SZ-Serie zum Euro:Lappland und Palermo rücken ein Stück zusammen

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Bernard Conolly wollte provozieren: Unter dem Titel "Das verfaulte Herz Europas" veröffentlichte der ehemalige britische EU-Beamte 1995 ein Buch über die Zukunft Europas. Der Euro wurde in der Streitschrift als Totengräber des europäischen Einigungsprozesses kritisiert. Schlimmer noch: Durch die gemeinsame Währung würde Europa einen Rückfall in den Nationalismus bevorstehen, behauptete Conolly.

Andreas Oldag

Der Euro-Rebell musste wegen seiner Thesen seinen Dienst quittieren. Im Frühjahr dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof sein Entlassungsverfahren bestätigt. Die Luxemburger Richter sahen es als unvereinbar mit den Dienstpflichten eines EU-Spitzenbeamten an, dass Conolly ein so wichtiges europäisches Vorhaben wie die Währungsunion denunziere.

Nun haben die bitterbösen Thesen des Briten mit der Realität gewiss wenig gemein. Seit Anfang 1999 gibt es die Währungsunion, und die zwölf Mitglieder des Euro-Clubs sind sich noch nicht gegenseitig an die Gurgel gesprungen. Mit einiger Sicherheit darf man davon ausgehen, dass diese Art von Konfliktbewältigung auch künftig nicht ansteht.

Interessante Fragen

Dennoch hat Conolly einige für die Zukunft der Währungsunion interessante Fragen aufgeworfen: Fördert der Euro den europäischen Einigungsgedanken oder sät er neue politische Zwietracht? Welche Auswirkung hat die bevorstehende Ausgabe des Euro-Bargelds auf das "europäische Bewusstsein"?

Umfragen in Deutschland belegen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung der Währungsunion immer noch mit großer Skepsis entgegensieht. Dagegen ist die Zustimmung beispielsweise in Frankreich und Italien viel größer.

D-Mark verkörperte Wiederaufstieg

Für die Deutschen steht mit der Umstellung auf das Euro-Bargeld der Abschied von einem nationalen Symbol bevor. Die D-Mark verkörperte den wirtschaftlichen Wiederaufstieg der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Schließlich konnte die harte Mark auch als Objekt ostdeutscher Begierden den DDR-Alu-Chip auf den Müllhaufen der Geschichte verbannen.

Wenn es überhaupt einen Grund für einen berechtigten Nationalstolz nach 1945 gab, dann war es die D-Mark. Kein Wunder also, dass die Trennung jetzt so schwer fällt. Schließlich würde auch niemand von einem Franzosen fordern, die Trikolore einzutauschen.

Gleichwohl verdeutlicht die bisher noch kurze Geschichte der Währungsunion, wie rasch sich scheinbar festgefahrene Einstellungen ändern können.

Nur von kurzer Dauer

Anlässlich des offiziellen Starts der Währungsunion am 1. Januar 1999 verzeichneten Meinungsforscher einen bemerkenswerten Meinungsumschwung beim notorischen deutschen Euro-Muffel. Plötzlich wurde das Einheitsgeld positiver gesehen. Dies war allerdings nur von kurzer Dauer.

Nachdem der Euro gegenüber dem US-Dollar im Laufe des vergangenen Jahres erhebliche Kursverluste hinnehmen musste, erwachten wieder die alten Ängste, dass der Euro schwächer sein würde als die D-Mark.

Nun gehört es zum Einmaleins jedes Psychologen, dass ein Klient eine Sache als seine eigene erst dann empfindet und sich mit ihr identifiziert, wenn er sie unmittelbar vor Augen hat.

Bisher ist der Euro nicht greifbar. Die Währungsunion existiert insofern nur auf dem Papier. Das ändert sich, wenn die neuen Münzen und Noten im Portemonnaie der Verbraucher sind. Aus der Fiktion wird Realität.

Psychologisch schwieriges Warten

Wahrscheinlich wäre es in psychologischer Hinsicht besser gewesen, man hätte den Euro sofort als Bargeld eingeführt. Das Warten hat Ängste und Spekulationen gefördert.

Nun muss jedenfalls eine perfekt organisierte Umtauschaktion - immerhin müssen Anfang des kommenden Jahres 15 Milliarden Banknoten und 50 Milliarden Münzen in Umlauf gebracht werden - dazu beitragen, die Sympathiewerte für den Euro zu erhöhen.

EU-Währungskommissar Pedro Solbes meinte, die Bürger dürften nicht das Gefühl haben, am 1. Januar 2002 in einem fremden Land aufzuwachen. Nur: Im Bewusstsein der Menschen muss sich erst eine Vertrautheit mit dem neuen Geld herausbilden. Das geht nicht von heute auf morgen. Zunächst werden die meisten Bürger noch umrechnen und ihre alte Währung heranziehen, um einen Maßstab für "teuer" oder "billig" zu haben.

Ob der Euro sogar als Katalysator für die politische Einigung Europas empfunden und das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Lappland, Flensburg und Palermo stärken wird, steht auf einem anderen Blatt.

Kränkelt die Währung gegenüber dem US-Dollar und gerät auch ihre innere Stabilität in Gefahr, wirkt dies gewiss nicht gerade imagefördernd für Europa.

Projekt der Eliten

Ein weiteres Problem ist, dass die Währungsunion seit ihrer Konzeption Anfang der 90-er Jahre und Verabschiedung des Maastrichter EU-Vertrags stets ein Projekt der politischen Eliten in Europa gewesen ist.

Manager, Unternehmer und Bankiers konnten sich genauso wie Politiker von Beginn an für die wirtschaftlichen Vorteile begeistern. Denn der Wegfall von Wechselkursrisiken ist für den europäischen Binnenmarkt ein Treibsatz, der auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas im Zeitalter der Globalisierung stärkt.

Doch sind diese stichhaltigen wirtschaftlichen Argumente jemals in einer intensiven, öffentlichen Debatte vermittelt worden? Um die Befindlichkeit der Menschen angesichts eines so epochalen Ereignisses hat man sich wenig gekümmert oder viel zu spät gesorgt.

Die Währungsunion ist hinter verschlossenen Türen von Ministerräten, EU-Gipfeln und Zentralbanksitzungen entstanden. Nun sollen ein paar bunte Broschüren und TV-Spots über die Euro-Einführung die Versäumnisse der vergangenen Jahre korrigieren.

Fataler Eindruck

Vor allem in Deutschland ist der fatale Eindruck entstanden, dass die Politiker einer Auseinandersetzung über die Chancen und Risiken des Euro aus dem Wege gehen wollten. Auch die Ängstlichkeit, mit der man Vorschläge über Volksentscheide in der europäischen Politik abwehrt, ist hierfür ein Indiz.

Die Väter des Euro haben gehofft, dass die Währungsunion auch zu einer politischen Union führen werde. Davon ist allerdings bisher nicht viel zu spüren. Im Gegenteil: Eine grundlegende Reform der Entscheidungsstrukturen der EU scheiterte beim EU-Gipfeltreffen im vergangenen Dezember in Nizza.

Viele eigene Interessen

Eifersüchtig wachen die Mitgliedsstaaten darüber, dass die Steuer- und Finanzpolitik nicht vergemeinschaftet wird. Vorschläge der Kommission zu einer stärkeren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Eurozone sind immer wieder zurückgewiesen worden.

Insofern ist es zweifelhaft, ob der Euro nun selbst die politische Einigung Europas vorantreiben kann. Europa wird sich vermutlich auch künftig eher im Schneckentempo fortbewegen. Der Euro ist mit Sicherheit kein Allheilmittel, aber er könnte eines Tages das starke Herz der Europäischen Union werden.

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