Tierzucht:Mit Leib und Seele

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Klaus Schwagrzinna, Lammzüchter von der Müritz, macht alles selbst: Tierauswahl, Zucht, Fütterung, Schlachtung, Fleischbehandlung. Das hat natürlich seinen Preis.

Robert Lücke

Leben kann ganz schön anstrengend sein. Zumindest sieht es so aus, wenn man sich die Lämmer anguckt, die gerade völlig platt auf der Wiese von Klaus Schwagrzinna liegen.

(Foto: N/A)

Vor ein paar Minuten sind sie noch auf wackeligen Beinen umhergestakst, ein paar Mal eingeknickt, hingefallen und wieder aufgestanden, dabei immer kurz hinter ihren kugelrunden, dicken Müttern her, die von weitem aussehen wie weiße Strohballen. Solche Bilder sind in diesen Tagen auf unzähligen Wiesen in Deutschland zu sehen, wo Schafe ihren Nachwuchs zur Welt bringen.

Die Schafe von Schwagrzinna aus Stuer an der Müritz in Mecklenburg haben nur den einen Daseinszweck: möglichst lecker zu sein. Schwagrzinna verkauft seine Lämmer an Gourmets und Drei-Sterne-Köche wie Dieter Müller, Heinz Winkler, Juan Amador, Christian Bau oder Joachim Wissler. Sie machen daraus dann Kreationen wie "Gratinierten Rücken und Bries vom Müritzlamm, Chorizojus, Schnitte von gegrilltem Gemüse". Für den Teller verlangt Dieter Müller 54 Euro. Das ist das eine Extrem.

Lamm - kein Hammel

Das andere sind die 36.000 Tonnen gefrorene Rücken, Keulen und Koteletts, die in den Kühltheken von Supermärkten und Discountern landen, importiertes Lammfleisch aus Neuseeland. 92.000 Tonnen Lammfleisch werden in Deutschland in jedem Jahr gegessen, über ein Drittel stammt aus Neuseeland, 49.000 Tonnen aus Deutschland, der Rest aus Großbritannien, Polen, Irland und Frankreich.

Das klingt viel, ist aber nichts im Vergleich zu den 53,3 Millionen Schweinen, die im letzten Jahr in Deutschland geschlachtet wurden. Der Marktanteil von Lammfleisch liegt bei mageren 1,7 Prozent. Die Zahl der Lammfleischfans wächst allenfalls marginal.

Dennoch verkaufen Erzeuger wie Schwagrzinna immer mehr von dem feinen Fleisch mit dem markanten Aroma - zu Lasten anderer Anbieter. Das grundsätzliche Problem beim Lamm: "Der Deutsche denkt, Lamm ist gleich Hammel. Viele erinnern sich an das unangenehme, tranige Aroma alter Hammel oder Widder, die man früher schlachtete und aß", erzählt Heinz Winkler, Drei-Sterne-Koch aus Aschau und Kunde bei Schwagrzinna.

"Ein Lamm dagegen schmeckt überhaupt nicht tranig, wenn es nur jung genug geschlachtet wird." Obendrein hat es sehr gesundes Fleisch, mit wenig Fett und Kalorien, dafür vielen B-Vitaminen.

Bevor sie Braten oder Kotelett werden, haben es Schwagrzinnas Schafe und Lämmer gut. 1700 Mutterschafe leben auf den Sumpfwiesen rings um den Hof der Familie und fressen von morgens bis abends das würzige Moorland-Gras und Kräuter. Hormone, Antibiotika und genmanipuliertes Getreide sind tabu. Einige der jährlich 2700 Lämmer kommen bereits im Winter zur Welt und leben dann einige Zeit im Stall, die restlichen Tiere werden im Mai geboren.

Soweit es das Wetter zulässt, sind sie draußen. "Das macht robust", sagt Schwagrzinna. Die Bio-Tiere sind nicht so krankheitsanfällig wie ihre konventionell in Ställen gehaltenen und mit Chemie vollgepumpten Artgenossen. Nach einem halben Jahr ist dann Schluss mit niedlich.

20 Kilo wiegen die Tiere dann, und Schwagrzinna lässt ihr Fleisch nach dem Schlachten drei Wochen lang abhängen, damit es besonders zart wird. Joachim Wissler, Drei-Sterne-Koch aus Bergisch Gladbach, der schon mal 50 Rücken im Monat kauft, bestätigt: "Das Fleisch von den Müritz-Lämmern ist immer saftig, aromatisch und zart."

Seinen Erfolg erklärt Schwagrzinna so: "Wir haben hier ein riesiges Reservoir an Tieren und können uns immer die besten Mutterschafe und Böcke aussuchen. Wir machen von A bis Z alles selbst, nichts bleibt anderen oder dem Zufall überlassen: Tierauswahl, Zucht, Fütterung, Schlachtung, Fleischbehandlung." Das hat natürlich seinen Preis: Der Heinsberger Delikatessenhändler "Otto-Gourmet" verkauft Rücken von Schwagrzinnas Müritz-Lamm für 45 Euro das Kilo, Keulen kosten 28 Euro. Bei Lamm aus Neuseeland liegen die Preise deutlich niedriger. Doch auch das Neuseeland-Lamm ist qualitativ nicht schlecht, nur weil es billiger ist.

Stromstöße für das zarte Fleisch

Die Neuseeländer behelfen sich mit einem Trick, um ihr Fleisch zart zu machen. Lammfleisch kann nämlich nach dem Schlachten zäh werden, wenn es zu schnell auf Temperaturen unter zehn Grad gekühlt wird.

Das fand das Max Rubner-Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch in Kulmbach heraus. Deswegen muss Lamm mindestens zehn Stunden lang über zehn Grad warm sein, bevor es gekühlt wird. Die neuseeländischen Schlachter geben dem Schlachtkörper deshalb Stromstöße, das Fleisch kann dann auch gekühlt reifen, weswegen neuseeländisches Lammfleisch meist recht zart ist. Die rund 200.000 Bauern in Neuseeland halten etwa 40 Millionen Tiere. Deutschland ist nach Großbritannien ihr wichtigster Markt.

Neuseeländische Lammfleisch ist von einheitlich guter Qualität, egal ob man vor fünf Jahren welches kaufte oder heute, ob bei Aldi oder Kaiser's, es schmeckt immer ähnlich. Der Grund sind einheitliche Standards zur Qualitätssicherung.

In Europa - und auch in Deutschland - darf jeder Bauer und Metzger im Rahmen der Gesetze mit seinen Lämmern machen, was er will. Die Praxis, das Fleisch mit Stromstößen zart zu machen, praktizieren hiesige Schlachter nicht, und wer die Lämmer nicht wie Schwagrzinna wochenlang im Kühlhaus hängen und reifen lässt, riskiert im Zweifel zähes Fleisch.

Viele Spitzenköche und Gourmets wollen nur frisches Fleisch essen. Deshalb greifen sie zu Spezialitäten wie Müritz-Lamm oder Lämmern aus den Pyrenäen, Sisteron oder Pauillac. Geschmacklich sind die Unterschiede nicht so groß, wie viele Erzeuger und Händler ihren gut zahlendem Kunden weismachen wollen.

Ob ein Lamm nun auf Salzwiesen in Irland, der Normandie oder einer Wiese in der Region geweidet hat, wird niemand schmecken. Allerdings gibt es einen Unterschied - zwischen Lämmern, die wie in Neuseeland nur Gras fressen, und jenen, die außerdem noch Heu, Kräuter und Kraftfutter bekommen. Das Aroma der reinen Grasfresser ist sehr mild, die anderen schmecken intensiver nach Fleisch. Tranig aber schmeckt keines dieser Lämmer.

Die Kulmbacher Fleischforscher gaben Leuten, die zuvor angegeben hatten, gar kein Lamm zu mögen, Lamm, das vorbildlich geschlachtet und gekonnt zubereitet war. "Die waren begeistert", berichtet Institutschef Wolfgang Branscheid. " Wir hatten ihnen vorher einfach nicht gesagt, was es war."

© SZ vom 29.3.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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