Varta:Bitte aufladen

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Auch Buzz Aldrin setzte bei der Mondlandung auf Energiespeicher aus Deutschland: In seinem Fotoapparat steckte eine Varta-Batterie. (Foto: Reuters/NASA)

Der Trend zum Elektroauto stellt die Traditionsfirma vor eine gewaltige Herausforderung: Auto-Akkus aus Deutschland, geht das?

Von Max Hägler

Es geht immer ein wenig durcheinander bei dieser Firma, gerade mal wieder, also sollte man vielleicht einmal erzählen, was ganz am Anfang war, um die Bedeutung zu erfassen. Dieses Auto, das mehr eine Droschke war. Die Zeitgenossen nannten es fälschlich: Dampf-Chaise. Die Ingenieure von heute sagen Flocken-Wagen. Was Andreas Flocken im Jahr 1888 in Mannheim zusammengeschraubt hatte, war, zumindest ist das sehr wahrscheinlich, das allererste Elektroauto der Welt. Holzräder mit metallenen Felgen, dazu ein Elektromotörchen, das seine Kraft per Lederriemen auf die hinteren Räder übertrug. 15 Kilometer pro Stunde soll es gefahren sein. Ein Holpern ganz zu Beginn des Autozeitalters, in der Stadt, in der auch Carl Benz seine ersten Fahrversuche machte. Die liefen jedoch mit Verbrennungsmotoren, die mit Reinigungsbenzin aus der Apotheke betrieben wurden. Flocken trieb sein Gefährt mit Strom an, der aus einer 100 Kilogramm schweren Bleiakkus kam. Hergestellt in der Accumulatoren-Fabrik Tudorschen Systems Büsche & Müller. Und die wiederum ist so etwas wie die Geburtsstätte der Varta AG.

Nach dem Ersten Weltkrieg lieferte das Unternehmen vier von fünf Batterien

Ein großer Name, der auch heute noch für Batterien steht. Varta, das ist so etwas wie das Tempo-Taschentuch unter den Energiespeichern. Als Neil Armstrong und Buzz Aldrin 1969 den Mond betraten, steckte in ihrem Fotoapparat eine Varta-Batterie. Der Konzern war ganz groß damals. Wurde später zerschlagen. Macht sich gerade auf den Weg zu neuer Größe, entwickelt etwa Batterien für Mobilgeräte und die Elektroautos der Zukunft. Und hat doch soeben den Gang an die Börse abgesagt.

Dabei sieht das alles gut aus, was diese Firma macht, die in Ellwangen ihren Sitz hat, einem Ort nördlich von Ulm. Herbert Schein, der Geschäftsführer, tritt in einem halbdunklen Besprechungsraum an eine milchig graue Wand aus Glas, drückt auf einen Schalter - der Schleier löst sich, gibt den Blick frei auf eine Fabrikhalle: Nacheinander sind dort kleine Automaten und Roboter aufgereiht, die kleine Metallteile biegen, entgraten, mit Chemikalien auffüllen, ein Papier darauf basteln, einen Deckel darauflegen - bis nach einigen Sekunden und vielleicht zehn Metern eine kleine Hörgerätebatterie entstanden ist.

"Wir sind in einer marktführenden Position beispielsweise bei Hörgerätebatterien und haben zum Ziel, ebenfalls bei Lithium-Ionen-Mikrobatterien an die Spitze vorzustoßen", sagt Schein, der hier in der Nähe groß geworden ist, im Nördlinger Ries, und dem man das noch anhört.

Ein Erfolg, der nicht selbstverständlich ist, trotz der langen Historie.

Noch einmal zurück in die Zeit der Elektrodroschke. AEG und Siemens beteiligten sich bald an der Tudorschen Firma. Werke wurden dazugekauft und gegründet, darunter einige Jahre später Varta, was für "Vertrieb, Aufladung, Reparatur transportabler Accumulatoren" steht. Nach dem Ersten Weltkrieg lieferte Varta vier von fünf Batterien auf der Welt und in dieser Zeit kommen die Quandts ins Spiel, diese Familie, die wie wenige andere über Jahrzehnte die deutsche Industrie beherrschte und heute noch über den Autobauer BMW bestimmt. Die Fahrzeuge waren aber lange Zeit nicht das Wertvollste, das waren die Batterien. Günther Quandt baute in der Weimarer Republik einen gewaltigen Konzern auf, der in Textilien machte, an Munitionsfabriken und an Daimler-Benz beteiligt war, 1923 übernahm er die Mehrheit an dem Energiespeicherkonzern, zu dem auch Varta gehörte. Und der von der Nazi-Herrschaft profitierte: Auch hier schufteten Zwangsarbeiter. In einem Batteriewerk in Berlin litten die als Arbeitssklaven eingesetzten KZ-Häftlinge derart, dass sie "vor Hunger das Material, vermischt mit Wasser, aßen, aus welchem die Batterien hergestellt wurden". Die Familie hielt sich - es sind diese Merkwürdigkeiten, die Nachkriegsgenerationen wohl allen Erklärungen zum Trotz nie ganz verstehen werden - und mehrte ihren Reichtum, auch dank Varta. In den 1990er Jahren war der Erfolg jedoch vorbei, Unternehmen aus Asien wurden zu einer immer stärkeren Konkurrenz. Die Autobatterien, diese 12-Volt-Blöcke, und die Haushaltsbatterien, diese Baby und Mignon-Teile, von denen man nie genau weiß, welche Größe in die Taschenlampe gehört, wurden verkauft ins Ausland. Die Varta AG war nur noch eine Holding ohne Produktion, und in Ellwangen, wo der dritte Teil des einst milliardenschweren Varta-Konzerns beheimatet ist, konzentrierten sie sich auf allerkleinste Mikrobatterien - und überlegten auch: Lässt sich so etwa in Deutschland überhaupt noch wettbewerbsfähig produzieren?

Geschäftsführer Schein hat vieles davon mitbekommen. Er ist seit Jahrzehnten dabei, hat erlebt wie ein Großauftrag der Firma BenQ aus Taiwan wegbrach und die Deutsche Bank einen neuen Eigentümer suchte - und zu Michael Tojner kam. Ein Wiener Unternehmer und Selfmade-Millionär, der große Ziele hat, sich einmischt, Varta zu alter Größe führen will, wie er sagt. Und doch hat er in der vergangenen Woche den Börsengang abgesagt, der Kapital bringen sollte für neue Werke: Die Investoren scheuten gerade zu sehr das Risiko.

Ein Beinbruch? "Nein", sagt Schein, "aufgeschoben ist nicht aufgehoben." Das Unternehmen sei so profitabel, dass sich Zwischenschritte aus eigener Kraft finanzieren ließen. Dazu dieses Marktpotenzial. In seinem Büro holt Schein ein kleines Hörgerät aus dem Schrank. Nur jeder vierte schwer hörende Mensch in Deutschland habe so etwas. Das werde sich ändern, der Gang zum Akustiker werde normal. Schein schaut da recht froh: Übers Jahr gesehen braucht jedes Hörgerät etwa 30 Einwegbatterien, ein schönes Geschäft, weil meist Varta-Zellen darin stecken. Oder Zellen anderer Marken, die aber Varta wiederum produziert, Duracell oder Energizer etwa.

Und die Wearables, sagt Schein, noch so ein viel versprechender Markt. Man muss den Begriff nicht kennen, gemeint sind drahtlose, tragbare Geräte. Babyarmbändchen, die den Herzschlag und die Bewegung des Kindes messen und das ans Handy der Eltern senden. Oder kabellose Kopfhörer. Der Akku darin ist nicht wechselbar, müsse von sehr hoher Güte sein.

Es sind Lithium-Ionen-Speicher, mit denen auch Handys und E-Autos betrieben werden. Aber es heißt doch überall, in Deutschland sei so eine Produktion nicht wirtschaftlich machbar und sowieso sei diese Technik bald wieder überholt? Die deutschen Automobilhersteller tun sich doch deswegen so schwer, eigene Batteriefabriken für ihre künftigen Elektroautos hierzulande zu errichten.

"Lithium-Ionen", entgegnet Schein, "das ist die wiederaufladbare Technologie für die kommenden zehn Jahre." Gerade haben sie eine neue Fabrik für kleine Akkus gebaut: 15 Millionen Zellen pro Jahr lassen sich da herstellen. Um gegen die viel größeren Hauptbewerber aus China, Korea und Japan zu bestehen, wird die Technik andauernd weiterentwickelt; in diesem Jahr haben sie die Speicherleistung um 20 Prozent erhöht, bis zum Jahr 2018 wollen sie das nochmals um 30 Prozent steigern. Dabei arbeiten in Ellwangen alle zusammen: Die Meister, die Chemiker, die Vertriebler, die Konstrukteure. Und dann die Effizienz in der Produktion. Der Chef deutet aus dem Fenster auf alte Backsteinhallen: Weil die eigenen Maschinenbauer dort so akkurat laufende Geräte konstruieren, ist nebenan eine hochautomatisierte Fertigung möglich. Und die Lohnkosten könnten demnächst weiter sinken. Zwar arbeiten insgesamt 2000 Menschen bei Varta. Aber viele der Leute in der Fabrik reinigen vor allem Teile, die Automaten fertigten. Bald dürften Maschinen auch das erledigen.

Kurzum: "Batteriezellenproduktion kann man in Deutschland definitiv machen", sagt Schein. Was kleine Speicher anbelangt, zeige das Varta. Im großen Maßstab sei das ebenfalls möglich, für Energiespeicher in Wohnhäusern, die sie schon anbieten. Oder bei E-Auto-Batterien. Auch daran forschen sie, gemeinsam mit Volkswagen. 50 Millionen Euro haben sie in den vergangenen fünf Jahren investiert und überlegten im vergangenen Jahr sogar, ob sie ein Werk für Elektroauto-Akkus bauen sollen. Noch ist ihnen das aber eine Nummer zu groß. Denn noch ist Varta - der Umsatz beträgt 200 Millionen Euro im Jahr - ein junges Unternehmen, so alt die Wurzeln auch sind.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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