Transparenz für Verbraucher:Eine Frage der Haltung

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Immer mehr Menschen wollen wissen, wie Tiere gelebt haben, bevor sie geschlachtet werden. Supermärkte reagieren. Gelingt so Genuss mit Gewissen?

Von Markus Balser und Moritz Geier

Michael Hauser steht in seinem Stall, beim Reden tätschelt er den Kopf seiner Schweine. Die schwarze Schildmütze hat er tief ins Gesicht gezogen. "Mir setzt es zu, dass wir als Sündenbock dastehen", sagt er, die Tierhaltung generell werde in der Öffentlichkeit kritisiert, ständig von Massentierhaltung geredet. Dabei ist er einer von denen, die es anders machen.

"Vor allem junge Landwirte haben Lust, etwas anders zu machen."

Am Rande von Lanke, einem Ortsteil des brandenburgischen Wandlitz, hält Hauser auf seinem Bio-Hof 1000 Mastschweine und 250 Mastrinder in großen Ställen. Seine Schweine leben im Stroh, nicht auf harten Spaltenböden, die oft Verletzungen anrichten. Sie haben 50 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Der Einsatz von Antibiotika ist streng reglementiert. Sein Hof, 50 Kilometer nördlich von Berlin, ist ein Familienbetrieb, in dem alle mit anpacken. Hausers Schweine sollen es in ihrem kurzen Leben gut haben. Sie landen als Bio-Ware bei Edeka. Von ihrer Kastration spüren die Ferkel dank teurer Betäubung nichts. Sie bekommen spezielle Tränken, Spielzeug gegen Stress. Die Kosten für die tiergerechtere Haltung seien doppelt so hoch wie in der konventionellen, sagt Hauser. Aber der höhere Preis des Fleischs mache die Kosten wett. Trotzdem ist die Tierhaltung, wie er sie betreibt, in Deutschland nicht Normalität. Warum? Hauser fasst es so zusammen: Es fehle eine klare Kennzeichnungspflicht, damit der Verbraucher erkennt, was er kauft. Und im Laden zähle vor allem der Preis. Je niedriger, desto besser.

Dabei geht es anders. Wie die Henne lebt, die Eier legt? Im Supermarkt ist das leicht zu erkennen. Eine Ziffer von null bis drei auf dem Etikett gibt Aufschluss. Null steht für Bio-Ei, eins für Freiland, zwei für Bodenhaltung und drei für den Käfig. Seit 2005 ist diese Kennzeichnung Pflicht. Die Folge: Kaum noch ein Geschäft bietet Eier aus Käfighaltung an - die Kunden wollen sie einfach nicht mehr.

Wie Schweine, Rinder oder Hühner gelebt haben, deren Fleisch in der Kühltheke liegt? Für Verbraucher ist das bis heute kaum zu erkennen. Zwar wüssten aktuellen Umfragen zufolge fast 80 Prozent der Deutschen gerne, ob Lebensmittel aus tierfreundlicher Haltung kommen.

Doch das wichtigste Unterscheidungsmerkmal beim Fleisch ist noch immer der Preis. 400 Gramm Hähnchensteaks für 1,99 Euro, so wirbt etwa Aldi. Die Strategen im Handel wissen: Angebote wirken wie Köder.

Denn die Deutschen lieben Fleisch. Jeder in diesem Land isst durchschnittlich fast 60 Kilo im Jahr. Doch während das Bewusstsein für gute Ernährung eigentlich wächst, während Kochshows und teure Küchengeräte boomen, weiß kaum jemand, was da wirklich auf seinem Teller landet. Der Anteil von Biofleisch liegt in Deutschland bei gerade mal ein bis zwei Prozent. 98 Prozent kommen aus konventioneller Haltung. Landwirte richten sich dabei meist nur nach gesetzlichen Mindeststandards, die umstrittene Praktiken wie das Kastrieren ohne Betäubung bei Ferkeln, das dauerhafte Anbinden von Kühen oder das schmerzhafte Schnäbelkürzen bei Hennen ermöglichen. Zertifiziertes Fleisch, bei dem die Tiere ein besseres Leben hatten, ist die Ausnahme.

Damit wollen sich viele Verbraucher offenbar nicht mehr abfinden. Mehrere Skandale haben den Bürgern gezeigt, welche Qual dem Fleischgenuss oft vorangeht: Geheim aufgenommene Videos von überfüllten Ställen mit kranken Tieren etwa, Berichte über gestresste, verletzte Schweine, die über Betonspalten rutschen.

Den Supermarktketten ist die Entwicklung nicht verborgen geblieben, sie erweitern derzeit ihr Sortiment und bieten zertifiziertes Fleisch an: Es soll tierfreundlicher sein als bisher üblich, aber weniger teuer als Biofleisch. Aldi hat im Frühjahr die Marke "Fair & Gut" eingeführt. Lidl hat diese Woche ein eigenes Kennzeichnungssystem für Fleisch gestartet. Mit vier Stufen, ähnlich wie beim Ei. Die erste steht für die Mindestanforderungen. Stufe vier für Bio. Das Thema Tierwohl ist bei den großen Discountern angekommen. Allerdings: Bringt das wirklich mehr Überblick? Neben den Bio-Siegeln, die für Haltungsstandards über dem gesetzlichen Minimum stehen, gibt es zwei weitere, für die sich auch konventionelle Betriebe anmelden können: zum einen das Siegel der freiwilligen Initiative Tierwohl. 6000 Betriebe haben sich ihr angeschlossen. Damit hat die Initiative viel mehr teilnehmende Landwirte als das strengere Siegel des Deutschen Tierschutzbundes. An ihm nehmen nur einige Dutzend Betriebe teil.

Stroh, Gras, frische Luft: Diese Lebensqualität hat nur ein sehr geringer Prozentteil der Tiere. Die meisten Schweine leben auf Spaltböden. (Foto: Christian Endt)

Das seit Jahren angekündigte staatliche Label, das generelle Mindeststandards setzen könnte, scheiterte bislang am Widerstand der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft. Daher sind die Landwirtschaftsbetriebe mit höheren Standards noch immer in der Minderheit. Verbraucherschützer bleiben ohnehin skeptisch. Sie halten die Tierwohl-Siegel zwar für Versuche, etwas zu ändern. Doch sie gehen ihnen nicht weit genug. Fachleute fordern ein staatliches Einstufungssystem wie beim Ei. "Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher wollen Fleisch aus tierfreundlicher Haltung kaufen, können aber bislang entsprechende Infos am Produkt nicht erkennen", klagt Ingmar Streese, Geschäftsbereichsleiter vom Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin.

Die bestehenden Label seien kaum bekannt und hätten auch noch unterschiedliche Ansprüche. "Das verwirrt Verbraucher und führt letztlich zu einem Marktversagen." Dabei ändert sich etwas in den Betrieben. "Vor allem junge Landwirte haben Lust, etwas anders zu machen", sagt Gesa Lampe. Sie ist gerade mal 29 Jahre alt und hat gerade im niedersächsischen Bockstedt in 14. Generation den Mastbetrieb der Eltern übernommen. "Wir spüren, dass die Gesellschaft von uns bei Umwelt- und Tierschutz eine Reaktion erwartet. Und viele sind dazu bereit." Aber es sei eben auch klar, dass das Umsteuern etwas koste. "Landwirte können das nicht alleine tragen", sagt sie, "wir müssen höhere Verkaufspreise erzielen, sonst lassen sich bessere Standards wie mehr Platz oder Stroheinstreu nicht finanzieren."

Lampe hat investiert, bietet Tieren für die Tierwohl-Initiative bessere Bedingungen. Das helfe Tieren und Landwirten, sagt sie. "Wir spüren eine Veränderung für die Tiere und die Tiergesundheit nimmt tendenziell zu. Wir brauchen weniger Antibiotika. Die Schweine scheinen sich wohler zu fühlen." Doch viele Bauern fragen sich angesichts des harten Konkurrenzkampfs beim Preis auch, wie sie sich das leisten können. Auf seinem Hof im bayerischen Sielenbach faltet Reinhard Herb einen zwei Meter langen Plan auseinander und legt ihn auf den Küchentisch. Das Papier zeigt die Grundrisse seiner Schweineställe. Baujahr 1992 und 1997, mit Buchten für 1500 Tiere. Bisher hält er die Schweine konventionell nach gesetzlichen Mindestanforderungen. Herb, 64, denkt darüber nach, ob sein Hof tierfreundlicher werden kann. Ob sich die Ställe so aufrüsten lassen, dass er Fleisch unter einem Label verkaufen kann. Aber es gibt da ein Problem: "Wir wissen einfach nicht, wie", sagt er.

Eine Bedingung lautet: Die Tiere brauchen mehr Platz. Herb könnte das erfüllen, indem er weniger Tiere hält, aber weniger Tiere hieße auch weniger Absatz. Er müsste also den Stall verlängern, auf dem Plan hat er deswegen einen möglichen Anbau einzeichnen lassen. Eine weitere Bedingung: Die Tiere brauchen Zugang zu frischer Luft. Herb fährt mit einem Finger über die Längsseite des Stallgrundrisses, hier müsste er einen überdachten Auslauf anbauen. Die Kosten? "Alles in allem sind wir da irgendwo bei 300 000 Euro." Viel Geld sei das für einen, wie er sagt, "ganz durchschnittlichen" Familienbetrieb, der auch noch 30 000 Masthähnchen hält. Es ist eine Investition, für die er gerne die Sicherheit hätte, dass das Geld wieder reinkommt. Bei Masthähnchen hat Herb schon so seine Erfahrungen gesammelt. Er hat auf eine tierfreundlichere Haltung umgestellt. Dafür bekommt er gerade mal 2,75 Cent mehr pro Kilo. Nicht fair, findet Herb. Und was, wenn in zwei Jahren wieder ein anderes Label kommt? Andere Anforderungen, noch mehr Kosten?

Denn es gilt als wahrscheinlich, dass noch mehr in Bewegung gerät. Verbraucherschützer Streese lobt zwar das Bemühen um Transparenz, fürchtet aber mehr Verwirrung als Klarheit. "Der Vorstoß verschiedener Einzelhändler mit eigenen Labels zeigt, dass die Politik zu lange gewartet hat." Die Sorge: Handelsketten könnten sich weitere eigene Siegel schaffen, die kaum noch vergleichbar sind. Die Verwirrung wäre perfekt. Die neue Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) müsse nun dringend handeln und wie bei Eiern ein staatliches System einführen. Doch das ist nicht in Sicht. Die neue Ministerin denkt zwar über ein freiwilliges staatliches Label nach, aber nicht über eine verpflichtende Kennzeichnung für alle wie beim Ei.

"Wenn ich das Vertrauen habe, dass ich investieren kann, dann machen wir das mit dem Stall."

Die Discounter jedenfalls nutzen den Wunsch, aber auch die Verwirrung der Verbraucher. Sowohl Aldi als auch Lidl bewerben ihre Initiativen öffentlichkeitswirksam: Seht her, wir tun was für die Tiere. Im Idealfall bringt das noch mehr Kunden. Aldi erklärt auf Nachfrage, Landwirte für ihren Mehraufwand "angemessen zu entlohnen", wenn sie Fleisch für Produkte der neuen Eigenmarke "Fair & Gut" liefern - mit einer 30 Prozent höheren Vergütung. Aldi wolle den Landwirten zudem "langfristige Lieferverträge" anbieten. Trotz gut vermarkteter Versprechen allerdings bleiben Aldi und Lidl Transparenz schuldig. Eine SZ-Anfrage für einen Besuch im Stall von Lieferbetrieben lehnten beide Handelsketten ab.

Forscher hoffen, dass sich schnell noch deutlich mehr ändert. Lars Schrader ist Tierwohlexperte, er leitet das Friedrich-Loeffler-Institut, eine Bundesforschungsstelle für Tierschutz und Tierhaltung in Celle. Als die Standards des Tierschutzlabels und der Initiative Tierwohl für die Schweinehaltung festgelegt wurden, war er selbst beratend dabei. Schon kleine Verbesserungen könnten etwas fürs Tierwohl tun, sagt er. Sitzstangen für Hühner böten einen geschützten Ruheort. Langsamere Mast mache die Tiere lauffähiger und aktiver. Mehr Platz im Stall führe dazu, dass ruhende Tiere weniger gestört würden und beuge Krankheiten vor. Schrader sagt aber auch: Wie der Betriebsleiter für die Tiere sorge, "kann mindestens eine ebenso wichtige Rolle für artgerechte Haltung spielen wie Stallbegebenheiten". Auch in einem Biobetrieb mit Auslauf, der schlecht organisiert sei, könne es Tieren schlechter gehen als in einem gut geführten konventionellen Stall.

In Sielenbach steht Herb vor seinem Stall, genau an der Stelle, wo der Grundrissplan einen Anbau vorsieht. Der Mann hat noch Zuversicht. Er wolle abwarten, wie sich das mit dem Label der Initiative Tierwohl entwickle, sagt er. "Wenn ich dann das Vertrauen habe, dass ich investieren kann, dann machen wir das mit dem Stall."

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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