, wenn in juristischen Seminaren über das Thema Strafverteidigung mit Hilfe von Medien diskutiert wird.

Hans Leyendecker

Am ersten Verhandlungstag des Prozesses gegen den früheren VW-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert und den einstigen VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer sprach in einer Pause ein Journalist des NDR den Braunschweiger Oberstaatsanwalt Klaus Ziehe an.

Ob die Staatsanwaltschaft sich bei ihren Ermittlungen mal um den früheren VW-Finanzvorstand Bruno Adelt gekümmert habe, wollte der Pressemann wissen. Der 48-jährige Strafverfolger, der Pressesprecher der Behörde ist, musste passen.

Anderntags meldete sich der Journalist telefonisch und berichtete, er stehe in Kontakt mit einem inzwischen pensionierten VW-Mitarbeiter, der angeblich Interessantes über Adelt und den Unternehmensführer Ferdinand Piëch zu erzählen habe.

Angeblich, so der Journalist, habe Adelt vor Jahren den damaligen Vorstandschef Piëch auf das Vorstandskonto 1860 angesprochen, weil er den Verdacht gehabt habe, dass mit dem Konto, über das auch die Lustreisen und andere Spezialitäten des Betriebsrates abgewickelt wurden, etwas nicht stimme.

Eine Schlacht der Verteidigung

Nach Darstellung des Informanten habe Piëch einen Vertrauten, den heutigen Audi-Chef Rupert Stadler, eingeschaltet, und der habe angeblich den Finanzmanager Rutbert Reisch "mit ins Boot genommen", um die wilden Bewegungen auf 1860 zu prüfen.

Die Unterhaltung mit dem NDR-Mann sollte sich sich in den Akten niederschlagen: Als Ziehe am 22. November über den Hinweis des Journalisten einen Vermerk schreiben wollte, rief er ihn an und ließ sich den Sachverhalt noch einmal genau erklären.

Der Journalist, notierte Ziehe, habe aus den ihm gegebenen Informationen "die Schlussfolgerung gezogen, dass möglicherweise der Vorstandsvorsitzende Piëch unmittelbar Verantwortlicher für das Konto 1860 gewesen sein könnte".

Er habe, schrieb Ziehe, den Journalisten gebeten, auf den Informanten "einzuwirken, sich den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung zu stellen".

Der Vorgang, der an diesem Montag in Braunschweig vor Gericht bekannt wurde, fand bundesweite Aufmerksamkeit: Die drei Ex-VW-Leute sollen nun für den Prozess als Zeugen geladen werden, Zeitungen titelten am Dienstag "Piëch unter Druck" und VW dementierte heftig, dass es eine solche Prüfung überhaupt gegeben habe.

Das Ereignis wirft aber vor allem Fragen über das Selbstverständnis von Journalisten, aber auch über das Verhältnis von Justiz und Medien in Strafverfahren und insbesondere in der VW-Affäre auf. Warum hat der Journalist keine eigenen Recherchen angestellt und dann das Ergebnis präsentiert? Auch Ziehe hat das den Tippgeber gefragt und auf Nachfrage erfahren, der scheue Informant gehe nicht vor das Mikrofon.

Dass Journalisten Hinweise an die Staatsanwaltschaften weiterleiten, ohne selbst zu recherchieren und dann im Fall des Falles exklusiv über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens berichten, gehört zum Medienbetrieb. Der Fall des NDR fällt allerdings etwas aus dem Rahmen, so wie die ganze VW-Affäre.

Im VW-Fall gebe es unter anderem die Besonderheit, so Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung, dass alle "wesentlichen Impulse in dem Verfahren von Medien" ausgegangen seien. Die Causa liefert reichlich Anschauungsunterricht, wenn in juristischen Seminaren über das Thema Strafverteidigung mit Hilfe von Medien diskutiert wird.

Gebauers Anwalt Wolfgang Kubicki hat sich in den vergangenen zwei Jahren, mit Akten und Spesenbelegen bewaffnet, in die Schlacht geworfen und durch Öffentlichkeitsarbeit Gebauer mehr oder weniger aus der Schusslinie geholt.

Dabei gab der in der Hierarchie unbedeutende ehemalige Personalmanager, der einen etwas zweifelhaften Ruf hatte, eigentlich die ideale Figur für die Rolle des Schurken ab: Einer muss es ja gewesen sein. Meist werden die Kleinen gewatscht, damit nicht über die Großen, die viel Ärger machen können, geredet werden muss.

Kubicki hat sehr offensiv verteidigt und dadurch nicht nur Volkert, sondern auch den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz sowie weitere hochrangige VW-Mitarbeiter stark belastet.

Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst um die Großen bei VW einen Bogen gemacht, und es dauerte auch ungewöhnlich lange, bis die Ermittler erstmals die Top-Etage des Autokonzerns heimsuchten. Kubicki, den mancher Staatsanwalt und auch mancher Journalist zunächst für einen Selbstdarsteller hielt, war für seinen Mandanten eine Art Retter.

Dass der Anwalt durch Aktenstudium auch die Spur der ungewöhnlichen Sonderboni für Volkert entdeckte, die Staatsanwaltschaft darauf ansprach und dann die Funde entsprechend kommentierte, gehört mit zu den Besonderheiten des Falles VW, der Kommunikationsforschern reichlich Material liefert.

Die Geschichte mit dem NDR-Journalisten, dem geheimnisvollen Informanten und dem Zwei-Seiten-Vermerk von Ziehe, der vor Gericht nicht verlesen wurde, liefert da nur einen Unterpunkt. Der NDR hat natürlich am Sonntag exklusiv über 1860 und die Zeugen berichtet. Als Ziehe meinte, so viel Öffentlichkeit sei "nicht sinnstiftend für das Verfahren", soll der Journalist geantwortet haben: "Wir haben nun mal unterschiedliche Interessen."

© SZ vom 28.11.2007/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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