Umsatzsteuer-Karusselle:Aktenzeichen XY gelöst

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Diese Simulation aus dem Jahr 2015 der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa zeigt für fünf Tage die Kohlendioxid-Wolken über Großfeuern (rot) und Megacities (blau). (Foto: NaSA/dpa)

Fahndung im Netz: Wie es deutschen Ermittlern gelang, einen mutmaßlichen Drahtzieher krimineller Umsatzsteuer-Karusselle zum Aufgeben zu bringen.

Von Frederik Obermaier und Klaus Ott, Frankfurt/München

In der Krimisendung Aktenzeichen XY ungelöst geht es oft um Kapitalverbrechen wie Mord, Raub und Totschlag. Aber manchmal schaffen es auch Wirtschaftsdelikte ins Fernsehen. Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr fahndet Aktenzeichen XY an diesem Donnerstagabend nach den mutmaßlichen Steuerkriminellen, die den deutschen Fiskus um viele Milliarden Euro betrogen haben sollen. Ein Fall für XY.

Internationale Banken nutzen Gesetzeslücken und lassen sich von den Finanzämtern Umsatzsteuern erstatten, die der Fiskus zuvor aber nie erhalten hat. So lief das auch bei schmutzigen Geschäften mit Schmutzrechten. Gemeint sind Zertifikate, die den Ausstoß des Treibhausgases CO₂ (Kohlendioxid) erlaubten, das maßgeblich zur Aufheizung der Erde beiträgt.

Das Landgericht Frankfurt hat rund 20 Akteure und Helfer dieser CO₂-Banden bereits zu meist hohen Haftstrafen verurteilt, darunter sogar einen damaligen Manager der Deutschen Bank. Doch an die Drahtzieher, die im Ausland sitzen, war bisher schwer heranzukommen. Das hat sich nun geändert. Einer der mutmaßlichen Hintermänner, Mohsin S. aus Dubai am Persischen Golf, hat sich kürzlich den deutschen Behörden gestellt. Sein Fall ist ein Lehrstück darüber, wie internationale Ermittlungen heute funktionieren und Erfolg haben können.

Fahnder sahen, welch rauschende Partys der Gesuchte feierte und welch tolle Autos er fuhr.

Mohsin S., ein 37 Jahre alter britischer Staatsbürger mit asiatischen Wurzeln und Wohnsitz in Dubai, hatte im Mai einen unfreiwilligen Auftritt bei Aktenzeichen XY ungelöst gehabt. Vor ihm waren zwei andere offenkundige Bandenchefs dran gewesen. Heute Abend wird, mit dem nächsten Steuerfall, die Wirtschafts-Reihe bei XY fortgesetzt. Zur Freude der Ermittler, die von neuen Zeiten schwärmen. Endlich gelinge es, auch an jene heranzukommen, die von fernen, vermeintlich sicheren Ländern aus kriminelle Kreise steuerten. Bereits im vergangenen Jahr hatten bei einem anderen Geschäftsmann aus Dubai, der sich gerne mit Sportgrößen umgibt, bei einem Boxkampf in Las Vegas die Handschellen geklickt. Der Boxfreund wurde nach Deutschland ausgeliefert. Mohsin S. kam lieber gleich selbst.

Der Brite vom Golf soll einer der führenden Köpfe einer Bande gewesen sein, die teure Emissions-Zertifikate zwischen Scheinfirmen hin- und hergeschoben habe. Eigentlich war der Emissionshandel von der Politik zu dem Zweck erfunden worden, den Ausstoß von Kohlendioxid kostspielig und damit unrentabel zu machen und so den Klimawandel zu verlangsamen. Die CO₂-Banden verfolgten aber ein ganz anderes Ziel: den Fiskus mit sogenannten Umsatzsteuer-Karussellen auszunehmen.

Bei solchen Geschäften wird die Ware im Kreis bewegt, um die Finanzämter zu täuschen und so zur Erstattung der gar nicht abgeführten Mehrwertsteuer zu veranlassen. Der Schaden, den der Brite vom Persischen Golf mit seinen Kumpanen angerichtet habe, wird vom Bundeskriminalamt und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt auf 125 Millionen Euro beziffert. Insgesamt soll der Staat beim CO₂-Handel um 1,4 Milliarden Euro erleichtert worden sein.

Die Ermittler waren Mohsin S. schon lange auf der Spur gewesen. Sie wussten genau, wo der Brite sich aufhielt. Sie konnten im Internet verfolgen, welch rauschende Partys er feierte und welch tolle Autos er fuhr. Aber sie konnten nichts machen. Ihn festnehmen? Unmöglich. Das Emirat Dubai liefert niemanden in die Bundesrepublik aus. Doch die deutschen Ermittler gaben einfach nicht auf. Sie erhöhten so lange den Druck, bis es der Familie von Mohsin S. zu viel geworden sei, erzählen Insider. Die in Großbritannien lebende Familie sei dort sehr angesehen; sie sei wohlhabend; sie mache legale Immobiliengeschäfte; sie spende gerne und viel. Die zunehmenden Fahndungsaufrufe nach Mohsin S. im Internet, die Steckbriefe an großen internationalen Flughäfen, und dann auch noch Bilder im Fernsehen, die im Netz schnell um die Welt gingen: Das alles habe der Familie ganz und gar nicht behagt.

Also gab der Mann vom Golf schließlich auf. Das Internet sei eine wertvolle Hilfe gewesen, heißt es aus Behördenkreisen. Das Internet war freilich auch die Tatwaffe gewesen. Die bestens organisierten Banden hatten die Lizenzen zum Ausstoß von CO₂ nur noch virtuell hin- und herschieben müssen, via Computer und Mausklick. Im- und Exporte etwa von Autos, Handies, Teppichen, wie früher geschehen bei Umsatzsteuer-Karussellen, all das war nun nicht mehr notwendig. Der Staat ließ sich noch leichter betrügen. Kriminelle Karusselle haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten schon mehrere zehn Milliarden Euro abgezockt.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind einfach nicht fähig, mit neuen, weniger betrugsanfälligen Steuergesetzen den Karussell-Deals dauerhaft und vollständig die Grundlage zu entziehen. Wenn die Finanzämter dann merken, dass sie bestohlen wurden, ist es oft zu spät. Dann sind die betreffenden Scheinfirmen längst ausgeräumt. Zurück bleiben leere, wertlose Hüllen. Der Staat kann schauen, wie er wieder zu seinem Geld kommt.

Zu dem Geld seiner Bürger. Die Ermittlungen in solchen Fällen sind schwierig und kompliziert. Die Kriminalbeamten, Steuerfahnder und Staatsanwälte müssen verschachtelte Firmenkonstrukte entschlüsseln, Handelsketten rekonstruieren und herausfinden, wer in einem schier undurchschaubaren Geflecht das Sagen hat und wer nur vorgeschoben ist.

Beim Emissionshandel waren es Dutzende Gesellschaften und zeitweise rund 150 Beschuldigte, gegen die ermittelt wurde. Die Hauptverdächtigen saßen und sitzen in Großbritannien, in Pakistan, in Dubai. Dorthin führten auch die Spuren von Mohsin S. Hinter dem Geschäftsmann vom Golf soll aber noch jemand stehen. Ein britischer Staatsbürger indisch-pakistanischer Herkunft mit besten Verbindungen bis in die höchsten Kreise. Sein Spitzname lautet Batman. Er posiert gerne mit teuren Autos: Ferraris, Bugattis, Mercedes. Der Queen hat er schon die Hand geschüttelt. Fotos zeigen ihn mit Stars aus Pop und Fußball. Dieser Batman, so der Verdacht, sei derjenige gewesen, der das Umsatzsteuerkarussell von Mohsin S. ins Laufen gebracht habe. Die Ermittlungen gehen weiter. Die Fahnder geben nicht auf.

© SZ vom 01.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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