Unterstützer:Eine Idee, viele Interpretationen

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Martin Luther King war dafür, Milton Friedman auch: Das Grundeinkommen hat sehr unterschiedliche Anhänger.

Von Lea Hampel, München

Immer wieder der Jutebeutel. In keiner Beschreibung des jungen Mannes blieb er unerwähnt. Der Jutebeutel ist dieser Tage die Gucci-Tasche des viel beschriebenen urbanen, digitalen Prekariats. "Cotton ist das neue Croco", steht auf mancher der Taschen. Ein Mann, der so etwas statt einer Lederaktentasche trägt, gilt als jung, hip, innovativ. Als Michael Bohmeyer, 32 Jahre, Vater, Onlinefirmenbesitzer und politischer Aktivist, im Jahr 2014 inklusive Jutebeutel antrat, um ein bedingungsloses Grundeinkommen per Crowdfunding zu finanzieren, war er deshalb nicht nur Vordenker. Sondern das perfekte Symbol für die Bewegung für ein bedingungsloses Grundeinkommen, die verstärkt Aufmerksamkeit bekommt und zuletzt in der Gründung einer Ein-Themen-Partei mündete. Jene will zur Bundestagswahl 2017 antreten, um die Debatte zu diesem Thema voranzutreiben.

Doch so sehr das Grundeinkommen als moderne und linke Idee gilt, so wenig ist es das. Natürlich ist es fraglich, was alles schon als Grundeinkommen gilt - die Forderung nach gleichen Lebenschancen bereits oder erst ein konkreter Geldbetrag. Doch berühmte Persönlichkeiten, die etwas Ähnliches fordern, gibt es seit mehr als 200 Jahren. Aktivist und Philosoph Thomas Paine etwa plädierte 1796 für Einmalzahlungen für alle Bürger und Grundrenten ab 50 Jahren. Auch der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman wird als Vertreter zitiert, wenn auch in einer aus heutiger Sicht extrem neoliberalen Form. Die weitere Riege reicht vom Psychoanalytiker Erich Fromm bis zum amerikanischen Bürgerechtler Martin Luther King, seit 1986 gibt es ein weltweites Netzwerk entsprechender Organisationen.

Risikokapitalgeber Albert Wenger ist ein Befürworter des Grundeinkommens. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Während die Theorie auf unzähligen Konferenzen besprochen wurde, kam auch die Praxis nicht zu kurz. Experimente, die von einer Negativen Einkommensteuer bis zu einer Sozialdividende reichten, gab es schon in Ländern von Namibia bis Indien; allein fünf Feldversuche fanden in Nordamerika zwischen 1968 und 1980 statt. Darunter der bis heute bekannteste Versuch in der kanadischen Stadt Dauphin. Die Daten von damals wurden 2011 erneut untersucht, mit dem Fazit, dass ein Grundeinkommen zu sozialen und gesundheitlichen Verbesserungen führen könnte.

Wirklich revolutionär wären neue Vorschläge zur Finanzierbarkeit

In Deutschland hat die Debatte ihre Ursprünge in der Erwerbslosenbewegung der Achtzigerjahre. 2004 dann wurde das Netzwerk Grundeinkommen gegründet, 2007 veröffentlichte der dm-Gründer Götz Werner ein Buch. Seitdem hat sich einiges getan, national wie international: Der eingangs erwähnte Michael Bohmeyer hat mit der Initiative "Mein Grundeinkommen" 46 570 Spender überzeugt, die bisher 63 einjährige Grundeinkommen von 1000 Euro pro Monat finanziert haben. Und obwohl die Schweizer im Juni dieses Jahres gegen ein Grundeinkommen abgestimmt haben, entstehen neue Modellversuche: In Finnland läuft von 2007 an ein Projekt, Ähnliches ist in den Niederlanden geplant. In den USA gibt es eine Initiative, die dem Berliner Crowdfunding ähnelt.

Auch Telekom-Chef Tim Höttges gehört zur steigenden Zahl prominenter Grundeinkommensbefürworter. (Foto: Sonja Marzoner)

Vor allem in den vergangenen Jahren sind es Wirtschaftsstimmen, die der Debatte Gehör verschafft haben: Für ein Grundeinkommen haben sich Risikokapitalgeber Albert Wenger, Tesla-Chef Elon Musk, aber auch Marc Andreessen, der im Facebook-Aufsichtsrat sitzt und Sam Altman, Geldgeber für die Start-up-Szene, ausgesprochen.

Interessant ist, wer für welche Modelle plädiert. Deutsche Initiativen werden oft eher aus dem linken Lager unterstützt - nicht umsonst besteht eine Verbindung zwischen "Mein Grundeinkommen" und der Aktion "Sanktionsfrei" gegen Hartz-IV-Sanktionen. International sprechen sich oft Firmenchefs, Investoren und Ökonomen für ein Grundeinkommen aus. Dass viele Seiten sich jetzt für die Idee begeistern, ist logisch: Die Welt diskutiert über die Abgehängten und deren Wahlentscheidungen und über die Digitalisierung, die Jobs bedroht. Vor allem in Deutschland geht es seit der Agenda 2010 auch darum, wie sehr der Einzelne seine Bedürftigkeit nachweisen muss, um Geld aus dem Sozialsystem zu bekommen. Eine Idee, die auf viele der Probleme eine Antwort hat, findet naturgemäß breite Resonanz. "Die Tatsache, dass die Linkspartei, die Grünen, der Siemens-Chef, die Querfrontnazis und die Anthroposophen sich damit befassen, zeigt, dass es eine postideologische, anschlussfähige Idee ist", sagt Bohmeyer.

Eine Crux lässt sich vorerst nicht auflösen: das ewige Totschlagargument der Gegner. Um die Effekte bewerten zu können, müsste man das ganze im großen Stil ausprobieren. Dafür sind zu viele Fragen offen: Wie soll das finanziert werden? Wer darf das Geld beziehen? Welche anderen Leistungen fallen dafür weg? "Von der abstrakten Einsicht bis zur reinen Umsetzung ist es ein weiter Weg", sagt Soziologe Georg Vobruba. Er befasst sich seit Jahren mit dem Grundeinkommen. Für revolutionär hält er es deshalb nicht, wenn ein Wirtschaftsvertreter ein Grundeinkommen fordert - sondern wenn sich einer zur Finanzierbarkeit äußern würde.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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