Unister:Ende eines Online-Imperiums

Lesezeit: 3 min

Seit Januar verhandelte das Landgericht Leipzig verschiedene Wirtschaftsdelikte in Zusammenhang mit dem Fall Unister. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Vor dem Landgericht Leipzig hat der Strafprozess gegen ehemalige Manager begonnen.

Von Klaus Ott und Uwe Ritzer, München

Der vierte Mann, der ursprünglich mit auf die Anklagebank kommen sollte, der fehlt. Thomas Wagner, Gründer und langjähriger Chef des Internet-Konzerns Unister, ist im Juli vergangenen Jahres bei einem Flugzeugabsturz in Slowenien ums Leben gekommen. Er war auf dem Rückweg von Venedig, wo der nur 38 Jahre alt gewordene Jungunternehmer vergeblich versucht hatte, 15 Millionen Euro an frischem Geld für seine klammen Reiseportale wie fluege.de oder ab-in-den-urlaub.de aufzutreiben. Wagner war dort jedoch auf einen Betrüger mit dem Decknamen Levi Vass hereingefallen, der ihm Falschgeld angedreht hatte. Die Umstände des Absturzes der einmotorigen Privatmaschine, in der er saß, sind bis heute noch nicht abschließend aufgeklärt. Würde Thomas Wagner noch leben, säße auch er an diesem Mittwoch auf der Anklagebank im Landgericht Leipzig.

Es ist der erste große Wirtschaftsprozess in diesem Jahr. Er beginnt mit einer Viertelstunde Verspätung. Einer der drei Angeklagten hat es nicht rechtzeitig geschafft. Dem früheren Finanzchef der Unister-Tochterfirma Travel24 sowie dem früheren Leiter Flugbereich und dem Finanzchef von Unister und wird banden- und gewerbsmäßiger Computerbetrug, Steuerhinterziehung und das unerlaubte Betreiben von Versicherungsgeschäften im großen Stil vorgeworfen. Alle drei wiesen die Vorwürfe im Vorfeld des Prozesses zurück.

Das öffentliche Interesse an dem Verfahren ist groß, ebenso der Aufwand, den die Justiz trieb. Dem Prozess liegen vierjährige Ermittlungen zugrunde. Die Strafverfolger haben 20 000 Seiten gesammelt, geschrieben und ausgewertet. Vorerst sind 14 Verhandlungstermine bis Mitte Juni anberaumt, doch kaum einer der Beteiligten glaubt, dass dies ausreichen wird.

Den Auftakt bestimmt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Stundenlang verlesen der dort im Fall Unister federführende Ermittler Dirk Reuter und ein Kollege die Anklageschriften. Es sind formal zwei Strafverfahren, die in dem Prozess zusammengefasst werden. Mehr als 87 000 Kunden von Unister-Portalen seien ihnen zustehende Preisvorteile vorenthalten worden, lautet ein Kernvorwurf. Angeblicher Gesamtschaden: mehr als 7,6 Millionen Euro. Zudem soll der Konzern jahrelang sogenannte Serviceentgelte nicht korrekt versteuert haben. Wie die drei Angeklagten hat auch Firmengründer Wagner, der als Aufsteiger und Star in der deutschen Internet-Branche galt, stets seine Unschuld beteuert.

In der öffentlichen Wahrnehmung geht es um mehr als um persönliche Schuld

Es wird ein schwieriger Prozess werden, das steht fest. Die Geschäfte wurden über eine Vielzahl ineinander verschachtelter Unternehmen und über ebenfalls sehr viele Internet-Domains abgewickelt. Die Ermittler müssen nun jedem Angeklagten konkret dessen individuelle Schuld an etwaigen krummen Geschäften nachweisen, was angesichts des Geflechtes kein leichtes Unterfangen werden dürfte. Zum Prozessauftakt zeigt sich das mit sieben Verteidigern angerückte Trio auf der Anklagebank gelassen, der Ton im Gerichtssaal ist sachlich und unaufgeregt.

In der öffentlichen Wahrnehmung geht es bei alledem um mehr als individuelle Schuld oder Unschuld. Es geht um eine der wenigen, großen deutschen Internet-Erfolgsgeschichten. Es geht um ein Wirtschaftswunder in Ostdeutschland. Und es geht um die an sich sympathische Geschichte einer Handvoll Studenten um besagten Thomas Wagner, die 2002 eine Geschäftsidee hatten, ein kleines Start-up gründeten und daraus in atemberaubender Geschwindigkeit einen Konzern entwickelten. Einen, dessen Gesellschaften unmittelbar nach Wagners Tod reihenweise Insolvenzverfahren beantragten. Derzeit wird Unister zerschlagen, und Insolvenzverwalter Lucas Flöther ist geschickt darin, die besten Teile gut zu verkaufen.

Millionen Kunden haben jahrelang Flüge und Reisen über die Unister-Internetportale gebucht, und sie tun es noch. Früher wurden sie angespornt von Werbung im großen Stil auf nahezu allen Kanälen und befördert von prominenten Werbefiguren wie dem früheren Fußballmanager Reiner Calmund oder dem Star-Kicker Michael Ballack.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat weit mehr als 100 Zeugen benannt. Die meisten von ihnen sind Reisekunden, von denen Unister zu viel Geld verlangt haben soll. Sie sollen schildern, wie sie bei dem Internetkonzern Flugtickets zu mutmaßlich überhöhten Preisen gekauft hätten oder wie ihnen unerlaubt Storno- und Reiseversicherungen unter hübschen Namen wie "Flexifly" angedreht worden seien. Einer der prominenteren Kunden, der nach dem Willen der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden aussagen soll, ist Marcel Schmelzer, Profifußballer von Borussia Dortmund. Auch Calmund soll im Zeugenstand Platz nehmen.

Bei all den fragwürdigen Geschäften sollen obendrein kräftig Steuern hinterzogen worden sein. Es ist gut möglich auch, dass es nicht bei diesem Prozess am Landgericht Leipzig bleiben wird. Die Staatsanwaltschaft Leipzig prüft, ob sich Unister-Manager der Insolvenzverschleppung schuldig gemacht haben dürften. Immerhin gibt es Hinweise, dass die Firma schon lange vor dem Sommer 2016 pleite gewesen sein könnte.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: