Viviane Forrester:Heilige Johanna der Globalisierung

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Viviane Forrester kämpft gegen die "Diktatur des Profits".

Nikolaus Piper

(SZ vom 20.10.2001) Als im Januar das neue Buch von Viviane Forrester auf dem deutschen Markt erschien, überschrieb die FAZ ihre Rezension mit dem Aufschrei: "Wahnsinn ohne Methode". "Ahnungslos und polemisch" sei das Buch, hieß es in der SZ, und in der übrigen Presse war das Echo kaum anders.

Ökonomen, die sich mit dem Phänomen Viviane Forrester beschäftigen, schütteln in der Regel nur den Kopf: Eine Literaturkritikerin und Romanautorin schreibt Weltbestseller über die Globalisierung, dabei hat sie keine Ahnung von Wirtschaft und behauptet das auch gar nicht. Das Nichtwissen scheint ihre Leser nicht im mindesten zu stören.

Manche sprechen von ihr als einer "Jeanne d'Arc der Globalisierung". Die historische Johanna von Orleans hatte im hundertjährigen Krieg Frankreichs Widerstand gegen die englischen Eroberer mobilisiert, Viviane Forrester tut es ihr nach gegen die angelsächsisch geprägte Ökonomie. Vom Erfolg ihres ersten Buches 1996 war sie selbst völlig überrascht. Es hieß L'horreur économique, was die deutschen Übersetzer zum Terror der Ökonomie zuspitzten.

Es ist nicht einfach, eine zentrale These aus der atemlosen Polemik des Bestsellers zu destillieren. Vielleicht ist es die Aussage, dass eine "heimliche Bedrohung" über der Welt liegt und dass diese Bedrohung von den "Herren dieser Wirtschaft" ausgeht. Elend und Grausamkeit habe es schon immer gegeben, schreibt Forrester, noch nie aber seien diese "auf so kalte und fundamentale Weise bedrohlich" gewesen wie heute: "Zum ersten Mal ist die Masse der Menschen für die kleine Zahl derer, die über die Macht verfügen (...) materiell nicht mehr notwendig und wirtschaftlich erst recht nicht."

Die Verursacher der Bedrohung, die Wirtschaftsbosse, zeigten sich nach Erscheinen des Buches neugierig und luden die Autorin im Januar 1998 nach Davos zum Weltwirtschaftsforum ein. Es wurde ein ziemlich unspektakulärer Auftritt. Forrester, eine vornehme Dame, der man ihre 75 Jahre nicht ansieht, sprach auf Podien und bei offiziellen Abendessen zu Managern leise und zurückhaltend, erkennbar gehemmt durch ihr schlechtes Englisch. Ein Dialog zwischen den Herren der Globalisierung und der Kritikerin kam nicht zustande. Man redete aneinander vorbei, vermutlich, weil beide Seiten sich nicht verstanden.

Los der Ausgeschlossenen

Wieso begibt sich eine Frau, die zuvor Romane und Biographien von Virginia Woolf und Vincent van Gogh geschrieben hat, überhaupt auf das Feld der Ökonomie? Sie sei vom Los der exclus berührt gewesen, der Ausgeschlossenen aus der Gesellschaft, so berichtet sie: Sozialhilfeempfänger, Obdachlose, illegale Einwanderer. Sie selbst stammt aus einer jüdischen Familie, ihr Mädchenname ist Dreyfus. Während der deutschen Besatzung in Frankreich habe sie erlebt, was es bedeutet, ausgeschlossen zu sein. Zusammen mit ihrem Vater floh sie 1944 über die Pyrenäen nach Spanien. "Vielleicht fühle ich mich deshalb den Ausgeschlossenen näher als andere."

Das erklärt die Gefühle der Autorin, der Furor, mit dem sie gegen den Liberalismus anschreibt, bleibt rätselhaft. Ein wenig von ihrer Denkmethode hat sie in ihrem neuen Buch dargelegt. Es heißt Une étrange dictature (Eine seltsame Diktatur), was in der deutschen Ausgabe zur Diktatur des Profits wurde. Das 210 Seiten starke Buch ist weitgehend faktenfrei und eine Wiederholung des ersten. An einer Stelle schreibt sie, die Globalisierungsgegner müssten sich aus dem "Halseisen der Propaganda" befreien: "Es ablehnen, sich mit überholten Fakten zu beschäftigen - unter der Aufsicht von Leuten, die das ausnutzen und die sie auf den Tisch bringen - und auf diese Weise das Spiel mitzuspielen, das man eigentlich bekämpft."

Kein Wunder, dass sie eine Diktatur des "Ultraliberalismus" behauptet, die sich dadurch auszeichne, dass man von ihr nichts merkt. Vielleicht ist es gerade diese offen bekannte Weigerung, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, die Viviane Forrester zur heiligen Johanna macht.

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