SZ-Serie: Smart City:Zauber urbaner Mobilität

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In Dresden steuern Experten den Verkehr datenbasiert: Messstellen zeigen an, welche Elbbrücke befahrbar ist, welche Parkhäuser belegt sind. Jetzt müssen sich nur noch die Autofahrer daran halten.

Von Cornelius Pollmer

Die Stadt Dresden ist in den vergangen Jahren nicht gerade als ein Paradies der Moderne in Erscheinung getreten, als ein ausgesuchter Ort, an dem die Menschen in ihrem Zusammenleben besonders zügig vorankämen. Dabei ist sie genau das auch, und die Belege dafür leuchten und blinken von der Wand in einem Gebäude, das mit unscheinbar noch höflich beschrieben ist, dem Potthoff-Bau auf dem Campus der TU Dresden. Professor Jürgen Krimmling sitzt hier vor einem Lebenskreislauf der Stadt. Straßen, Plätze und Magistralen verzweigen sich wie Adern eines pulsierenden Wesens, und an diesem Vormittag gibt es keinerlei Verkalkungen zu beklagen, das erzählen Krimmling unter anderem die Taxis der Stadt.

Etwa 500 Taxis gehören in Dresden zum Bestand, 132 davon sind gerade im Einsatz, auch das kann Krimmling, Professor für Verkehrsleitsysteme, von seiner Wand ablesen. Die Taxis liefern ihm Abschnittsdaten der von ihnen befahrenen Strecken, sie werden eingespeist in VAMOS, ein Projekt, das wie so üblich in der Abkürzung dann doch etwas griffiger und netter klingt als in dem entrückten Kompositum, das ihm zugrunde liegt: Verkehrs-Analyse-, -Management- und -Optimierungs-System. In VAMOS bekommen die Taxis Schulnoten nach amerikanischem Vorbild. Sie bekommen ein A, wenn sie einen Abschnitt ohne Schwierigkeiten bewältigt haben, ein F, wenn das Gegenteil der Fall ist. Krimmling kann auf seiner Wand zwar auch den Einzelfall sehen, etwa jenes Taxi, das gerade ohne Probleme vom Käthe-Kollwitz-Ufer zum Postplatz gefahren ist. Aber um diesen Einzelwert geht es nicht, und weil Jürgen Krimmling nicht die Polizei ist, sondern Professor, kann er auch sagen, "selbst wenn der nachts mit 80 durch die Stadt fahren würde, wäre mir das egal." Krimmling geht es um VAMOS, und dem System geht es um aggregierte Daten und darum, was mit ihnen zu leisten ist. Das ist in Dresden, jener Stadt, in der in den vergangenen Jahren vor allem ein paar Fußgänger von sich reden machten, eine ganze Menge.

Was die Verkehrssteuerung anbetrifft, ist Dresden in vielerlei Hinsicht führend, so führend, dass dies nicht nur Marketingsprech irgendwelcher Forscher oder Vermarktungsmenschen ist, sondern nachprüfbar auch für Otto-Normal-Opelfahrer. Besonders gut kann sich der gelegentliche Zauber von urbaner Mobilität entfalten, wenn man die Stadt von Norden her erreicht, Autobahnabfahrt Hellerau etwa, und dann den schneidigen Plan verfolgt, Dresden einmal schnurgerade nach Süden zu durchkreuzen. Schon kurz nach der Abfahrt erblickt man eine Tafel des Elbe-Brücken-Informations-Systems, das an verschiedenen Zufahrten Auskunft erteilt über die Befahrbarkeit aller Elbquerungen. Ein sattes Rot zeigte etwa die Albertbrücke lange, weil sie wegen Sanierungsarbeiten gesperrt gewesen war. Bei dichterem Berufsverkehr leuchtet auch mal die Carolabrücke auf. "Das zeigt denen, die sich hier auskennen, wie der Verkehrsfluss voraussichtlich aussehen wird, wenn sie an der Brücke ankommen", sagt Krimmling. Ein Angebot eher für stadtkundige Fahrer, "der Tourist aus Norwegen wird damit nicht so viel anfangen können."

Mehr als 320 Induktionsschleifen liefern Informationen über die Bewegungen von Autos und Straßenbahnen in Sachsens Landeshauptstadt. (Foto: Ralf Hirschberger/picture-alliance/ dpa)

Als so richtig angenehm aber erweist sich die Verkehrssteuerung ohnehin erst, wenn man sich an der Tafel vorbei durch die holprige Neustadt gekurvt hat oder über die Carolabrücke das Herz Dresdens erreicht. In guten Momenten wird man als Autofahrer hier zwischen Synagoge und Hauptbahnhof von den gefühlt dauergrünen Ampeln so locker durchgewinkt, dass der Vorrang wie persönlich gewidmet erscheint. Neben den Autofahrern profitieren hier vor allem die Verkehrsbetriebe und ihre Kunden von dem wissenschaftlich konzipierten Eingriff ins System.

Seit dem Jahr 2000 sammelt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte VAMOS Daten für die Steuerung des Verkehrs, am Anfang nur wenige, inzwischen aus vielen Quellen. Mehr als 320 Induktionsschleifen gibt es in Dresden, "da bekommen wir spurfeine Daten, das ist ein wichtiger Unterschied zu den Angaben in Google Maps", sagt Krimmling. Oft genug kommt es zum Beispiel auf Dresdens Carolabrücke vor, dass zwar die Linksabbiegerspur stadtauswärts verstopft, geradeaus aber freie Fahrt ist - ein gemittelter Wert des Vorankommens aller Fahrer bringt da nicht viel.

Im surrenden Raum im Potthoff-Bau fügen sich die Daten aus Autos und von Messstellen, von Ampeln und Straßenbahnen zu einem Bild, das die wimmelnde Gleichzeitigkeit öffentlichen und individuellen Verkehrs einer Stadt verheißungsvoll andeutet. Die Frage, was mit so vielen Daten am besten anzustellen sei, weiß Krimmling umfassend zu beantworten. Einiges ist bereits Realität, anderes in Planung.

Die Parkhäuser der Stadt etwa liefern Daten über ihren Belegungsstand und die Tendenz, also darüber, ob die Auslastung derzeit steigt oder sinkt. Man könnte damit herrlichen Unfug anstellen und zum Beispiel am Abendverlauf dieser Tendenz in der Tiefgarage an der Semperoper ablesen, ob die Vorstellung schon in der Pause nennenswert Publikum eingebüßt hat. Was in Dresden aber passiert, ist, dass die Parkpfeile auf Verkehrstafeln dynamisiert angepasst werden können. Sowohl die Verkehrslage auf den Straßen als auch die Auslastung der Parkhäuser bestimmen, zu welchem Parkhaus in der City ankommende Fahrer gelenkt werden. Überhaupt begegnen Autofahrern schon jetzt dynamische Anzeigen viel häufiger, als ihnen das bewusst sein mag.

470 Ampeln hat die Stadt, lediglich 420 davon sind relevant für den ÖPNV

Ein Spaziergang mit Krimmling über den zerklüfteten Campus auf die Fußgängerbrücke über der stark befahrenen Bergstraße. Von hier hat man einen guten Blick auf das, was wie ein statisch bemaltes, gelbes Schild aussieht. Dieses ist eigentlich eine sehr wandelbare Taktiktafel: Ein Geradeaus-Pfeil kann zu einem Rechts-Pfeil werden, der Hinweis zur Autobahn umgelenkt oder ganz herausgenommen werden, die Einblendung von Stauwarnungen ist ebenfalls möglich. An zwölf Standorten in der Stadt gibt es solche Schilder, sie sind aneinandergekoppelt und spielen vollautomatisch, je nach Verkehrslage, 400 Strategien aus, um den Verkehr bestmöglich über die Radialen in und durch die Stadt zu leiten. "Das Problem ist leider", sagt Krimmling, "dass sich nur zehn Prozent der Fahrer daran halten". Die anderen sind Dresdner, die glauben, eh den besten Weg zu kennen oder solche, die sich auf ihr Navi verlassen, obwohl dieses selbst mit dem Echtzeitinformationssystem RTTI nicht so gut informiert sein kann wie das hier die Straße überwölbende Schild.

Verkehr, Sicherheit, Umwelt - wie verändert die Digitalisierung das Leben in den Städten? SZ-Serie Folge 18 und Schluss. Illustration: Sead Mujic (Foto: Sead Mujic)

Ein verlässlicherer Partner für die Verkehrsleitung sind da die Dresdner Verkehrsbetriebe und ihre Fahrer. Was intelligente, multikriterielle Verkehrssteuerung bringen kann, zeigt sich am besten auf der wichtigen Nord-Süd-Verbindung, einem gut vier Kilometer langen Abschnitt durchs Zentrum, auf dem sich bis zu fünf DVB-Linien ein Gleis pro Richtung teilen. In Spitzenzeiten sind das über den Kernabschnitt 62 Fahrten pro Stunde. Nur rund die Hälfte der Fahrtzeit dieser Bahnen ist im Schnitt wirkliche Fahrtzeit. Ein knappes Viertel entsteht durch den Fahrgastwechsel an Haltestellen, bis zu 20 Prozent machte lange der Verlust durch das Warten an Ampeln aus. Nun lassen sich verspätete Bahnen schneller durchlotsen, verfrühte warten an Ampeln auch mal länger. Es gehe, sagt Krimmling, nicht um "absolute Bevorrechtigung" der Bahn, es gehe darum, dass alle Systeme miteinander sprächen und die in Summe beste Lösung entstehe. Was das Beste ist, darüber kann man streiten. Krimmling sagt, der nächste Schritt solle darin bestehen, auch die Auslastung von Bahnen als Parameter in die Bewertung einzubeziehen. Sehr viele Fahrgäste zählen im Zweifel mehr als ein Autofahrer.

Mit dem Betriebsrat besprochen und schon eingeführt ist ein Assistenzsystem für Fahrer der DVB. Es gibt Empfehlungen für Fahrgeschwindigkeiten, bei denen das Freifenster an der nächsten Ampel gut erreicht wird. So können bei konstanter Fahrtdauer etwa die Wartezeiten an Ampeln reduziert und die Standzeiten an Haltestellen ausgeweitet werden, die Zeit also, in der noch Menschen zusteigen können. 470 Ampeln hat Dresden, 420 davon sind relevant für den ÖPNV. Und alle diese 420 Ampeln sind mit der Technik ausgestattet, die den DVB das Durchleiten ihrer Bahnen und Busse erleichtert. Eine Kinderkrankheit hat das System allerdings noch: Die Wlan-Verbindung der assistierenden Bordcomputer ist nicht stabil genug.

Aber der große Ansatz, Verkehrsdaten zu sammeln und sie für eine Optimierung des individuellen und öffentlichen Verkehrs einzusetzen, findet immer mehr Interessenten. Urbane Zentren verdichten sich, Umweltauflagen steigen. Jürgen Krimmling bekommt häufiger Anfragen aus anderen Städten, ob das Dresdner Konzept denn nicht zu übertragen sei. "Gerade hatte ich Wolfsburg da", sagt Krimmling. Und wenn die Gäste genug erfahren haben, kann Krimmling für den Heimweg noch ein paar Routen-Empfehlungen mit auf den Weg geben, zumindest bis zu den Grenzen der Stadt.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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