Verbraucherbetrug:Etikettenschwindel in Japan

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Die Skandale um falsche Produktangaben häufen sich: Nun haben zahlreiche Papierhersteller haben unechtes Recycling-Papier verkauft.

Katia Meyer-Tien

Japan hat einen neuen Skandal: Mindestens 17 japanische Papierhersteller, darunter auch die Marktführer, haben jahrelang Papier als Recycling-Produkte verkauft, obwohl es nur zu geringen Teilen oder gar nicht aus wiederverwertetem Material bestand.

Der Skandal ist nur der jüngste in einer ganzen Serie von Etikettenschwindel in Japan. Im vergangenen Januar hatte die Firma Fujiya zugegeben, für die Cremefüllung ihrer Süßwaren abgelaufene Milchprodukte verwendet zu haben. Im August gestand die Firma Ishiya, nicht verkaufte Kekspackungen mit neuen Verfallsdaten etikettiert zu haben, im Oktober folgte die Firma Akafuku, die Süßwaren aus der Tiefkühltruhe als frisch produziert ausgegeben hatte. Die Liste lässt sich fortsetzen, Skandale gab es auch um Hackfleisch, Salat und Getränkesirup.

In Deutschland entschuldigen sich Lebensmittelfirmen in ähnlichen Fällen häufig mit dem hohen Preisdruck. Doch in Japan sind viele hochpreisige Markenprodukte betroffen.

Eine 600-Gramm-Packung "Shiroi Koibito"-Kekse mit Schokoladenfüllung, das Vorzeigeprodukt der Firma Ishiya, kostet umgerechnet mehr als 10 Euro, für die Geschenkpackung mit 20 Plätzchen der Firma Fujiya zahlt man mehr als 20 Euro.

Ununsicherte Kunden

Die Süßwaren werden häufig als Mitbringsel oder Firmengeschenke gekauft. Was zählt, ist der Name des Herstellers, der vermeintliche Qualität verspricht - und der Produktionsort. In Japan ist man stolz auf die hohen Qualitätsstandards der heimischen Industrie, sei es in der Lebensmittel- oder in der technischen Produktion. Dass Äpfel dafür drei Euro pro Stück kosten, nimmt man in Kauf.

Berichte über Unregelmäßigkeiten bei ausländischen Produkten, wie beispielsweise über giftige Stoffe in chinesischem Plastikspielzeug, riefen in Japan zwar Bestürzung hervor, aber richtig überrascht schien niemand zu sein. Ganz anders jetzt: Wenn immer mehr japanische Firmen Produktfälschungen zugeben, trifft das die Japaner doppelt.

Es kränkt den Nationalstolz und verunsichert gleichzeitig beim täglichen Einkauf: Wenn weder das Siegel "japanische Produktion", noch ein traditionsreicher Name, noch ein hoher Preis für einwandfreie Qualität garantieren können - was kann man dann überhaupt noch kaufen? Und warum setzen Firmen ihren guten Ruf aufs Spiel, der es ihnen gerade auf dem japanischen Markt ermöglicht, hohe Preise für ihre Produkte zu verlangen?

Im Fall der Papierindustrie war es wohl der eigene Ehrgeiz, der zu den jüngsten Skandalen führte. Bereits 1974 gründeten Regierung und Industrie das Paper Recycling Promotion Center (PRPC).

In großen Kampagnen wurde das Recycling-Papier beworben. Mit Erfolg: Der Verbrauch von Recycling-Papier stieg nach Angaben des PRPC von 1996 bis 2006 von 15,9 Millionen Tonnen auf 18,8 Millionen Tonnen. Bei in etwa gleich bleibender Papier-Gesamtproduktion stieg damit der Anteil von Recycling-Papier innerhalb von zehn Jahren von etwa 53 Prozent auf 60 Prozent.

Tiefkühlkost - statt frisches Backwerk

Ein Wachstum, das den Firmen aber offensichtlich zu schnell ging: Sie hatten volle Auftragsbücher für Recycling-Papier, aber zu wenig Nachschub an Material. Aus Angst, Kunden zu verlieren, begannen einige Firmen nach Angaben der Zeitung Asahi Shimbun schon in den neunziger Jahren damit, ihren Produkten normales Papier beizumischen, verkauften sie aber weiterhin als Recycling-Papier.

Inzwischen ist der Präsident von Japans zweitgrößtem Papierhersteller Nippon Paper zurückgetreten. Und Kazuhisa Shinoda, der Präsident von Japans größtem Papierproduzenten Oji Paper, hat sich dafür entschuldigt, "das Vertrauen der Menschen missbraucht zu haben".

Was es heißt, das Vertrauen der japanischen Verbraucher zu verlieren, musste die Firma Akafuku feststellen. Elf Generationen Firmengeschichte, traditionsreiche Beziehungen zum Kaiserhof und eine enge Verbindung mit einer der wichtigsten religiösen Stätten Japans machten die Reiskuchen der Firma trotz hoher Preise zum unverzichtbaren Mitbringsel für jeden Besucher am Ise-Schrein.

Seit aber im Oktober bekannt geworden war, dass die Kuchen jahrzehntelang nicht frisch produziert, sondern bloß frisch aufgetaut worden waren, ist die 300 Jahre alte Firma geschlossen. Denn auch, wenn die Japaner nicht mehr wissen, was sie kaufen können - was sie nicht kaufen wollen, das wissen sie.

© SZ vom 29.1.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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