Telefonwerbung:Abzocke am Apparat

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Die Anrufe erscheinen wie ein Relikt aus früheren Zeiten. Und doch rufen Firmen vermehrt bei Verbrauchern an, um etwas zu verkaufen - illegalerweise.

Von Felicitas Wilke, München

In Zeiten, in denen die sozialen Netzwerke Anzeigen haargenau an die Vorlieben ihrer Mitglieder anpassen können, erscheinen Werbeanrufe wie ein Relikt aus dem vergangenen Jahrtausend. Tatsächlich aber rufen die Unternehmen offenbar wieder vermehrt bei Verbrauchern an, um ihnen etwas zu verkaufen - obwohl das ohne vorheriges Einverständnis gar nicht erlaubt ist. Bei der Bundesnetzagentur gingen allein im ersten Halbjahr dieses Jahres 26 080 Beschwerden ein; im kompletten vergangenen Jahr waren es mit gut 29 000 nur unwesentlich mehr.

"Unerlaubte Telefonwerbung ist für uns ein Dauerproblem", sagt auch Tatjana Halm, Rechtsexpertin bei der Verbraucherzentrale Bayern. Es seien vor allem Internet- oder Telefonverträge, Stromverträge, Versicherungen und Zeitungsabonnements, die Verbrauchern telefonisch aufgedrängt werden. Oftmals fahren die Verkäufer eine aggressive Strategie und rufen mehrmals hintereinander bei potenziellen Kunden an. Rechtens ist das in vielen Fällen nicht: Schon vor Jahren trat ein Gesetz in Kraft, das Werbeanrufe ohne vorherige Einwilligung untersagt. Seitdem dürfen Verbraucher nur dann angerufen werden, wenn sie vorher - etwa bei einem Gewinnspiel - an der Stelle, an der das Unternehmen auf Anrufe zu Werbezwecken hinweist, ein Häkchen gesetzt haben.

Widersetzen sich Firmen diesem Gesetz und betreiben weiterhin Kalt-Akquise am Telefon, droht ihnen ein Bußgeld. Zwischen 2013 und Oktober 2016 sammelte der Staat mehr als 2,2 Millionen Euro von Unternehmen ein, die unerlaubt am Telefon ihre Produkte bewarben. Dass sich der Vertriebskanal trotzdem weiterhin zu lohnen scheint, dürfte einen bestimmten Grund haben: Verträge, die am Telefon abgeschlossen werden, gelten auch dann, wenn der vorangegangene Anruf nicht rechtens war. "Unlauteres Werben kann zwar abgemahnt werden, doch es hat grundsätzlich keinen Einfluss auf das Zivilrecht und auf die Wirksamkeit der entstandenen Verträge", sagt Juristin Halm. Für die Unternehmen kann es sich also lohnen, das Risiko eines Bußgelds in Kauf zu nehmen.

Auch wenn es verboten ist, am Telefon zu werben - der Kaufvertrag gilt trotzdem

Strengere Regeln gibt es bisher nur für eine Branche. Telefonisch abgeschlossene Verträge zu Gewinnspielen gelten nur dann, wenn sie vom Kunden schriftlich bestätigt werden. Das zugrunde liegende Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, das vor vier Jahren in Kraft getreten ist, hat gewirkt: Heute machen Anrufe im Zusammenhang mit Gewinnspielen nur noch acht Prozent der Verbraucherbeschwerden aus, die bei der Bundesnetzagentur zu Telefonwerbung eingehen. Bevor es das neue Gesetz gab, hatten sich noch 25 bis 50 Prozent aller Beanstandungen auf Gewinnspiele bezogen.

Anfang dieses Jahres hat das Bundesministerium für Justiz das Gesetz evaluieren lassen. Im Bericht stehen nicht nur erfreuliche Zahlen wie die zu den Gewinnspielen, sondern auch besorgniserregende Entwicklungen für Verbraucher. So haben sich zuletzt deutlich mehr Menschen über Billigstromanbieter beschwert. Machten die Anrufe aus dieser Branche 2011 gerade einmal zwei Prozent aller Beanstandungen aus, waren es im vergangenen Jahr 34 Prozent. Erklären lasse sich das unter anderem "mit dem hohen wirtschaftlichen Anreiz", heißt es in dem Bericht. Denn: Um den Anbieter zu wechseln, genügt es zunächst, wenn der Kunde am Telefon mündlich zustimmt.

Das Geschäft mit Gewinnspielen ist rückläufig, doch immer öfter rufen Billigstromanbieter an

Oppositionspolitiker fordern die Bundesregierung jetzt dazu auf, die für Gewinnspiele geltenden, strengeren Regeln auf andere Branchen auszuweiten. Die Bundesländer sehen das ähnlich. Im Mai hat der Bundesrat einen Gesetzesentwurf beschlossen, der vorsieht, dass ein Vertrag durch unerlaubte Werbeanrufe nur dann wirksam werden kann, wenn das Unternehmen sein Angebot nochmals schriftlich per Post, E-Mail oder Fax vorlegt und es der Verbraucher ebenfalls in Textform bestätigt. Das Bundeswirtschaftsministerium hält unerlaubte Telefonwerbung zwar für ein "ernst zu nehmendes Problem". Da es für Verbraucher aber auch praktisch sein könne, am Telefon Verträge abzuschließen, müsse man "das richtige Maß zwischen dem Schutz vor unseriösen Anbietern und der Ermöglichung seriöser wirtschaftlicher Tätigkeit" finden. Die Ergebnisse der Evaluation wollen die zuständigen Ministerien erörtern, heißt es.

Schon heute haben Verbraucher Rechte, die sie kennen sollten. Wird man von einem Werbeanruf überrumpelt und lässt sich dazu hinreißen, einen mündlichen Vertrag zu schließen, kann man ihn innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Damit es gar nicht so weit kommt, hat Verbraucherschützerin Halm einen simplen Tipp: einfach auflegen. Betroffene können den Vorfall auch der Verbraucherzentrale oder der Bundesnetzagentur melden, die rechtliche Schritte einleiten kann. Dafür sollte man sich die Nummer des Anrufers und idealerweise auch Datum und Uhrzeit notieren. Reduzieren lassen sich unerwünschte Werbetelefonate auch, indem Verbraucher ihre Daten nur sorgsam weitergeben. Gar nicht so einfach bei den unzähligen Kundenkarten, Gewinnspielen und anderen Datensammlern.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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