SZ-Serie: NRW vor der Wahl, Folge 4:Das gallische Dorf

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Auch im Sorgenland Nordrhein-Westfalen gibt es prosperierende Regionen. Etwa das Sauerland. Hier ist die Arbeitslosigkeit niedrig, Unternehmen expandieren. Doch warum ist das so?

Von Karl-Heinz Büschemann, Meschede

Gut hundert Leute sind an diesem Abend in die St. Georg Schützenhalle von Meschede gekommen. Die lokalen Kandidaten für die Landtagswahl Mitte Mai sollen den Bürgern Rede und Antwort stehen. Aber nur drei der sieben Bewerber sitzen nun auf dem Podium: der von der CDU, der von der SPD und der Vertreter der FDP. Die Kandidaten der Grünen, der AfD, der Linken und der Piraten sind gar nicht erst erschienen. Für sie ist in dieser Stadt im konservativen Hochsauerlandkreis offenbar nicht viel zu holen. In dieser 30 000-Einwohner-Stadt gibt es nicht viel, was die Bürger aufregt.

Ach doch. Dass die Geburtshilfeabteilung des örtlichen Krankenhauses geschlossen und in die größere Nachbarstadt verlegt wurde, bewegt in der Schützenhalle die Gemüter am meisten. Jetzt kommen in Meschede keine Babys mehr zur Welt. Das schmerzt. Wirtschaft, Finanzen, Arbeitslosigkeit, Flüchtlinge? Fehlanzeige in dieser Stadt. Der Region geht es gut.

Handwerksbetriebe und kleine Fabriken haben hier eine lange Tradition

Der Hochsauerlandkreis hat 265 000 Einwohner und grenzt im Süden von Nordrhein-Westfalen an Hessen. In diesem größten Landkreis von NRW, der aber gerade so viele Einwohner hat wie die Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen, liegt die Arbeitslosigkeit bei nur 4,8 Prozent. Im Landesdurchschnitt beträgt diese Kennzahl für wirtschaftliches Wohlergehen 7,6 Prozent, und in mancher Region ist sie sogar zweistellig. Das Hügelland rund um Städte wie Arnsberg, Brilon oder den Touristenort Winterberg aber sorgt dafür, dass es in Nordrhein-Westfalen auch etwas anderes gibt als Probleme.

In dieser Region sitzen viele erfolgreiche Mittelständler. Sogar Weltmarktführer sind dabei. Am bekanntesten sind die beiden Brauereien Veltins in Meschede und Warsteiner in dem Ort Warstein. Hoppecke Autobatterien kommen aus Brilon. Kusch und Co. in Hallenberg liefert Sitzmöbel für internationale Flughäfen. Die Ewers GmbH in Meschede baut Spezialfahrzeuge für Feuerwehren, Sprengstofftransporte oder den Katastrophenschutz in aller Welt. Hier läuft es. Die Industrie- und Handelskammer Arnsberg zählt für den gesamten Bereich Südwestfalen insgesamt 150 europäische und globale Marktführer.

"Unsere Wirtschaft wächst sehr gut", stellt Meschedes Bürgermeister Christoph Weber, der vor zwei Jahren mit einer soliden Mehrheit für die CDU ins Rathaus gewählt wurde, zufrieden fest. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), so feixen sie im Rathaus von Meschede, hat im schwarzen Sauerland einen schweren Stand. Das Land am Ursprung der Ruhr, wo Schützenfeste noch zur lebenden Kultur gehören, wählt konservativ. Und hier sind viele auf die rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf nicht gut zu sprechen. Die verhindere den Bau von Straßen oder Autobahnen und bringe die Versorgung mit leistungsfähigem Internet nicht weiter, schimpft ein Unternehmer in der Schützenhalle: "Die Landesregierung bremst uns."

Frank Hohmann kann erklären, warum das Sauerland trotzdem erfolgreich ist, warum diese Region kein Krisengebiet ist, sondern eine Art Sonderwirtschaftszone in dem Bindestrich-Bundesland. Hohmann leitet gemeinsam mit seinem Bruder Jörg das von ihrem Vater vor 38 Jahren gegründete Unternehmen ITH, das mit inzwischen 300 Mitarbeitern komplizierte Technik zum Festziehen und Lösen großer Schrauben für Brücken oder Großdieselmotoren liefert, und zwar in alle Welt. "Wir sind Tüftler", sagt er über seine Landsleute, und ihn stört, dass die Schwaben im Süden der Republik diesen Schmucktitel für sich allein zu reklamieren versuchen. "Wir können komplizierte technische Lösungen bieten", betont Hohmann. Stolz nennt er das Sauerland mit seinem Mittelstand "das kleine gallische Dorf", das sich den Widrigkeiten des restlichen Landes, den anhaltenden Krisen und Strukturbrüchen widersetzt.

Yvonne Dallmer führt in Arnsberg das von ihrem Urgroßvater 1903 gegründete Unternehmen Dallmer GmbH. Die Firma mit 200 Beschäftigten liefert Entwässerungstechnik für Gebäude in 40 Länder. Auch in den Duschen des weltberühmten Burj Kahlifa Wolkenkratzers in Dubai fließt das Duschwasser durch Abflüsse aus dem Sauerland. Die junge Geschäftsführerin erklärt die Erfolge der heimischen Wirtschaft mit der Bodenständigkeit der Unternehmer. "Hier sind alle Firmen im Familienbesitz", sagt sie. "Die denken langfristig und in Generationen." Auch Dallmer ist so ein typisch sauerländischer Familienbetrieb: hohe Eigenkapitalquote, Bankkredite sind für das Wachstum nicht nötig. Denkt die Geschäftsführerin an einen Börsengang? Ach wo: "Das ist für uns kein Thema", sagt sie.

Im Sauerland haben kleine Unternehmen lange Tradition. Die Böden des Berglandes sind karg, sie konnten ihre Bewohner nie ernähren. Weiter im Norden, rund um die Stadt Soest, wo das Land flach und fruchtbar ist, konnte über Jahrhunderte die Landwirtschaft florieren. Im Sauerland ging das nicht. Die Menschen mussten sich etwas einfallen lassen, erläutert Ralf Hueß von der Industrie- und Handelskammer in Arnsberg. "Also hat man das gemacht, wofür sich das Ruhrgebiet zu fein war." Sauerländische Handwerker und kleine Fabriken haben das Metall weiterverarbeitet, das aus Dortmund, Bochum oder Hagen kam, und daraus Hausgeräte gemacht. So entstand eine Kleinindustrie, die breit diversifiziert und deshalb weniger anfällig war, wenn mal einer Branche die Puste ausging. Heute gibt es im Sauerland noch immer genauso viele Industriearbeitsplätze wie 1982. In ganz Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Industriejobs in der gleichen Zeit um 40 Prozent gefallen.

Die Region im Süden des hoch verschuldeten Sorgenlandes Nordrhein-Westfalen, wartet nicht auf die Landesregierung und nimmt ihre Zukunft verstärkt selbst in die eigene Hand. Fünf Landkreise haben sich vor einigen Jahren zu einer Region zusammengeschlossen, die sich aus Marketinggründen den bisher unüblichen Namen "Südwestfalen" gab. Jetzt trumpfen sie dort ordentlich auf und nennen sich selbstbewusst die Industrieregion Nummer eins in Nordrhein-Westfalen, als gäbe es kein Ruhrgebiet.

Die lokalen Politiker haben nur eine Sorge. Es ist schwierig, die jungen Leute in der ländlichen Region zu halten, die weit weg liegt von großen Städten und urbanem Leben. Es gibt im Sauerland keine Universität, und wenn die Jugendlichen zum Studium wegziehen, kommen sie meist nicht zurück. "Wir haben bei den jungen Leuten eine hohe Abwanderungsquote", klagt Meschedes Bürgermeister Weber. Deshalb ist es für den Kommunalpolitiker ein Erfolg, wenn er inzwischen wieder einen Zuwachs bei der Einwohnerzahl melden kann. In diesem Jahr sind pro Monat 100 Neubürger, die nicht Flüchtlinge sind, in seine Stadt gekommen. Die wird er in den nächsten Tagen bei der Neubürger-Feier persönlich begrüßen.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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