UN-Konferenz:Welt weit weg

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Mit Blick auf den UN-Informationsgipfel versuchen Wissenschaftler, das Internet zu globalisieren.

Von Christopher Schrader

(SZ vom 11.12.03) — Drei bis fünf Kilogramm Obst oder Gemüse wird die Blechdose einst enthalten haben. Jetzt aber ist sie für drei bis fünf Kilometer gut. Um diese Strecke verlängert die Low-Tech-Antenne die Reichweite des Access Points für kabellose Internetanschlüsse, den Onno Prubo für 30Euro aus Kanada in seine Heimat Indonesien mitgebracht hat.

Mit seiner Blechdose und dem Gerät aus dem Ausland kämpft Prubo gegen die digitale Spaltung der Welt. Vier Millionen Menschen in Indonesien, sagte Prubo am Montag in Genf, haben auf diese Weise in den vergangenen Jahren Anschluss an das weltweite Datennetz bekommen, weil inzwischen 2500 derart aufgerüstete Internet-Zugänge Informationen aus dem globalen Datennetz verbreiten.

Gute Wahl

Prubo ist auf Einladung des europäischen Physiklabors Cern nach Genf gekommen, um im Vorfeld des zurzeit in Genf stattfindenden Uno-Gipfeltreffens (siehe Wirtschaft) mit anderen Wissenschaftlern über nutzbringende Beiträge zur globalen Informationsgesellschaft zu diskutieren. Der Ort ist aus zwei Gründen gut gewählt: Zum einen sitzt die UN-Unterorganisation ITU in der Stadt, die für Telekommunikation zuständig ist.

Zum anderen wurde hier, am Cern, vor 13 Jahren das World Wide Web erfunden. Der Forscher Tim Berners-Lee hatte seinerzeit nach einer Möglichkeit gesucht, die Resultate physikalischer Experimente der weltweiten Forscher-Gemeinde zugänglich zu machen, und an Weihnachten 1990 den ersten Web-Browser vorgestellt. Mit ein Grund, warum das Cern kurz vor dem Uno-Gipfeltreffen zu einer Konferenz mit dem Thema "Die Rolle der Wissenschaft in der Informationsgesellschaft" geladen hat.

Digitale Spaltung

Wie wichtig die Rolle der Forschung ist, zeigt der Blick zurück. Ohne Wissenschaft wäre das Internet zumindest nicht so schnell zu einem globalen Informationsmedium geworden und hätte nicht solche Investitionen - und Fehlinvestitionen - angezogen. Paradoxerweise ist aber durch diese Erfindung auch ein neues Problem entstanden, das sowohl das UN-Gipfeltreffen als auch die vorgeschaltete Cern-Konferenz beschäftigt: die digitale Spaltung der Welt.

Sie zeigt, dass mindestens in einer Hinsicht der Grundgedanke von Berners-Lee hinkt. "Das Internet ist dazu da, Dinge auszutauschen", sagte der Web-Erfinder. Nur funktioniert dieser Tausch zurzeit vor allem innerhalb der Industrieländer.

E-Mails so langsam wie Briefe

Während in Japan, den USA und Teilen Europas mehr als die Hälfte aller Menschen das Internet nutzen, sind die Anschlüsse in vielen Entwicklungsländern selten, teuer und langsam. "In der Zeit, die der Computer brauchte, um meine E-Mail ohne Anhänge zu holen, könnte ich die ganze Zeitung lesen", erzählt die philippinische Forscherin Mary Ann Lansang, die in der Hauptstadt Ugandas arbeitet. "Es gibt nur eine einfache Telefonverbindung mit Pulswahl - an einer Universität!"

Viele Wissenschaftler aus der Dritten Welt sehen, wie ihre Länder mehr und mehr den Anschluss verlieren. Ismail Serageldin zum Beispiel, Chef der neugegründeten Bibliothek von Alexandria in Ägypten, nannte zwei Zahlen, die er "sehr beängstigend" fand: "Beim Einkommen liegen die Industriestaaten 40-mal so hoch wie die Entwicklungsländer. Aber bei den Forschungsausgaben beträgt der Faktor 200."

Englisch dominiert

Ähnliches beklagte Dialo Diop von der Cheik-Anta-Diop-Universität im Senegal: Bei der Entzifferung des menschlichen Genoms habe kein Labor aus der Dritten Welt mitgearbeitet. Sogar dort, wo Information explizit auf die Entwicklungsländer zielt, sei sie für viele nicht nutzbar, weil sie nur in Englisch zur Verfügung stehe. "Wenn ein großer Teil der Welt vom Informationszeitalter ausgeschlossen bleibt, kann man das nicht mehr als globale Revolution bezeichnen", sagte Diop.

Solche Sätze zielten auf das nachfolgende UN-Gipfeltreffen, denn den großen Wurf konnte auf der Cern-Konferenz niemand präsentieren. Die künftige Rolle der Wissenschaft in der Informationsgesellschaft ist eher diffus, weil das Internet heute eben keine Domäne der Wissenschaft mehr ist, sondern Politik und Wirtschaft mitmischen. Darum wurde auch am Cern vor allem politisch argumentiert, aber es wurden auch etliche Projekte vorgestellt, bei denen es entweder - wie im Fall des indonesischen Antennenbauers Prubo - darum geht, Forschungsergebnisse in der Dritten Welt anzuwenden, oder darum, sie zu verbreiten.

Unklare Diagnosen

Ein Beispiel für die Anwendung von Informationstechnik nannte Salah Mandil, Leiter der eHealth-Association. Demnach kooperieren in Mexiko seit fast fünf Jahren 16 ländliche Kliniken aus dem Bundesstaat Chiapas mit einem Hospital in der Hauptstadt. Über Satellit können die Ärzte vom Land ihre Kollegen bei unklaren Diagnosen um Rat fragen. "Die Zahl der Fälle, bei denen jemand unter großen Kosten, aber letztlich unnötig in die Hauptstadt verlegt wurde, ist dort um 70 Prozent gesunken", sagte Mandil.

Dem Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten, hat sich David Dickson verschrieben, ein ehemaliger Wissenschaftsjournalist der Zeitschrift Nature, der heute die Webseite www.scidev.net leitet. Das Portal präsentiert Nachrichten aus Wissenschaft und Medizin sowie Dossiers über Themen wie genmanipulierte Feldfrüchte oder den Brain Drain - die Abwanderung guter Wissenschaftler in die Industriestaaten. "Das alles muss auch mit einer langsamen Internet-Verbindung funktionieren", sagt Dickson, "darum gibt es bei uns keine großen Grafiken, keine Java- oder Flash-Inhalte."

Für viele Forscher aus Entwicklungsländern ist aber neben solchen Angeboten auch entscheidend, dass sie Zugang zu Originalveröffentlichungen bekommen. Dicksons Webseite leistet dazu einen kleinen Beitrag, weil sie jede Woche drei oder vier Artikel aus den neuen Nature- und Science-Magazinen kostenfrei aufnehmen darf.

Streitpunkt Urheberrecht

Doch mit einer weitergehenden Freigabe tut sich die Forscher-Gemeinde genauso schwer wie der UN-Gipfel: Schließlich sind die Urheberrechte an Musik, Filmen und eben auch an wissenschaftlichen Aufsätzen zu einem der größten Streitpunkte im Internet geworden: Der Gipfel wäre unter anderem daran fast gescheitert. Auf der Cern-Konferenz wurden daher Kompromisse diskutiert, etwa die Freigabe wissenschaftlicher Aufsätze nach zwölf Monaten.

Die notwendigen Verbesserungen sollten nicht als Problem, sondern als Chance gesehen werden, appellierte Nitin Desai, ein Berater von UN-Generalsekretär Kofi Annan, an die Delegierten beider Konferenzen. Je mehr Teilnehmer es im Internet gebe, desto besser: "Ihr Telefon wird doch auch zu einem wertvolleren Instrument, wenn ich ebenfalls eins habe."

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