Über fünf Millionen Arbeitslose:Der Rekord, der keiner sein soll

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Erstmals gab es im Januar mehr als fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland. Aber nur, weil die Statistik jetzt ehrlicher sei, behauptet Wirtschaftsminister Clement. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit ist allerdings noch viel höher.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland stieg im Januar zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik auf über fünf Millionen. Ende vergangenen Monats waren 5,037 Millionen Männer und Frauen ohne Arbeit, teilte die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA) am Mittwoch mit.

Arbeitslose warten in der Agentur für Arbeit in Duisburg auf ein Gespräch mit ihrem Berater. (Foto: Foto: AP)

Dies waren 573.000 mehr als im Dezember und 440.000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote stieg binnen eines Monats um 1,3 Punkte auf 12,1 Prozent. Vor einem Jahr hatte sie bei 11,0 Prozent gelegen. BA-Chef Frank-Jürgen Weise führte den Anstieg auf einen Statistikeffekt durch die Hartz-IV-Reform zurück. "Die Arbeitslosigkeit ist nicht größer geworden, aber sie wird jetzt umfassend abgebildet."

Kritiker monierten allerdings, dass die Statistik auch von derzeitigen Regierung manipuliert werde. Sie lege einerseits zwar etwas offen und mache dabei viel Wind darüber, andererseits verschleiere sie aber auch unangenehme Fakten und schweige darüber.

Aktive Arbeitsmarktpolitik

Durch die Hartz-IV-Reform tauchten nun zwar zu Recht 227.000 erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger erstmals in der Statistik auf. Gleichzeitig habe Rot-Grün die aktive Arbeitsmarktpolitik, mittels derer Arbeitslose auf Staatskosten in Lohn und Brot geholt würden, auf neue Rekordstände getrieben.

So nahm nach Berechnungen der Stiftung Marktwirtschaft die Zahl der in staatlichen Beschäftigungsmaßnahmen geparkten Arbeitslosen seit Anfang 1999 von damals 1,27 Millionen auf mittlerweile rund 1,4 Millionen zu. Die Stiftung Marktwirtschaft bezeichnet sich selbst als wirtschaftsliberal und parteiübergreifend. Ihr Gesundheitskonzept wurde in weiten Teilen von der FDP übernommen.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement räumte ein, dass es eine signifikante Zahl staatlich bezuschusster Jobs in Deutschland gebe. Im ZDF-Morgenmagazin betonte er am Mittwoch erneut, dass in der Statistik erstmals arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger ausgewiesen seien. Er machte allerdings auch deutlich, dass zur jetzt genannten Zahl noch 1,4 bis 1,5 Millionen Menschen in öffentlicher Beschäftigung hinzu kämen. "Das ist dramatisch hoch."

Clement warnt vor "Schockstarre"

In Bezug auf die neuesten Arbeitslosenzahlen warnte Clement warnte davor, angesichts der "erschreckenden Zahl" in eine Art "Schockstarre" zu verfallen. Das Wichtigste sei jetzt, "dass ab sofort allen Jugendlichen ein Angebot gemacht wird", sagte er in Berlin.

Von der Bundesagentur für Arbeit erwarte er verbesserte Vermittlung. Nach Erfahrungen des Auslands lasse sich die Arbeitslosenzahl allein durch schnellere Vermittlung um 15 Prozent senken. Er erwarte im Februar eine weitere Zunahme an Erwerbslosen. Eine Besserung sehe er erst im März/April, sagte Clement.

Den Vorwurf der Opposition, die Statistik sei immer noch geschönt, wies Clement entschieden zurück. "Das ist dummes Zeug." Die CDU warf der Bundesregierung Untätigkeit vor, die FDP forderte Neuwahlen.

Clement forderte ein Zusammengehen von Wirtschaft und Politik nach dem Vorbild des Ausbildungspaktes. "Es ist was zu bewegen, wenn sich alle bewegen." Dass dies funktioniere, habe der Ausbildungspakt gezeigt. Die Arbeitsmarktreform Hartz IV und 1,6 Prozent Wachstum reichten nicht für eine tiefgreifende Wende am Arbeitsmarkt aus.

Ohne Hartz-IV-Effekt bei 4,8 Millionen

Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II erhöhte sich die Arbeitslosenzahl laut BA im Januar alleine um knapp 230.000. Ohne diesen Effekt hätte es einen für den Januar üblichen Anstieg um etwa 350.000 auf 4,8 Millionen Arbeitslose gegeben.

Die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit, also ohne Einflüsse der Witterung, wäre praktisch unverändert geblieben. So verzeichnete die BA hier ein Plus von 227.000.

Die BA schloss nicht aus, dass sich die Arbeitslosenzahl im Februar auf einen weiteren Rekordstand erhöhen wird: So könne sich die Zahl durch die Statistikänderung um weitere 70.000 erhöhen; außerdem sei im Februar durch die Witterung ein weiterer Anstieg möglich. Weise betonte aber, die Entwicklung habe die Fachleute nicht überrascht.

Er lobte ausdrücklich die "gewonnene Transparenz" durch die Änderungen. Wie Weises Stellvertreter Heinrich Alt ausführte, bekommen 4,089 Millionen Menschen das neue Arbeitslosengeld II. Davon sind gut 2,4 Millionen oder 60 Prozent tatsächlich jobsuchend. Die übrigen 40 Prozent bekommen Leistungen aus dem Arbeitslosengeld II demnach zusätzlich zu ihrem Lohn, als ergänzende Leistung zum Arbeitslosengeld I oder weil sie dem Arbeitsmarkt wegen der Betreuung kleiner Kinder oder aus anderen Gründen nicht zur Verfügung stehen.

Seriöse Prognose noch nicht möglich

Im Januar seien 1,6 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II ausgezahlt worden. Es sei derzeit nicht möglich, eine seriöse Prognose für das Gesamtjahr abzugeben.

Laut Alt erwartet die BA ab März einen "deutlichen Abbau" der Arbeitslosigkeit. Alleine durch saisonale Effekte sei im Frühjahr ein Rückgang um 500.000 zu erwarten.

Allerdings sei noch offen, wie sich mit dem Systemwechsel durch Hartz IV das Meldeverhalten der Menschen bei den Arbeitsagenturen ändere. Deshalb seien sowohl positive als auch negative Folgen für die Arbeitslosenzahlen denkbar. Weise sagte, "ab März haben wir wieder die Verlässlichkeit in den Zahlen."

"Magische Zahl"

Er äußerte sich überrascht, über das Interesse an der "magischen Zahl" fünf Millionen. "Die Zahl macht die Sache in dieser Brisanz deutlich, wie sie immer war."

Die statistischen Effekte beeinflussten die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Ost- und Westdeutschland unterschiedlich stark. In den neuen Ländern nahm die registrierte Arbeitslosigkeit um 167.000 oder zehn Prozent auf 1,771 Millionen zu. Die Arbeitslosenquote sprang über die 20-Prozent-Marke auf 20,5 Prozent.

Im Westen machten sich die Auswirkungen von Hartz IV noch deutlicher bemerkbar. Hier stieg die Arbeitslosenzahl binnen einen Monats um 406.000 oder 14 Prozent auf 3,266 Millionen. Die Zunahme beruht um mindestens 178.000 auf Bezieher des neuen Arbeitslosengeld II, womit der Westen den größten Teil des Effekts tragen musste. Die Arbeitslosenquote im Westen betrug 9,9 Prozent.

Erwerbstätigkeit

Nach den jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts nahm die Erwerbstätigkeit im November saisonbereinigt um 30.000 zu, nach ebenfalls 30.000 im Oktober. Nicht saisonbereinigt stieg die Erwerbstätigkeit um 16.000 auf 38,96 Millionen Beschäftigte.

Beide Anstiege sind allerdings vor allem auf die Ausweitung geringfügiger Beschäftigung, die Einführung von Ein-Euro-Jobs oder durch Ich-AGs zurückzuführen. So gab es Ende November 4,86 Millionen ausschließlich geringfügig Beschäftigte, 348.000 mehr als im November 2003.

Die voll sozialversicherungspflichtigen Jobs nahmen dagegen deutlich um 337.000 auf nur noch 26,75 Millionen Beschäftigte ab.

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