Unterhaltungsbranche:Total digital

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Musik und Videos aus dem Netz bringen erstmals mehr Umsatz als CDs und DVDs. Auch die Downloads gehen zurück. Doch es gibt eine Ausnahme von diesem Trend.

Von Helmut Martin-Jung

Ein Auto kaufen? Und dann Tag für Tag nach einem Parkplatz suchen? Wo man doch in der Stadt auch gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad vorankommt, meistens sogar schneller? Für viele, vor allem Jüngere, ist das schon lange keine Frage mehr. Es geht ihnen nicht mehr um Besitz als Statussymbol, sondern sie nutzen die Möglichkeiten der Fortbewegung, wenn sie sie brauchen. Das wird auch Daimler nicht ändern können, der damit wirbt, doch mal endlich erwachsen zu werden und sich ein richtiges Auto zu kaufen.

Die Blaupause zu dieser Entwicklung ist schon seit Längerem in der Unterhaltungsbranche zu besichtigen. Strom kommt aus der Steckdose, Medieninhalte lädt man aus dem Internet. Noch ist es zwar nicht ganz so weit, doch die Tendenz weist überaus klar in diese Richtung. Und 2016 war dafür ein prägendes Jahr. Erstmals hat die Musikbranche weltweit mehr Erlöse mit Musik aus dem Internet (Streaming) und Downloads digitaler Musikdateien erzielt als mit dem Verkauf physischer Tonträger.

Die Digitalerlöse erreichten 10,7 Milliarden Dollar, bei CDs und Vinylplatten waren es nur noch 8,5 Milliarden. Ermittelt hat diese Zahlen das Beratungsunternehmen Pricewaterhousecoopers (PWC), das dafür Branchendaten aus 54 Ländern ausgewertet hat.

Für dieses Jahr rechnet PWC damit, dass sich diese Entwicklung auch bei Videoinhalten fortsetzt. Die Anbieter von Videodiensten, deren Inhalte man nach Bedarf aus dem Netz abruft, würden 2017 mehr Umsätze machen als die Industrie durch den Verkauf von DVDs und Blu-Rays einnimmt. Auch bei Zeitungen und Zeitschriften zeigt sich der Trend zum Digitalen. Erstmals nahmen die Verlage mehr Geld durch den Verkauf der Blätter und Hefte ein als über die Anzeigenerlöse. Der große Wachstumstreiber aber bleibt das Streaming, das erstmals auch mehr einbrachte als Downloads.

Die totgesagten Vinylplatten haben eine erstaunliche Renaissance hingelegt

Gerade erst hat nun auch Apple einen vernetzten Lautsprecher vorgestellt, der wie dazu geschaffen ist, Musik abzuspielen, die in Rechenzentren gespeichert wird, die man also nicht mehr physisch besitzt. Man erwirbt bloß noch das Nutzungsrecht, mietet Musikgenuss, hortet keine Datenträger mehr. Was bei manchen Musikfreunden offenbar zu Phantomschmerzen führt - und den Tonträgern noch einen Markt sichert. Mehr noch: Vinylplatten, seit dem Aufkommen der CD eigentlich totgesagt, haben eine erstaunliche Renaissance hingelegt.

Die schwarzen Scheiben sind ja nicht nur physische Datenträger, sondern auch noch analoge. Laut den jüngsten Zahlen des Bundesverbandes Musikindustrie stieg ihr Anteil am Gesamtumsatz mit Musik in Deutschland von sehr nahe an Null Ende der 1990er-Jahre auf immerhin 4,4 Prozent.

In absoluten Zahlen sind das: knapp 70 Millionen Euro. So tief greifende Veränderungen hinterlassen auch bei den Betroffenen Spuren. Musiker müssen sich mehr und mehr damit abfinden, dass sie durch die neuen Vertriebsmodelle weniger mit dem Verkauf ihrer Arbeit verdienen. Pro abgespieltem Song bei einem der Streaming-Dienste gibt es nur Cent-Bruchteile. Und die größte Streaming-Plattform überhaupt, nämlich Googles Youtube, zahlt noch weniger. Denn das Angebot sieht sich erstens als Videodienst, zweitens argumentiert man dort, die Nutzer würden die Inhalte hochladen, nicht etwa Youtube selbst. Viele Künstler setzen daher verstärkt auf Live-Auftritte. Dabei kann man dann sogar noch Tonträger verkaufen.

© SZ vom 09.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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