Thyssen-Krupp:Verdammt viel los

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High-Tech statt nur Stahl: Heinrich Hiesinger testet eine jener Brillen, die die Wartung von Aufzügen seines Konzerns erleichtern soll. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Heinrich Hiesinger ist vor fast sechs Jahren angetreten, um den kriselnden Thyssen-Krupp-Konzern zu retten. Vieles aber, was er dazu braucht, hat er selbst gar nicht in der Hand.

Von Varinia Bernau, Essen

Heinrich Hiesinger hat sich eine Brille aufgesetzt, die die Welt um einen herum um ein paar zusätzliche Dinge ergänzt. Die Techniker von Thyssen-Krupp nutzen sie bereits, um den Aufzug im neuen World Trade Center zu warten. Sie sehen dann nicht nur die abgenutzten Bauteile. Sie können auch auf diese Stellen tippen - und schon öffnet sich vor ihren Augen eine virtuelle Bestellliste für Ersatzteile. Ein Klick in die Luft genügt, um Nachschub zu ordern. Die Brillen sollen bald auch anderswo zum Einsatz kommen, damit die Aufzüge, die Thyssen-Krupp liefert, möglichst selten stillstehen. Vor mehr als fünf Jahren ist Hiesinger angetreten, um den kriselnden Stahlkonzern zu einem Anbieter von Hightech und Dienstleistungen zu formen. Die Brillen passen perfekt zu diesem Plan: Sie stärken das Geschäft mit den Aufzügen, das derzeit schon als Ertragsperle gilt. Das Problem ist nur: Es ist nur einer von fünf Bereichen des Mischkonzerns.

Die Rückschläge, die Hiesinger zuletzt hinnehmen musste, lassen sich nun auch in der Bilanz nachlesen. Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) ist um zwölf Prozent auf 1,47 Milliarden Euro gesunken. "Es bleibt unser Anspruch, die zwei Milliarden Euro zu erreichen", betont Hiesinger. Bis wann? Da wagt er keine Prognose. Im neuen Jahr soll der Gewinn auf 1,7 Milliarden Euro steigen. Hiesinger ist vorsichtig.

Für sein Stahlgeschäft hatte der Konzern fast einen Partner gefunden - dann kam der Brexit

Es gibt zu viele Dinge, die er nicht selbst in der Hand hat: Da sind die schwankenden Rohstoffpreise, die im vergangenen Jahr dazu geführt haben, dass die Kunden aus dem Bergbau und aus der Chemieindustrie kaum Anlagen geordert haben. Da sind die Unmengen an Stahl: Schon in den europäischen Hütten wird mehr produziert, als gebraucht wird. Hinzu kommen Billigimporte aus China. Und so orderten die Kunden von Thyssen-Krupp mit knapp zwölf Millionen Tonnen zwar mehr als noch im Jahr zuvor. Aber der Umsatz ging trotzdem um ein Zehntel nach unten, weil der Konzern angesichts des enormen Angebots die Preise senken musste. Und da ist der Brexit, der es noch schwieriger macht, mit Tata einen Partner für das schwierige Stahlgeschäft zu gewinnen. Denn Thyssen-Krupp pocht darauf, dass der Konzern zunächst seine milliardenschweren Pensionslasten in Großbritannien klärt. Das aber steht weder auf der Prioritätenliste der neuen Premierministerin Theresa May ganz oben noch auf der des neuen Chefs des indischen Mutterkonzerns Tata.

"Es ist einfach verdammt viel los in der Welt", sagt Hiesinger. Umso wichtiger sei es, nun eben das zu erledigen, was er selbst in der Hand hat. Etwa in der Stahlsparte. Solange sich die Gespräche mit möglichen Partnern hinziehen, werde der Konzern nicht in einer Warteposition verharren. Stattdessen habe er ein neues Programm aufgelegt: Der Vertrieb solle nicht mehr wie eine Insel arbeiten, sondern Impulse in die Produktion geben. Eigene Einheiten, die sich an den Kunden etwa im Autobau oder in der Verpackungsindustrie orientieren, sollen deren spezifische Anforderungen ausloten. Und es werde weitere Einschnitte geben, sagt Hiesinger. Einzelheiten werden erst im Frühsommer kommenden Jahres feststehen. Der Betriebsrat des Konzerns hat bereits vor möglichen Standortschließungen gewarnt. Die Überkapazitäten seien derart hoch, betonte Hiesinger, das kriege man nicht nur durch weitere Einsparungen in den Griff. Man laufe dann Gefahr, dass alle Erfolge dahingerafft werden, weil die Preise weiter sinken. "Wir wollen unsere Mannschaft nicht auf eine Mission Impossible schicken."

Und als wäre das alles nicht schon schwierig genug, sieht sich Hiesinger nun wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert: Ausgerechnet Michael Wegmann, den er von Siemens geholt hat, um im Industriegeschäft aufzuräumen, trat vor zwei Wochen zurück - nachdem bekannt geworden war, dass er von einem pakistanischen Geschäftspartner als Gastgeschenk ein teures Armband für seine Frau angenommen hatte. Und nun untersucht auch noch der israelische Generalstaatsanwalt den Kauf von drei U-Booten. Wegen dieses 1,5 Milliarden Euro schweren Geschäfts steht der dortige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Kritik. Er soll den Deal gegen den Widerstand des Verteidigungsministeriums vorangetrieben haben. Sein persönlicher Rechtsberater vertritt als Anwalt auch jenen Mann, auf den Thyssen-Krupp dort als Vermittler für seine Marinesparte setzt.

Ja, es gebe unter den 155 000 Mitarbeitern, auch unter jenen, die er selbst geholt hat, um den Kulturwandel voranzutreiben, solche, die Fehler machen. Dennoch mache man Fortschritte. Im Kampf gegen Korruption ebenso wie beim Umbau des Geschäfts. "Wir sind so ehrlich zu sagen, es ist immer noch zu wenig."

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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