US-Zinsen:Angst vor der eigenen Courage

Lesezeit: 3 min

Es war wohl ihr bisher wichtigster Auftritt: Am Donnerstagabend schauten alle auf FED-Chefin Janet Yellen. (Foto: Brendan Smialowski/afp)

Die Entscheidung der US-Notenbank Fed, die Zinsen nicht zu erhöhen, macht die Experten ratlos.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Was ist das nun? Eine gute Nachricht? Eine schlechte? Gar keine? Am Tag danach herrscht allgemeine Ratlosigkeit, was vom Beschluss der US-Notenbank Fed zu halten ist, die erste Leitzinserhöhung seit mehr als neun Jahren noch einmal hinauszuschieben. Auch ein Blick auf die Finanzmärkte hilft nicht weiter: Kursverluste in Europa, Kursgewinne in Teilen Asiens, kaum Bewegung in den USA - all das passt nicht wirklich zusammen.

Die Reaktionen auf den Fed-Entscheid sind somit so widersprüchlich wie der Entscheid selbst. Theoretisch gesehen müssten niedrige Leitzinsen den Aktienmarkt beflügeln, weil sie das Wirtschaftswachstum befeuern sollen und die Renditen alternativer Anlagen wie Anleihen drücken. Dass der Deutsche Aktienindex (Dax) dennoch um mehr als drei Prozent einbrach und deutlich unter 10 000 Punkte rutschte, ist vor diesem Hintergrund nur so zu erklären, dass sich die Investoren keinen Reim mehr auf die Strategie der Fed machen können: Warum warnt Notenbankchefin Janet Yellen davor, die ökonomischen Probleme außerhalb der USA - gemeint ist vor allem China - überzubewerten, begründet den Verzicht auf einen Zinsschritt dann aber mit just diesen Problemen? Und warum ziehen ausgerechnet in Shanghai die Aktienkurse an?

Auch die schriftliche Erklärung, die Yellen im Anschluss an die Sitzung des Offenmarktausschusses verlas, hilft kaum weiter. Einerseits geht aus dem Papier hervor, dass einige Ausschussmitglieder die Wirtschaftslage eher noch ein wenig skeptischer beurteilen als bei der letzen Sitzung Ende Juli. Andererseits teilte die Fed-Chefin mit, 13 der 17 Führungskräfte gingen davon aus, dass der Leitzins noch dieses Jahr um mindestens einen Viertelprozentpunkt steigen wird. Ja, was denn nun?

Vor allem deutsche Ökonomen kritisieren die Entscheidung: "Sie hat es wieder nicht gewagt"

Viele Ökonomen haben den Verdacht, dass die Fed-Oberen am Ende erneut von der Angst vor der eigenen Courage übermannt wurden, die verbal schon lange vorbereite Zinswende endlich zu vollziehen. "Die Federal Reserve hat es wieder nicht gewagt", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, und sein Kollege Dave MacEwen von American Century Investments ergänzt: "Die US-Wirtschaft ist mittlerweile stark genug, um einer ein wenig strafferen Geldpolitik standzuhalten."

Aus Sicht von Deutsche Bank-Chefökonom David Folkerts-Landau wird die Untätigkeit der Fed zulasten der Finanzmarkstabilität gehen und "am Ende einen kräftigen Anstieg der Inflation mit sich bringen". Er vermutet, dass sich Yellen und ihre Kollegen außer von China auch vom nervösen Auf und Ab an den Finanzmärkten haben beeindrucken lassen.

Wie die Kursreaktionen zeigen, hat der Fed-Beschluss die Märkte aber nicht etwa beruhigt, sondern die Unsicherheit sogar vergrößert. "Einen Zeitpunkt, zu dem eine Zinserhöhung in einer völlig stabilen weltwirtschaftlichen Situation erfolgt und keine Risiken birgt, wird es kaum geben", sagt Michael Heise von der Allianz. "Mit dem Zuwarten und dem weiter bestehenden Signal einer Zinserhöhung bleibt die Fed vielmehr selbst Quelle der Marktvolatilität."

Sollte die Wende auch bei den Ausschusssitzungen im Oktober und Dezember ausbleiben, droht der Notenbank zudem ein Glaubwürdigkeitsproblem. Yellen hatte den Kurswechsel stets davon abhängig gemacht, dass die Zahl der Arbeitslosen in den USA nachhaltig sinkt. Dahinter stecken neben sozialpolitischen Erwägungen, für die die Notenbankchefin durchaus ein Faible hat, vor allem inflationstheoretische Überlegungen: Demnach könnte es, sobald am Arbeitsmarkt weitgehende Vollbeschäftigung erreicht ist, zunächst zu einem Lohn- und dann zu einem allgemeinen Preisdruck kommen.

Mit einer Erwerbslosenquote von nur noch gut fünf Prozent ist nach allgemeiner Lesart aber nun schon seit Monaten Vollbeschäftigung praktisch gegeben. Statt jedoch ihre Ankündigung in die Tat umzusetzen, macht sich Yellen jetzt die Kritik einiger Experten zu eigen, wonach die offizielle Statistik die Situation auf dem Arbeitsmarkt beschönigt. Aus Sicht der Fachleute unterschlagen die amtlichen Zahlen zum Beispiel, dass viele Amerikaner gegen ihren Willen Teilzeit arbeiten müssen.

Liane Buchholz, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken, hält Yellens Zögern dennoch für nicht plausibel. "Obwohl die Fed eines ihrer erklärten Ziele, die Vollbeschäftigung, nahezu erreicht hat, traut sie es der US-Konjunktur noch nicht zu, eine erste Zinserhöhung zu verkraften", klagt sie. Dan Heckman, Anleiheexperte der U.S. Bank, stößt ins selbe Horn: Wer einen Blick auf den amerikanischen Arbeitsmarkt werfe, "der findet gute Gründe, warum der Leitzins nicht mehr bei null liegen sollte".

Viele Kritiker des Fed-Beschlusses verweisen zudem darauf, dass die Geldpolitik auch nach einem ersten Zinsschritt noch lange Zeit vergleichsweise expansiv bleiben wird. Legt man die Prognosen der 17 Ausschussmitglieder übereinander, dann ist für das kommende Jahr mit einem Zinssatz von 1,4 Prozent, für 2017 von 2,8 und für 2018 von 3,4 Prozent zu rechnen. Langfristig strebt die Bank ein Normal-Zinsniveau von 3,5 Prozent an.

Dass die Zinswende einfach nicht gelingen will, zeigt nach Ansicht von Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater, "dass ein Ausstieg aus der Nullzinswelt sehr mühsam ist und sehr lange dauern wird". Volker Wieland, der dem Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehört, schwant bereits Böses: "Die Zinsen wurden unter den ehemaligen Fed-Chefs Alan Greenspan und Ben Bernanke zu langsam angepasst", so der Top-Ökonom. "Es besteht die Gefahr, dass die Fed unter Yellen ähnliche Fehler begehen wird."

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: