Szene:Zeitenwende vor der Stadtmauer

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Das einstige Scherbenviertel Gostenhof mausert sich zur Ausgeh-Adresse "GoHo". Die Verwandlung gefällt nicht allen Bewohnern.

Von Ingrid Brunner

Man muss etwas ausholen, um zu verstehen, warum die Gostenhofer ein wenig anders ticken als der Rest von Nürnberg. Hilfreich ist schon ein Blick vom Altstadtring in Richtung Plärrer. Man sieht dann: Gostenhof liegt außerhalb des die Altstadt umschließenden Burggrabens. Im Mittelalter war Gostenhof ein Dorf vor den Toren der Freien Reichsstadt. Und der Plärrer, heute ein großer Platz mit noch größerer Kreuzung, war damals eine große Wiese. Längst hat sich die Stadt über den Burggraben hinaus ausgedehnt, doch noch immer trennt Gostenhof vom Rest der Stadt mehr als nur eine Mauer.

"Im 19. Jahrhundert wurde Gostenhof die Keimzelle der Industrialisierung", erklärt der Historiker Daniel Gürtler. Viele Handwerksbetriebe, aber auch einst namhafte Spielzeugfabriken wie Schuco Autominiaturen siedelten sich hier an. Die Fürther Straße war schon damals Hauptstraße und Lebensader des Viertels. Und Nürnberg war, wie Gürtler erzählt, 1835 die verkehrsreichste Stadt Bayerns. So kam es, dass 1835 auf der Fürther Straße der "Adler", Deutschlands erste Eisenbahn, von Nürnberg nach Fürth fuhr. Ein Denkmal erinnert an den historischen Tag.

Auf einem Spaziergang durch Gostenhof mit Gürtler kommt man auch daran vorbei. Er und sein Geschäftspartner Martin Urban (www.urban-history.eu) bieten Stadtführungen an; ganz klassische durch die historische Altstadt, doch auch solche, die ein wenig abseits der kopfsteingepflasterten Gassen verlaufen. Wie aber ist aus Gostenhof "GoHo" geworden, ein beliebtes Ausgeh- und Szeneviertel? Nun, es kommt zum einen daher, dass Gostenhof von den Bomben der Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont geblieben ist. Die Wohnhäuser wurden in den Wirtschaftswunderjahren zum Quartier für Gastarbeiter. Schon bald nannte man den östlichen Teil des Viertels scherzhaft "Gostanbul", während sich in Richtung Westfriedhof viele Italiener niederließen.

Kleine Geschäfte, Kneipen, günstige Mieten und Preise zogen auch die links-alternative Szene an. Eine bunte Melange aus politischen Aktivisten, Menschen mit niedrigen Einkommen und alternativen Lebensentwürfen richtete sich im Viertel ein. Die Community blieb gerne unter sich, hatte ihre eigenen Kneipen, diskutierte gern und viel und legte Wert darauf, über Veränderungen im Viertel basisdemokratisch zu entscheiden. So beteiligten sich die Anwohner an der Umgestaltung des Veit-Stoß-Platzes. Und im Laguz, dem ehemaligen Toilettenhäuschen am Rand des Parks, brät nun ein echter Gostenhofer Bio-Burger.

Das Thema Stadtteilsanierung birgt viel Konfliktstoff, gegen die schleichende Gentrifizierung des Quartiers wehrt man sich auf ganz eigene Art: Frisch renovierte Fassaden werden schon mal mit Farbbeuteln getauft. Ein Hauseigentümer bezog gar Prügel, weil er einen Zaun um seinen Grund errichtete. Dennoch: Veränderung ist sichtbar. Sicher, es gibt noch das Palais Schaumburg, das Centro Galego mit seinem jährlichen Pulpofest. "Es gibt noch Lokale, in denen das Bier zwei Euro kostet", sagt Gürtler. Aber in der ehemaligen Planungskneipe, in der man nächtelang über Renovierungen in eigener Regie diskutierte, serviert nun "Herr Lenz" mediterrane Küche. Zu Antik- & Trödel-Läden gesellt sich der Zeitgeist: Retroläden, eine Kaffeerösterei oder Pop-up-Stores. Noch gibt es hier Nürnbergs einzige Nachtbäckerei, die morgens um halb sechs öffnet. Die zieht aber auch Nachtschwärmer an, die vorher vielleicht im Schanzenbräu ein paar Craft Beer getrunken haben. All das schmeckt den "Ureinwohnern" wenig. So alternativ sie auch sein mögen, sind sie auch in die Jahre gekommen und wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Eine Demo hatte denn auch das Motto: "Gostenhof muss dreckig bleiben." Wenig wahrscheinlich, dass der Wunsch sich erfüllt.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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