The March:Der Geist aus der Flasche

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Warum ein neuer, weltweit eingesetzter Werbespot für Coca Cola ausgerechnet von einer Acht-Mann-Agentur in Kreuzberg entwickelt wurde.

Ralf Wiegand

Gregor Gründgens ist sauer. Da hat die Berliner Agentur, in deren lichtem Loft er lässig steht, gerade einen siebenstelligen Betrag für einen 60 Sekunden langen Werbefilm über Coca-Cola ausgeben dürfen. Da ist er extra von der Friedrichstraße nach Kreuzberg herüber gekommen, um fast zwei Stunden lang über nichts anderes als Coca-Cola zu reden.

In nur drei Ländern wird Coca-Cola nicht verkauft, ist aber nach "okay" der weltweit am besten verstandene Begriff. (Foto: Foto: AFP)

Und was trinken diese Leute? Stilles Wasser aus Plastikflaschen und Milchkaffee aus Gläsern. Auf keinem einzigen Schreibtisch eine Coke. "Da haben wir's mal wieder", brummt Gründgens. Gleich soll er für ein Foto lächeln, aber das könnte schwierig werden, weil er aussieht wie ein Magier, der eine kleine Flasche aus dem Ärmel zaubern müsste, aber die Formel vergessen hat.

Gründgens, das muss man wissen, trägt den Hausausweis für die deutsche Coca-Cola-Zentrale um den Hals und die Markenidentität anscheinend tief im Herzen. Angestellte des Weltkonzerns aus Atlanta übernachten nicht in Hotels, die ihre Minibars mit der falschen Marke befüllen.

Aus Restaurants, die Pepsi im Ausschank haben, gehen sie rückwärts wieder raus. Gründgens, der bis vor ein paar Wochen noch "Group Manager Advertising Coca-Cola Deutschland" war, sagt Sätze wie: "Coca-Cola ist mehr als Zucker und Wasser."

Inzwischen ist Gründgens, 36, in der Firma auch mehr geworden. Er darf sich jetzt "Director of Marketing Communications" nennen, und Kollegen, die ihn in der Lobby der Deutschland-Zentrale in der Friedrichstraße stehen sehen, rufen ihm Glückwünsche zur Beförderung zu. Es hat eine richtige Aufstiegskettenreaktion in der deutschen Dependance gegeben: Gründgens' bisheriger Chef wirkt demnächst sogar in London. Die ganze Sache dürfte ihm nicht geschadet haben.

Eine Sensation

Die ganze Sache: Sie passt auf eine schneeweiße DVD, die Todd Schulz, 46, ins Laptop schiebt. Schulz und sein Kompagnon Axel Pfennigschmidt, 47, betreiben in dem Kreuzberger Loft die Agentur International, und Gregor Gründgens kennen sie, weil Coca-Cola der größte Kunde der kleinen Kommunikationskünstler ist.

"The March" heißt der Film, den die Werber im Auftrag von Coca-Cola haben drehen lassen und der jetzt jungen Menschen in vielen Ländern der Welt suggerieren soll, sie könnten alles schaffen, wenn sie nur zusammenhalten. Eine Coke in der Hand kann dabei zumindest nicht stören.

Dass der Film aus einer jungen, sehr kleinen Agentur aus Deutschland kommt, ist in der Branche eine Überraschung, wenn nicht eine Sensation.

"Together as one" lautet die Botschaft, die auch das Motto für Pfennigschmidt und Schulz gewesen sein könnte. Die beiden Werbeprofis kennen sich seit Jahren, arbeiteten zusammen als Angestellte der Londoner Agentur "leagas-delaney" für Großkunden wie adidas.

Dann tourte Schulz weiter durchs Ausland, Pfennigschmidt machte sich in Hamburg selbstständig. Als beide neu anfangen wollten, trafen sie sich wieder und gründeten in Berlin die Agentur "International". Das ist gerade mal zwei Jahre her, und "Kunden hatten wir keinen einzigen", sagt Todd Schulz. Aber Ideen und Kontakte.

Ein Begriff in aller Welt

Man kann für alle möglichen Produkte Werbung machen, und das ist umso leichter, je neuer ein Produkt ist. Die ungewöhnliche Geschmacksrichtung eines Joghurts, das innovative Bremssystem im Auto, die hippe Kreation einer Modekette - das ist Tagesgeschäft in der Werbung. Bei einem Fixstern wie Coca-Cola liegt die Sache anders.

Seit 119 Jahren ist das einst als Medizin erfundene Getränk in unveränderter Rezeptur auf dem Markt. "Nur in drei Ländern der Welt wird es offiziell nicht verkauft", sagt Unternehmenssprecherin Claudia Fasse: Nordkorea, Burma und Cuba. Coca-Cola, behaupten Forscher der Harvard Business School, ist nach "okay" der Begriff, der weltweit am besten verstanden wird. Gründgens erzählt gerne, wie eine Bekannte darauf reagierte, als sie erfuhr, dass er bei Coca-Cola im Marketing arbeitet: "Sie hat ganz ernst gefragt: ,Wieso das denn?'"

Eigentlich ist es nicht vorgesehen in der Welt der Werbung, dass die globalste Marke der Gegenwart eine strategisch geplante Imagekampagne ausgerechnet an eine Acht-Mann-Agentur in Berlin-Kreuzberg vergibt - in der damals noch nicht einmal acht Mann arbeiteten.

Den Mythos am Leben erhalten

Die Coca-Cola-Zentrale hatte ja nicht weniger als ein "Manifest zur Wiederherstellungen des Ikonischen" ihrer Marke verfasst, und das sollte nun durch einen Film mit Leben gefüllt werden. "Es sollte etwas Grundsätzliches über die Marke gesagt werden, das ihren Wertstandpunkt und ihre Rolle in der Gesellschaft darstellt", sagt Gründgens.

Das klingt so hochfliegend, wie es gemeint ist. Eine Marke muss ihre Rolle in einer sich verändernden Welt immer wieder neu erfinden. Nur mit neuen Geschichten bleibt der Mythos am Leben, der dazu anstiftet, dass weltweit täglich eine Milliarde Portionen Coca-Cola konsumiert werden. Werbung wird so zur Pop-Kultur, zum Ausdruck des Lebensgefühls von Generationen.

Zum ersten Mal schrieb die US-Zentrale dabei eine Art Ideenwettbewerb aus: Die Niederlassungen in fünf Ländern sollten sich Gedanken machen, was der Softdrink der Welt zu sagen haben könnte. Deutschland als wichtigster Markt in Europa war dabei.

Pfennigschmidt und Schulz hatten zu ihrer Agentur-Gründung auch eine Art Manifest geschrieben, ein kleines Heftchen, in dem stand, was sie als Agentur machen wollten und was nicht: international arbeiten, aber nicht zynisch sein. Ein emotionales Angebot machen, aber keine Klischees bedienen. Nur tun, was man selbst verantworten kann. "Alles sehr idealistisch", sagt Gründgens, der das Pamphlet auf den Tisch bekam, als die neue Agentur sich bei potenziellen Kunden vorstellte.

Coca Cola war zu dem Zeitpunkt auch neu in der Stadt und hatte seine Zentrale von Essen in die Hauptstadt verlegt. Für die Leidenschaft der Newcomer hatten sie zu dem Zeitpunkt aber keine Verwendung. Erst als der Auftrag aus Atlanta kam, erinnerte sich Gründgens an die Agentur International: "Habt ihr Lust, für Coca-Cola zu arbeiten?" Fortan waren sie gleichermaßen Kunden und Partner, die gemeinsam Atlanta überzeugen wollten, den Auftrag nach Deutschland zu vergeben.

Berlin schaut aufs Ausland

Gegen die großen Agenturen aus den Metropolen rund um den Globus und die etablierten deutschen Firmen in Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt kamen sich International vor wie ein Kanu, das gegen Passagierdampfer und Motorboote antrat, zu einer Reise um die Welt.

Berlin allerdings ist ein sicheres Gewässer für ein kleines, wendiges Boot. "Berlin", sagt Todd Schulz, "ist im Moment die einzige deutsche Stadt, auf die das Ausland schaut." Sie lockt mit niedrigen Mieten im Zentrum Kreative aus der ganzen Welt an, weil die etwas ausprobieren können, ohne sofort wirtschaftlich erfolgreich sein zu müssen wie etwa im überteuerten London.

Unter jenen, die Pop definieren in der Musik, der Kunst und der Werbung, gilt Berlin als Weltkulturhauptstadt, die den Kuchen noch nicht verteilt hat. "Wenn man hier eine Äußerung macht, die etwas anders ist, fällt man noch auf und steht nicht gleich im Wettbewerb mit anderen Agenturen." Wer hätte das gedacht: die deutsche Hauptstadt, ein Modell für kreatives Leben? "Die Deutschen", findet Gründgens, "sind weder so doof noch so pessimistisch noch so unkreativ, wie sie selbst oft denken."

Entsetzte Gesichter in München

Coca-Cola in Atlanta sah es wohl ähnlich. Rund 70 Ideen-Präsentationen für den als immens wichtig eingeschätzten Image-Spot schaute sich die Konzern-Delegation weltweit an, aber nur in Berlin bekamen sie ein Konzert einer ebenso talentierten wie lauten Punk-Rock-Band präsentiert. Schulz und Pfennigschmidt hatten die Gruppe in der festen Überzeugung einfliegen lassen, keine Chance auf den Auftrag zu haben.

Nicht immer gehen solche Provokationen gut. Als sie ein neues Vereinslogo für den FC Bayern München entwerfen sollten - Deutschlands ebenso populären wie konservativen Fußballverein - "haben wir bei der Präsentation in München in entsetzte Gesichter geschaut", sagt Schulz.

Sie hatten den Klub so konsequent als Marke begriffen, dass sie ein hyper-modernes Logo strickten. Damit hätten die Bayern zwar in der amerikanischen Football-Liga antreten können, ihre weiß-blaue Identität aber auf einen Schlag verloren. Jetzt ist das Logo eine Episode im wachsenden Archiv.

Leere Flaschen

Dort steht auch, an prominenter Stelle, "The March". Bei dem Film durften Schulz und Pfennigschmidt in die Vollen gehen. Roman Coppola, Sohn von Francis Ford Coppola, führte Regie. Drehort war Buenos Aires wegen seiner internationalen Architektur und Flexibilität. 5000 Statisten wirkten mit, acht Kameras nahmen jede Szene auf, zum Teil schwebten sie an Seilen über die breiten Boulevards der Metropole.

Die Geschichte ist einfach: Ein junges Mädchen löst sich aus der grau dahinfließenden Masse, indem es drei mal mit einer Cola-Flasche gegen den Mast eines Straßenschilds klopft. Ein Junge nimmt den Klang auf, sie tun sich zusammen und beginnen, gegen den Strom zu laufen. Immer mehr Jugendliche folgen den beiden und dem Geräusch der Flasche durch die Stadt, übers Land bis auf eine Klippe. Dort schlagen sie nochmal die Flaschen aneinander und bekommen, nach bangem Warten, ein Echo übers Meer zurück.

In dem gesamten Steifen wird übrigens nicht eine einzige Cola getrunken - die Flaschen sind alle leer.

© SZ vom 29.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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