TTIP-Proteste:Volkes Zorn

Lesezeit: 3 min

Nie war der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen so groß: Zehntausende demonstrieren in vielen Städten gegen TTIP.

Von Silvia Liebrich, München

Mit so viel Widerstand haben die Macher des Freihandelsabkommens TTIP sicher nicht gerechnet, als sie vor knapp zwei Jahren die Gespräche aufnahmen: Zehntausende Gegner des europäisch-amerikanischen Abkommens protestierten am Samstag friedlich in vielen europäischen Städten. Sie kamen mit dem Fahrrad, mit dem Traktor oder einfach nur zu Fuß. Allein in München zogen 20 000 Menschen durch die Straßen, in Wien waren es etwa 10 000 Demonstranten. Diese Zahlen nannte das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das zahlreiche Veranstaltungen mitorganisiert hatte. Demonstriert wurde auch in Brüssel, Madrid oder Helsinki, nicht nur gegen TTIP, sondern auch gegen das Ceta-Abkommen mit Kanada und Tisa, ein geplantes Dienstleistungsabkommen zwischen insgesamt 23 Ländern.

Kaum ein anderes politisches Projekt der EU bewegt derzeit so die Massen wie TTIP. Attac zufolge waren am Wochenende 750 Aktionen in 45 Ländern geplant, davon mehr als 230 in Deutschland. Die Bündnisse "TTIP unfairhandelbar" und "Stop TTIP" sprachen weltweit von 550 Aktionen. Der Widerstand hat sich in den vergangenen Monaten zu einer Bürgerbewegung formiert, der sich mehrere Hundert Organisationen aus allen Bereichen der Gesellschaft angeschlossen haben. Was TTIP-Befürworter als Chance für mehr Wachstum, Arbeit und Wohlstand sehen, stellen viele Menschen infrage. Sie befürchten eine Aushöhlung des Rechts- und Sozialstaates und Sonderrechte für Konzerne, die zulasten des Volkes gehen.

Das schlägt sich auch in Umfragen nieder. War anfangs noch ein großer Teil der Deutschen von den Vorteilen des geplanten Abkommens überzeugt, glaubt inzwischen die Mehrheit das Gegenteil. Eine aktuelle Befragung der EU-Kommission zeigt: In 25 EU-Ländern ist die Mehrheit für TTIP, nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg nicht. Die Gegner befürchten etwa Risiken für die Lebensmittelsicherheit und beim Verbraucherschutz.

Die EU hat erst spät, vielleicht zu spät, auf die Kritik reagiert

"TTIP? Nein danke." Demonstranten in Wien zeigen am Samstag den großen Stinkefinger. (Foto: Georg Hochmuth/dpa)

Doch wie konnte es so weit kommen? Der Start der TTIP-Gespräche im Sommer 2013 schien vielversprechend. Das Handelsbündnis sollte nach dem Willen der Regierenden in Brüssel, Berlin und Washington der ganz große Wurf werden. Ziel ist es, Zölle und andere Handelshemmnisse abzubauen, Industrie- und Prüfnormen zu vereinheitlichen und den öffentlichen Sektor zu liberalisieren. Als fester Bestandteil des Regelwerks ist auch ein Investitionsschutzabkommen vorgesehen. Ein Kapitel, das besonders umstritten ist.

Acht Verhandlungsrunden haben die Delegationen bereits hinter sich. An diesem Montag beginnt die neunte Runde in New York. Über den Inhalt ist nur so viel bekannt: Es werde um "eine große Spannbreite von TTIP-Themen" gehen, heißt es auf der Homepage der EU-Kommission. Kaum ein Satz wäre wohl besser geeignet, das Hauptproblem zu beschreiben, in dem die Verhandler stecken. Worüber genau geredet wird und welche Ziele im Detail beide Seiten verfolgen, ist auch nach fast zwei Jahren ziemlich unklar. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen und es dringt kaum etwas nach außen. Selbst der Inhalt des Verhandlungsmandats wurde zunächst geheim gehalten. Diese Verschwiegenheit ist nichts Ungewöhnliches bei Freihandelsgesprächen. Nur dass TTIP eben nicht irgendein Abkommen ist, sondern die USA und die EU damit so etwas wie die Vorstufe für einen gemeinsamen Binnenmarkt schaffen. Ein Vorhaben dieser Größenordnung setzt weltweit neue Maßstäbe - und weckt Ängste in der Bevölkerung.

Die EU hat erst spät, vielleicht zu spät, auf die wachsende Kritik an TTIP reagiert. Seit die Schwedin Cecilia Malmström im vergangenen November das Handelsressort der Kommission übernahm, hat sich jedoch einiges geändert. Ein Teil der Verhandlungspapiere wird im Internet veröffentlicht, Parlamentarier haben besseren Zugang. Gelesen werden die Papiere im Netz aber nur von wenigen Interessierten, was auch daran liegen dürfte, dass der Inhalt so unverständlich formuliert ist, dass ihn außer Insidern kaum jemand versteht.

Malmström lässt keine Gelegenheit aus, für TTIP zu werben. Viele Vorwürfe in der laufenden Debatte basierten nicht auf wahren Fakten, kritisiert sie. So werde behauptet, dass TTIP die Demokratie, die Umwelt, den Verbraucher und Arbeitsstandards bedrohe. "Das ist absolut nicht der Fall", meint sie. Auf solche Aussagen wollen sich die Gegner des Abkommens allerdings nicht blind verlassen. Sie fordern mehr Transparenz. Ihr Vertrauen hat gelitten, etwa darunter, dass die EU und Spitzenverbände der Wirtschaft inzwischen einen Teil ihrer Prognosen zum Nutzen von TTIP korrigieren oder zurücknehmen mussten, weil entsprechende Studien falsch und zu optimistisch interpretiert wurden.

Viele fragen sich nun, wer am Ende von einem Abkommen wirklich profitiert. Aus deutscher Sicht dürften das vor allem die Auto- und Chemieindustrie sowie der Maschinenbau sein. Von einer Annäherung bei Produktionsstandards könnten Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks profitieren. Auch BDI-Chef Ulrich Grillo betonte am Sonntag noch einmal die Vorteile von TTIP. Das Abkommen sei eine "einzigartige Möglichkeit, wichtige Regeln für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu schaffen - und zwar auf hohem Niveau". Grillo sprach sich zudem dafür aus, dass der Handelsvertrag ein "umfassendes Nachhaltigkeitskapitel" enthalten solle, "in dem sich EU und USA auf die Einhaltung hoher Standards zum Schutz von Arbeitnehmern und der Umwelt einigen".

Obwohl der Widerstand in der eigenen Partei groß ist, steht auch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel hinter dem Abkommen. Gerade die Deutschen hätten ein Interesse daran, dass die künftigen Standards nicht von China und den USA, sondern von Europa und den USA bestimmt würden, betont er. Kritiker halten dieses Argument allerdings für fadenscheinig. Denn TTIP ist nur eines von vielen Bündnissen, über das die EU derzeit verhandelt. Ein ganzes Bündel Freihandelsverträge wird derzeit diskutiert, laut EU-Kommission sind es mehr als 30. Ein Investitionsschutzabkommen mit China ist ebenfalls in Arbeit.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: