Thyssenkrupp:Ohne Seil

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Der Aufzug "Multi" soll für den Konzern das nächste große Ding werden. Deshalb wird aus dem Projekt nun ein eigenständiger Geschäftsbereich - mit einem neuen Manager an der Spitze.

Von Valentin Dornis und Benedikt Müller, Essen

Wenn Michael Cesarz sich einen Wunsch erfüllen könnte, dann würde er das Beamen erfinden lassen, sagt er. Doch weil er weiß, dass das wohl Science-Fiction bleibt, kümmert er sich nun erst einmal darum, den Personentransport im Hier und Jetzt zu optimieren. Dafür hat er sich als Manager von einem traditionellen Industriekonzern anheuern lassen: Bei Thyssenkrupp verantwortet er als Chef den neu geschaffenen Geschäftsbereich des "Multi"-Aufzugs, einer Art Magnetschwebebahn für Hochhäuser.

Dieser funktioniert komplett anders als herkömmliche Aufzüge: Er braucht keine Seile, kann seitwärts fahren und viele Kabinen gleichzeitig so durch ein Hochhaus steuern, dass sie jeweils dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Für Thyssenkrupp ist dieser Aufzug derzeit das Symbol dafür, wie sich das Unternehmen wandelt: vom klassischen Industriekonzern zu einem modernen Technologieunternehmen, das aber weiter viele Sparten unter einem Dach vereint. Der 57-jährige Michael Cesarz tritt seine Stelle also in einer spannenden Zeit an - denn einige Investoren halten nicht viel von der Idee eines Mischkonzerns und sähen Thyssenkrupp am liebsten in Einzelteile zerlegt.

Am mächtigsten und lautesten poltert bislang Großaktionär Cevian, der 18 Prozent der Thyssenkrupp-Aktien hält. Die Verwaltungskosten des Mischkonzerns seien viel zu hoch, bemängelt der schwedische Investor seit Monaten. Jetzt kommt noch ein weiterer Kritiker dazu. Der US-Investor Elliott bestätigte in dieser Woche, dass er ein "signifikantes Aktienpaket" von Thyssenkrupp gekauft habe. Der Fonds des Milliardärs Paul Singer sehe bei dem Konzern allerdings noch "erheblichen Spielraum für Verbesserungen", heißt es in einer Mitteilung. Elliott prangert immer wieder Schwächen von Unternehmen an und dringt dort auf Veränderungen.

Doch Vorstandschef Heinrich Hiesinger bleibt bisher bei seiner Strategie eines integrierten Konzerns. Warum, erklärt er gern am Beispiel des Aufzugs "Multi". Demnach hätte Thyssenkrupp den seillosen Aufzug nicht entwickeln können ohne die Magnetschwebetechnologie, die eine Konzerntochter einst für den Schnellzug Transrapid entwickelt hatte. Zudem halfen Mitarbeiter, die eigentlich Autoteile entwickeln, leichtere Aufzugkabinen zu bauen. "Wir führen Thyssenkrupp integriert", betonte Hiesinger bei der Hauptversammlung Anfang des Jahres, "weil das zu messbaren Vorteilen führt".

Der neue "Multi"-Manager Cesarz soll nun die Innovation vorantreiben und Ergebnisse liefern, um die Investoren zu überzeugen. Er spricht ungern über die großen Themen, die Thyssenkrupp derzeit so belasten, lieber über die Technik, die den gelernten Architekten begeistert: "Sie werden bei der Planung von Gebäuden keine Limits mehr haben", schwärmt er, und wenn er die technischen Details erklärt, hält er zwischendurch inne und fragt begeistert in die Runde: "Ist das nicht total cool?"

Ende 2021 soll die erste "Multi"-Aufzugsanlage in einem Berliner Hochhaus verbaut werden. "Bis dahin müssen wir noch weiter testen und daran arbeiten, unsere Prozesse zu industrialisieren", sagt Cesarz. Etwa fünf bis sechs Anlagen pro Jahr in besonders großen Hochhäusern zu verbauen, sei dann das Ziel.

Dabei setzt er auf Dezentralisierung. Die Produktion soll zu großen Teilen in Zusammenarbeit mit Zulieferern geschehen, die Anlagen werden erst an Ort und Stelle montiert. Seine Mannschaft, die bald aus etwa 70 Mitarbeitern bestehen soll, sitzt nur mit 15 Personen in der Essener Zentrale. Etwa 30 Wissenschaftler arbeiten in der Nähe von Stuttgart, dazu kommen Entwickler - und auch Thyssenkrupp-Mitarbeiter, die in ganz anderen Geschäftsbereichen arbeiten. "Wir wollen das Wissen nutzen, das im Konzern vorhanden ist", sagt Cesarz. Mit dieser Herangehensweise liegt er voll auf Linie mit Konzernchef Hiesinger.

Allerdings ist die Vernetzung nicht so leicht. Im Konzern brauche es ein "gewisses Momentum", bis die interdisziplinäre Kommunikation etabliert sei, sagt Cesarz. Das habe er schon bei seinen Stationen bei der Modekette Peek&Cloppenburg und bei der Kette Metro gelernt.

Beim "Multi"-Aufzug gebe es außerdem noch eine weitere Herausforderung: Weil das System stark datenbasiert und mit intelligenter Steuerung arbeitet, braucht Thyssenkrupp gute Software-Ingenieure. "Dieser Bewerbermarkt ist wirklich hart umkämpft", stellt Cesarz fest. Da konkurriert Thyssenkrupp, der Industriegigant auf dem Weg zum Technologieunternehmen, mit einer riesigen Anzahl anderer Firmen, die Software-Experten mit gut bezahlten Jobs umwerben.

© SZ vom 26.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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