Vans:Locker bleiben

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Mit einem lässigen Modelabel langfristig erfolgreich und dennoch Kult sein - das schaffen nicht viele. Die amerikanische Sportschuhmarke Vans ist fast zugrunde gegangen. Doch dann gelang das Comeback.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Right on", sagt Steve Van Doren, als er erfährt, dass sein Besucher 30 Minuten zu früh erschienen ist. Diese Worte sind schwierig zu übersetzen, je nach Länge des "o" können sie von "Kein Stress" bis hin zu "supermegagigatoll" so ziemlich alles bedeuten. In diesem Fall liegt es irgendwo dazwischen. Alles in Ordnung also. Van Doren sieht ein bisschen aus wie der Komiker Rodney Dangerfield, er spricht auch so. Er geht nicht, er watschelt; in seinem blauen Hawaiihemd mit grünen Palmen darauf sieht er aus wie einer der Typen, die einem am Flughafen von Honolulu einen Blumenkranz umhängen. Zu früh? Kein Problem. Zu spät? Wäre auch nicht schlimm. Right on.

Steve Van Doren arbeitet seit mehr als 49 Jahren für den Schuhhersteller Vans, den sein Vater Paul im März 1966 gegründet hat. "Ich bin seit dem ersten Tag dabei, damals war ich elf Jahre alt", sagt er: "Ich habe in dieser Zeit alles gemacht. Ich habe Toiletten geputzt und Wände gestrichen, ich habe Filialen verwaltet und berühmte Sportler angeworben. Das komplette Programm, so ist das in unserer Familie." Sein derzeitiger Titel lautet Vizepräsident für Events und Marketing, doch mit solchen Begriffen kann Van Doren ebenso wenig anfangen wie mit Menschen in Anzug, Krawatte und Hemd mit weißem Kragen.

Cool sein ist nicht einfach. Wer sich zu sehr bemüht, wird scheitern

Er ist das Maskottchen des Unternehmens, vor allem aber erklärt er den Menschen mit Anzug und Krawatte und weißem Hemdkragen, wie ein Unternehmen trotz kommerziellen Erfolgs als cool durchgehen kann - genau das teilt er auch gerne Besuchern im Firmensitz im kalifornischen Cypress mit. Van Doren eine Frage zu stellen ist ungefähr so, als würde man eine Dusche aufdrehen - die Antwort ist nur einer von vielen Strahlen, die anderen sind kuriose Fakten und witzige Anekdoten. Wer etwa wissen möchte, was das Firmenmotto "Off the Wall" bedeutet, der erfährt vom Skateboarder Tony Alva, der einst die Wände von Swimmingpools hochgefahren ist. Er hört von einer Welle in Hawaii, die so heißt. Von einem verrückten Motorradfahrer. Vom Nachbarskind, das sich mit einer Schuhbox selbst verprügelt hat. "Das alles ist off the wall", sagt Van Doren. Off the Wall, das bedeutet abgefahren, verrückt, individuell.

Vor allem aber bedeutet es: cool.

Mit Coolness ist das so eine Sache, es ist ein bisschen wie mit dem Aussehen: Wer sich zu sehr bemüht, wird scheitern. Wer cool sein will, darf nicht cool sein wollen. "Es ist nicht cool, jemanden aufzufordern, dass er deine Produkte kaufen soll", sagt Van Doren: "Was cool ist: Sachen kostenlos verteilen. Wenn sie den Leuten gefallen, dann hast du Kunden auf Lebenszeit." Das klingt wie aus dem Handbuch für Marketing-Anfänger, ist im Falle von Vans indes überaus effektiv. Wer eine vom Unternehmen gesponserte Veranstaltung besucht, der bezahlt keinen Eintritt, wird von Van Doren höchstselbst mit Würstchen ("Bei den US Open of Surfing habe ich 16 700 Hot Dogs gegrillt") versorgt und darf Gratisprodukte mit nach Hause nehmen.

1966 startete Vans mit einem kleinen Laden - und wurde rasch ein Geheimtipp bei Skatern und Sufern wegen der besonderen Sohle. (Foto: Christian Ender/PA, Getty, Vans)

Die Strategie funktioniert: Vans vermeldete für das zweite Quartal 2015 zum 23. Mal nacheinander eine Umsatzsteigerung im zweistelligen Bereich. Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen zwei Milliarden US-Dollar um, vor elf Jahren waren es noch 300 Millionen gewesen. Das ist nicht schlecht für ein Unternehmen, das beim Start weder Schuhe in den Regalen noch Wechselgeld in der Kasse hatte. "Die 16 Kunden bekamen die Schuhe maßgefertigt und konnten sie am nächsten Tag abholen - zehn Wochen später hatte mein Vater bereits zehn weitere Geschäfte eröffnet, weil die einzelnen Schuhe in der Herstellung dann weniger kosteten.

Nur durch die rasche Expansion erfuhren die Skater von diesen Schuhen, mit denen sie aufgrund der vulkanisierten Sohle mit dem Waffelmuster ihr Brett besser kontrollieren konnten. Nur deshalb lief ein Schauspieler in ein Vans-Geschäft in Santa Monica und kaufte den Schuh Checkerboard, weil er ihn cool fand. Er erklärte den Produzenten des Films "Fast Times at Ridgemont High", dass er sich in einer Szene genau diesen Schuh über den Kopf ziehen wolle. "Wir mussten nichts für Product Placement bezahlen, sondern nur ein paar Schuhe schicken", erzählt Van Doren: "Der Typ im Film war perfekt für uns: ein Surfer, ein Skater. Wie cool ist das denn?"

Der Checkerboard war plötzlich weltbekannt und gehört heute neben Air Jordan (Nike), Chucks (Converse) und Samba (Adidas) zu den legendärsten Sneakers.

Bis hierhin klingt alles wunderbar und cool - doch das stimmt freilich nicht. Im Büro von Van Doren stehen nicht nur Schuhe, die er für die Red Hot Chilli Peppers oder Iron Maiden entworfen hat, es gibt auch zwei Schreibtische, die aussehen, als stünden sie schon seit fast 50 Jahren dort. "Genau das ist auch der Fall", bestätigt Van Doren: "Und sehen Sie diesen Aufkleber hier? Der stammt aus der Zeit, als wir Gläubigerschutz beantragen mussten und die Bank alles verkaufen wollte."

Mitte der 1980er Jahre war das, als die Menschen in den Vereinigten Staaten das Laufen entdeckten und dafür Schuhe brauchten. Van Dorens Onkel Jim, der damals Präsident der Firma war, wollte von dem Trend profitieren und sogar Nike und Adidas angreifen.

"Die Schuhe waren gut, aber sie hatten nicht mehr die vulkanisierte Sohle. Plötzlich hatten wir Laufschuhe, Basketballschuhe, Wrestlingschuhe. Mein Vater hatte sich aus der Firma zurückgezogen, doch er warnte meinen Onkel, dass wir viel Geld verlieren würden", erzählt Van Doren. So kam es dann auch, weil Identitätsverlust nicht cool ist. Was noch uncool ist: Größenwahn. Das Unternehmen musste Gläubigerschutz beantragen und stand am Rande der Insolvenz, ein Gericht forderte die Entlassung von Jim Van Doren und die Rückkehr von Paul in die Unternehmensleitung. Die Familie zerbrach daran, bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2011 sprach der geschasste Jim nicht mehr mit seinem Bruder.

"Diese beiden Tische erinnern mich immer an die Insolvenz", sagt Van Doren und zeigt auf die beiden alten Schreibtische in seinem Zimmer. Was er durch die Fast-Pleite gelernt hat: Wer erfolgreich sein will, muss sich selbst treu bleiben. Und er sollte nicht zu sehr auf Menschen hören, die nur Geld verdienen wollen.

Paul Van Doren verkaufte das Unternehmen im Jahr 1988 für 74,4 Millionen Dollar. Im Laufe der Jahre gab es immer wieder neue Eigentümer, derzeit ist es der Kleiderkonzern VF Corporation. Die Konstanten: Steve Van Doren, seine Schwester Cheryl und seine Tochter Kristy, die alle immer noch bei Vans arbeiten. "Wir wurden ein paar Mal verkauft - und immer wieder kommen Menschen in Anzug und Krawatte daher und wollen Dinge verändern", sagt Van Doren. Er sieht sich nicht nur als Botschafter, sondern auch als Bewahrer der Verrücktheit: "Ich sage diesen Typen dann schon mal, dass sie nur Müll labern. Wenn das nicht funktioniert, dann bestelle ich zehn Pizzas in eine Besprechung, damit sie ein bisschen lockerer werden."

Die Fast-Pleite war eine gute Lektion: Man muss sich selbst treu bleiben

Wer cool sein will, darf nicht cool sein wollen. Vans stellt inzwischen wieder vor allem Sneakers her, dazu ein paar Klamotten, die 20 Prozent des Umsatzes ausmachen. Es gibt Kooperationen mit Star Wars, Marvel und Disney, es gab Kollektionen mit den Beatles, mit Metallica und Slayer. In der Firmenzentrale gibt es eine Skateboard-Wanne, zwischen zwei Abteilungen ist auf einem überdimensionalen Schild ein Manifest angebracht. Darauf stehen Schlagworte wie "anders denken", "Kreativität fördern" oder: "den eigenen Weg suchen". Es klingt alles einfach - und doch so schwierig wie cool sein.

Es gab in den vergangenen 50 Jahren immer wieder Worte, die den Ausdruck cool ablösen sollten. Hip und Boss und Dope etwa, Tight und Sick und Sweet, Gnarly und Def und Tubular. Cool jedoch hat überlebt, so wie auch Vans überlebt hat - weil es Typen gibt wie Steve Van Doren, die im Hawaiihemd zur Arbeit erscheinen und an einem Schreibtisch arbeiten, an dem noch das Pfändungssiegel klebt. Der bei Veranstaltungen nicht in VIP-Bereichen abhängt, sondern Würstchen grillt und danach selbst aufräumt. Der seinem mittlerweile 85 Jahre alten Vater beinahe täglich berichtet, welch verrückte Dinge sie anstellen bei Vans: "Zum internationalen Waffeltag habe ich ihm ein Foto von unserer Schuhsohle mit Butter und Sirup geschickt - er fand das cool." Ganz unten an diesem Schild in der Zentrale steht übrigens "Vans. Off the Wall. Since 1966". Na dann: Right on.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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