Streit mit Lieferanten:Besonders harter Gegner

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Produktion des Golf im VW-Werk Wolfsburg. Die Bänder stehen erst einmal still. (Foto: Reiner Zensen/Imago)

Im Streit zwischen Volkswagen und den Zulieferern der Prevent-Gruppe gibt es noch keine Lösung. Vieles deutet darauf hin, dass die bosnische Firmengruppe berechtigte Forderungen an VW hat.

Von Max Hägler und Klaus Ott, Stuttgart/München

Die Bänder stehen still bei VW. In Wolfsburg wird gerade kein Golf mehr gebaut, und es wird viel gesponnen über die Verursacher dieser spektakulären Eskalation zwischen den zwei kleinen Zulieferern aus Sachsen namens ES Guss und Car Trim und dem großen Autokonzern. Die Lieferanten seien durch Übernahme leider Teil eines mysteriösen Konglomerats geworden, heißt es dieser Tage in Wolfsburg. Es klingt wie die Geschichte von ehrbaren deutschen Komponentenherstellern, die von einer osteuropäischen Finanzheuschrecke erworben wurden, die wiederum mittels absurder Geschäftsgebaren versuche, Millionen Euro über Schadenersatzforderungen einzusammeln.

Kann das Aufklärung bringen in einen der größten Streitfälle, die es je zwischen einem Autokonzern und Zulieferern gab und der Europas führenden Pkw-Hersteller schon wieder in eine massive Krise treibt?

Zumindest ein Teil der Geschichte stellt sich aber anders dar, seriöser. Der heutige Eigentümer der sächsischen Teilehersteller hat seinen Ursprung in Sarajevo und heißt ASA Prevent. Der Gründer, Nijaz Hastor, war vor dem Jugoslawien-Krieg in Sarajevo in leitender Position in einer Fabrik beschäftigt, die Käfer und Golfs baute. Nach dem Krieg startete er den Betrieb wieder. Durch Zukäufe wuchs das Unternehmen, beschäftigt eigenen Angaben zufolge heute 12 000 Menschen in aller Welt, davon etwa die Hälfte in Bosnien.

Prevent ist Sponsor des Sarajevo-Filmfestes: We bring you the fun

Die Unternehmensberatung Deloitte listete die Firmengruppe vor zwei Jahren mit 529 Millionen Euro Umsatz auf Platz 418 der größten Unternehmen in Mitteleuropa, in Bosnien ist das Platz zwei. Und dort ist der Firmenname wie der Name des Gründers und seiner beiden Söhne Kenan und Damir präsent: ASA Prevent ist Sponsor des berühmten Sarajevo-Filmfestes. Gerade ging es zu Ende, die Promigäste fuhren in Autos herum auf denen stand: ASA Group - We bring you the fun. Es waren: schwarze VW-Limousinen.

Mit VW betreibt man in Sarajevo eine gemeinsame Firma, ebenso gibt es Geschäftsbeziehungen zu Ford, Audi, Skoda, Seat, BMW, Opel, Nissan, Citroen und Peugeot, gibt die ASA-Prevent-Gruppe an. Jedes vierte Auto aus Europa trage Teile der Prevent-Gruppe. Und die Geschäfte scheinen gut zu laufen für die Hastor-Familie, die auch Mehrheitsgesellschafter der Prevent Dev GmbH ist, der Deutschland-Zentrale mit Sitz in Wolfsburg. Eine Stiftung haben die Hastors gegründet, die Studienstipendien vergibt, Bäume pflanzt, Benefiz-Fußballspiele ausrichtet. Unterstützt werde man, so ist zu lesen, unter anderem von der britischen Regierung, von Firmen wie Würth, Deutsche Post DHL oder Nestlé.

Ist das eine Heuschrecke, zu deren Geschäftsmodell das Erpressen von Autoherstellern gehört? Nein, so stellt sich das derzeit nicht dar. "Böse Bosnier, das trägt nicht, sie sind vielleicht schwierig im Umgang, aber lange und gut im Geschäft", heißt es von einem maßgeblichen Manager der deutschen Autobranche.

Wieso aber lässt es die Gruppe auf solch einen Konflikt ankommen, der den Ruf schädigt? Die Hastors sind eine kämpferische Familie, sagt einer, der sie kennt. Und sie fühlen sich ungerecht behandelt von VW. Und so drehen sie den Spieß um. Die UBS-Bank geht davon aus, dass VW durch den Produktionsstopp gerade 100 Millionen Euro verliert: pro Woche. Eine einmalige Konstellation in der Branche, die beide Seiten offenbar weiterhin am Verhandlungstisch lösen wollen.

Am Freitag haben sich Emissäre von Volkswagen und Prevent in Wolfsburg getroffen. Dem Vernehmen nach wurde stundenlang gefeilscht, über Geld und andere knifflige Themen. Ohne Ergebnis, man vertagte sich auf diesen Montagnachmittag. Mit am Tisch saßen die beiden Prevent-Töchter Car Trim aus Plauen und ES Automobil Guss aus Schönheide, beides in Sachsen gelegen. Car Trim liefert normalerweise die Sitzbezüge, die auf dem Balkan hergestellt werden. Und ES Guss die Getriebeteile, die jetzt ebenfalls fehlen. Die braucht VW noch dringender als die Sitzbezüge.

Die Getriebeteile werden zwar in Deutschland gebaut, das Landgericht Braunschweig hat auf Antrag von Volkswagen die beiden Prevent-Töchter verpflichtet, den Autokonzern weiter zu beliefern. Doch bei VW wird gerätselt, ob ein Gerichtsvollzieher bei ES Guss in Sachsen überhaupt etwas finden würde. Oder ob die Prevent-Tochter die begehrten Getriebeteile nicht längst vom eigenen Firmengelände weggeschafft hat.

Der VW-Konzern hat inzwischen erkannt, dass Prevent ein besonders harter Gegner ist. Auslöser des Streits war offenbar eine von VW und Porsche gekündigte Entwicklungskooperation mit Car Trim mit einem Volumen von 500 Millionen Euro. Die Prevent-Tochter machte anschließend Ausfälle und Schäden in Höhe von 55 Millionen Euro geltend.

Der Autokonzern habe diese Kooperation "frist- und grundlos" gekündigt und eine ausreichende Kompensation abgelehnt, sagt ES-Geschäftsführer Alexander Gerstung. Car Trim und ES Guss seien zum Lieferstopp gezwungen gewesen, um ihre Interessen zu wahren. VW nutze "seine dominierende Marktstellung gegenüber der Zulieferindustrie" aus. Volkswagen lehnt es kategorisch ab, diese Summe zu zahlen, weil sie "nicht plausibel" begründet werde. Dass ES Guss mit im Spiel ist, liegt am trickreichen Vorgehen bei Prevent.

Car Trim, der Bezughersteller, trat einen Teil der Forderungen gegen VW an die Schwesterfirma ab, so dass diese nun ebenfalls Ansprüche gegen VW geltend machen kann. Bei VW glaubt man zu wissen, warum das geschah. Der Getriebeteile-Hersteller liegt zwar auch im Clinch mit VW, angeblich zahlt VW eine Rechnung über 360 000 Euro nicht, aber mit den Ansprüchen der Schwesterfirma ist die Grundlage für einen Lieferstopp bei VW größer. Und die Prevent-Gruppe hat einen größeren Hebel: Getriebegehäuse lassen sich nicht so einfach anderswo auftreiben wie Sitzbezüge.

Autoexperten zeihen VW deshalb der Naivität: Sich nur auf einen Zulieferer zu verlassen, sei ein Kardinalfehler. Allerdings gilt: Alle Firmen waren langjährige, zuverlässige Partner. Zudem hat sich die Zulieferindustrie in den vergangenen zwei Jahrzehnten derart konsolidiert, dass es nicht einfach ist, sich Teile von zwei unabhängigen Geschäftspartnern liefern zu lassen. Als etwa die Türschlossfirma Kiekert vor einigen Jahren in der Bredouille war, mühten sich so ziemlich alle Autohersteller gemeinsam um die Rettung: Es hätte keine Alternative gegeben.

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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