Tarifkonflikt:1000 Flüge fallen aus

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Der Pilotenstreit eskaliert. Lufthansa klagt gegen die Streiks. Die Vereinigung Cockpit will bis Jahresende wöchentlich mehrfach die Arbeit niederlegen und die Billigsparte Eurowings verhindern.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Am Dienstag startete nur die Hälfte der geplanten Langstreckenflüge. Und an diesem Mittwoch kommt es richtig dick: Wegen des erneuten Pilotenstreiks fallen bei der Lufthansa tausend Flüge aus, also zwei Drittel aller geplanten Verbindungen. 140 000 Passagiere sind von den neuen Streiks der Pilotengewerkschaft betroffen. Und wenn man die Ankündigungen der Vereinigung Cockpit (VC) ernst nimmt, dann wird das in den nächsten Wochen so weitergehen. Mehrere Tage Streik pro Woche sind laut VC-Vorstand Markus Wahl denkbar, Weihnachten ausgenommen. "Mit der in Aussicht gestellten Streikplanung bis zum Jahresende würde der finanzielle Schaden pro betroffenem Piloten 100 000 Euro übersteigen", so Lufthansa-Personalvorstand Bettina Volkens.

Der schlimmste Tarifkonflikt in der Geschichte der Lufthansa eskaliert in beispielloser Weise weiter und stürzt das Unternehmen langsam in eine existenzielle Krise. Am Dienstag Nachmittag beantragte das Unternehmen daher eine einstweilige Verfügung, die die Streiks der Piloten verbieten sollte. Das Arbeitsgericht in Frankfurt wies den Antrag aber ab. Der Ausstand sei nicht unverhältnismäßig. Rechtsmittel gegen den Richterspruch sind möglich, dann müsste das Landesarbeitsgericht entscheiden. Nach Angaben einer Gerichtssprecherin würde das Landesarbeitsgericht den Fall frühestens an diesem Mittwoch Vormittag verhandeln.

Neben dem Versuch, die aktuellen Streiks per Gerichtsverfahren zu stoppen, hat Lufthansa weitere Schritte angekündigt: Bei Lufthansa, Lufthansa Cargo und Germanwings werden keine weiteren Piloten eingestellt. Wer dort bereits fliegt, behält seine aktuellen Privilegien, Lufthansa garantiert den Piloten auch ihre Arbeitsplätze. Aber die drei Airlines werden schrumpfen, denn ausscheidende Mitarbeiter werden nicht ersetzt. Das Unternehmen will künftig mit der Konzerntarifkommission nur noch über Tarifverträge und nicht mehr über das Thema Eurowings reden. Und sie prüft nach eigenen Angaben, alle noch geltenden Vereinbarungen mit der Pilotenvertretung zu kündigen.

Wie hier am Flughafen München musste die Lufthansa am Dienstag viele Flüge streichen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Lufthansa reicht zudem eine Schadensersatzklage gegen die VC wegen eines Streiks bei Lufthansa Cargo im April 2014 ein. Das Unternehmen argumentiert, der Streik habe stattgefunden, obwohl der einschlägige Tarifvertrag noch gegolten habe. Der Schaden belaufe sich auf 60 Millionen Euro. Und schließlich will die Airline prüfen, "welche Möglichkeiten das Tarifeinheitsgesetz bietet, um weiteren Schaden von der Lufthansa und ihren Kunden abzuwenden."

Im Zentrum des Konflikts steht die neue Billigsparte

Es ist für Außenstehende - und auch für Insider - mittlerweile kaum mehr möglich, den Verlauf des Streits, die Positionen und Gegenpositionen sowie die zahlreichen Zwischenschritte bei den Verhandlungen zu rekonstruieren. Doch es scheint eine einfache Regel zu gelten: Der wahre Grund für die aktuelle Eskalation ist keiner der offenen Tarifverträge, die Gehälter, Arbeitsbedingungen, den Vorruhestand und die Pensionen regeln sollen. In Wirklichkeit geht es nur darum, dass die VC die Gründung der Billigsparte Eurowings mit allen Mitteln stoppen will - und zwar am besten sofort. Alle anderen Argumente sind nur vorgeschoben.

Gerade in den informellen Gesprächen der letzten Tage war Lufthansa den Piloten noch einmal sehr weit entgegen gekommen. So weit, dass die Positionen nicht mehr sehr weit auseinanderlagen. Und damit so weit, dass sich mittlerweile die Frage stellt, wie wettbewerbsfähig Eurowings sein wird, wenn all die Einschränkungen tatsächlich greifen. So wollte Lufthansa ursprünglich die aktuelle Billigsparte Germanwings, bei der nahezu Lufthansa-Konditionen geboten werden, aus Kostengründen mittelfristig dichtmachen. Am Wochenende bot die Lufthansa an, dort künftig mindestens 55 Maschinen weiterfliegen zu lassen. Das ist zumindest zum Start des Eurowings-Verbundes, zu dem Germanwings auf jeden Fall in den ersten Jahren noch gehören sollte, die Mehrheit der Flugzeuge.

Auch beim Thema Übergangsversorgung liegen die Positionen der beiden Parteien nur noch minimal auseinander. Wer heute als Pilot bei Lufthansa fliegt, wird faktisch kaum Auswirkungen spüren. Lufthansa will auch das Angebot der VC annehmen, das durchschnittliche Pensionsalter von 58 auf nur 60 Jahre anzuheben. Neu eingestellten Piloten soll eine Übergangsversorgung angeboten werden, allerdings nur, wenn im Gegenzug an anderer Stelle deutlich gespart wird.

Die VC stellt sich allerdings auf den Standpunkt, dass "auch weiterhin kein verbessertes und vor allem abschlussfähiges Angebot" vorliege.

Dabei sollte auch die von den Lufthansa-Piloten heftig kritisierte Planung, einige Langstrecken künftig von der Regionaltochter City-Line fliegen zu lassen, auf lediglich drei Flugzeuge beschränkt werden. Die Vereinigung Cockpit hatte erst vor wenigen Wochen selbst angeboten, die durch den Einsatz der City-Line-Mannschaften angestrebten Einsparungen selbst zu liefern, sodass das Ausweichen auf City-Line nicht mehr nötig sei.

Eurowings - die neue Billigsparte - wird aber weiterhin den Streit dominieren. Lufthansa will die Sparte unbedingt aufbauen, um wieder konkurrenzfähig zu werden. Die Piloten wollen es unbedingt verhindern. Nicht nur wegen der Streiks und der Gerichtsverfahren, auch auf prozeduraler Ebene hat sich in den vergangenen beiden Tagen die Lage weitaus verschlechtert: Dass die beiden Seiten bei Eurowings nicht einig sind, war längst klar. Doch nun haben sie auch noch beschlossen, nicht mehr darüber zu reden.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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