Touristen in Japan:Kaufen, bis der Koffer platzt

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Vor allem Chinesinnen planen ihren Einkauf in der japanischen Hauptstadt akribisch. (Foto: Kiyoshi Ota/Bloomberg)

Chinesen bereisen in Massen Tokio - für ihren Konsumrausch haben die Japaner sogar ein Wort erfunden.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Japans Kunstwort des Jahres heißt "Bakugai". Das Wort setzt sich zusammen aus dem Schriftzeichen für "platzen" oder "explodieren" und jenem für "kaufen". Gemeint sind die Kauforgien chinesischer Touristen in Japan.

2015 sind die Chinesen erstmals die größte ausländische Touristengruppe im Land, ihre Anzahl hat sich in einem Jahr verdoppelt. Sie geben pro Kopf mehr als doppelt soviel Geld aus wie Touristen aus Taiwan und Hongkong, denen der Yen ebenfalls locker in der Tasche sitzt. Europäer sind dagegen notorisch knauserig.

Viele Chinesen - und vor allem Chinesinnen - planen ihren Bakugai in Tokio akribisch. Sie wissen, bevor sie ankommen, was sie in welchen Läden kaufen. Manche lassen sich von in Japan lebenden Freunden Handtaschen, Schuhe, Musikinstrumente, Kameras und vor allem Reiskocher suchen und vorab bestellen. Oder später nachschicken. Manche chinesische Studentinnen in Tokio bestreiten ihren Lebensunterhalt mit solchen Dienstleistungen. Eigentlich gibt es alles, was die Touristen wollen, auch in China. Aber der Reiskocher von Toshiba könnte dort ja gefälscht sein, die Louis-Vuitton-Handtasche sowieso. Den Läden in Japan dagegen vertrauen sie blind. Deshalb kaufen sie auch Reiskocher "Made in China" hier, zuweilen sogar Geräte fürs japanische 110-Volt-Netz. Transformatoren gebe es in China billig, sagen sie.

Der Handel hat reagiert: Viele Läden verkaufen nun auch Geräte für 220 Volt und stellen Personal ein, das chinesisch spricht und die Mehrwertsteuer-Rückerstattung organisiert. Der Elektronik-Discounter Laox hat damit seinen Umsatz 2015 um 50 Prozent gesteigert. Indes sind die chinesischen Touristen selbst in Japan nicht mehr vor den Tricks ihrer Landsleute sicher. Vor allem Gruppenreisende nicht, deren Busse stets vor spezialisierten Geschäften halten (die der Reiseleiterin Provisionen zahlen). Am Rande des Elektronik-Viertels Akihabara, außer Sichtweite der großen Discounter, gibt es ein Geschäft, das Video-Kameras, Reiskocher, Elektrozahnbürsten und Kosmetik verkauft. Genau was die Chinesen wollen. Alle Verkäufer sprechen Chinesisch. Meist steht der Laden leer - bis ein Bus kommt. Viel Zeit gewährt die Reiseleiterin ihren Touristen nicht, jedenfalls nicht genug, bis sie herausfänden: Der Laden verkauft Vorjahresmodelle - und zu teuer. Apple bringt seine neuen iPhones in Japan jeweils zwei drei Monate früher auf den Markt als in China. Zahlreiche junge Chinesen stellen sich deshalb in Tokio mehrfach an, kaufen ein halbes Dutzend Geräte und fliegen nach China. Wer im Reich der Mitte ein Gerät hat, bevor man dort überhaupt kaufen kann, "gewinnt Gesicht", also Prestige. Und lässt sich das etwas kosten. Junge Frauen pendeln mit leeren Koffern nach Japan und mit Übergepäck zurück. Am Flughafen tragen sie beheizbare Klo-Sitze unterm Arm, die bei Chinas Neureichen beliebt sind - und in keinen Koffer passen. Die Wirtschaftszeitung Nikkei konstatierte jüngst, "die Chinesen halten unsere Kaufhäuser im Alleingang über Wasser". Inzwischen gibt es allerdings auch Chinesen, die "immobile Souvenirs" suchen: Sie kaufen Wohnungen in Tokio.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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