Streiks im Renault-Werk:Osteuropäer mucken auf

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Das postkommunistische Billiglohnland erwacht: Die rumänische Gewerkschaft fordert "Sonne für alle!" und kämpft für 13.000 Beschäftigte der Renault-Tochter Dacia um höhere Löhne.

Kathrin Lauer

"Generalstreik! Wir wollen Sonne für alle! Rumänien, erwache!" Der Spruch auf einem bescheidenen Schild am Werkstor der Renault-Fabrik in der tristen Steppen-Industriestadt Pitesti, 120 Kilometer nordwestlich von Bukarest, klingt romantisch, wie auferstanden aus den Urzeiten europäischer Gewerkschaftsbewegungen.

Ein Arbeiter sitzt vor dem Dacia-Werk neben einem Plakat mit der Aufschrift: "Streik bei Dacia - Wir wollen Sonne für alle! Rumänien, erwache!" (Foto: Foto:)

Nach rumänischem Volksglauben lösen sich an diesem Frühlingstag die Zungen der Vögel im Walde; man wartet auf den ersten Schrei des Kuckucks nach dem Winter.

Renault-Arbeiter verlangen doppelten Lohn

Und tatsächlich ist dieser als unbefristet angekündigte Streik Tausender Arbeiter so etwas wie ein Erwachen im postkommunistischen Billiglohnland Rumänien, wo die Menschen bisher bei multinationalen Unternehmen ohne zu murren für 100 Euro als Näherinnen oder für 400 Euro in der Automobilindustrie arbeiteten. Zwar gab es hie und da schon Arbeitskonflikte - diese wurden aber in der Regel mit Lohnerhöhungen um einstellige Prozentzahlen besänftigt.

Die rumänischen Renault-Arbeiter verlangen nun aber eine Verdoppelung des Lohns für die Kategorie der am wenigsten verdienenden Arbeiter. Von den 13.000 Angestellten verdienen 3000 nur den gesetzlichen Mindestlohn von sage und schreibe 160 Euro.

Allein ein Drittel dieser Summe verschlingen im rumänischen Winter die Heizkosten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. "Wir wollen keine Löhne wie in Frankreich, aber wenigstens mehr Geld für diese Mindestlohnverdiener", erklärte der Vize-Betriebsratsvorsitzende Ion Iordache.

Zwölf Prozent Lohnerhöhung sind "eine Beleidigung"

Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung um einen Fixbetrag von 550 Lei netto (148 Euro) für alle Beschäftigten, während Renault bisher nur 118 Lei netto geboten hat. Bei einem Profit von 150 Millionen Euro, den das rumänische Renault-Werk im vorigen Jahr gemacht habe, sei das bisherige Angebot einer zwölfprozentigen Lohnerhöhung "eine Beleidigung", sagte der Betriebsratsvorsitzende Nicolae Pavelescu.

In den Bierkneipen rund um die sechs weißen Renault-Flachbauten am Werksgelände kann man anschreiben lassen, und die meisten Gäste tun dies auch. Am Tresen reden die Arbeiter über Gerüchte, denen zufolge die Franzosen ihnen jetzt auch noch die zehnminütige Arbeitspause streichen wollten, zu der sie bislang alle zwei Stunden berechtigt seien, stand jetzt in der Bukarester Tageszeitung Adevarul zu lesen.

Das rumänische Renault-Management hat als Erstes versucht, den Streik vor Gericht für illegal erklären zu lassen, mit der Begründung, dass weniger als die Hälfte der Angestellten den Streikaufruf unterschrieben hätten. Nach rumänischem Recht muss es dafür eine Mehrheit geben. Der Betriebsrat hingegen erklärte, etwa 10.000 Arbeiter seien dem Streikaufruf gefolgt.

Geliebt und gehasst

Die Geschichte von Renault in Rumänien begann 1969, als in Pitesti mit französischer Lizenz der Personenwagen Dacia in Serie ging, der zum geliebten und gehassten Volks-Auto wurde. Die hoch ansetzende Karosserie war ideal für die mit Schlaglöchern übersäten Landstraßen.

In der Sonne platzende Windschutzscheiben

Weniger ideal waren die Windschutzscheiben, die oft nach dem ersten stärkeren Sonnenstrahl wegen Überhitzung zerplatzten. Fast jeder Rumäne kann Geschichten erzählen über Dacia-Reparaturen, die wegen chronischen Ersatzteilmangels zum Abenteuer gerieten.

30 Jahre später, 1999, übernahm Renault das Dacia-Werk. Es war die erste große Privatisierung in Rumänien, das damals gerade nach postkommunistischer Misswirtschaft kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Renault war so etwas wie das Startsignal dafür, dass es aufwärts gehen würde. Kurz danach kam aus Brüssel die Einladung zu Beitrittsverhandlungen, 2007 wurde Rumänien EU-Mitglied.

Jetzt sieht man die alten Dacia-Modelle kaum noch - die Rumänen fahren hauptsächlich mehr oder minder alte westliche Gebrauchtwagen oder den neuen superbilligen Dacia Logan, den die Rumänen für die Franzosen in Pitesti bauen. 70.000 Stück davon wurden 2007 in Westeuropa verkauft zum Basispreis von 7200 Euro.

So mancher Wirtschaftsanalyst fragt sich nun, ob der Arbeitskampf auf andere Investoren abschreckend wirken könnte. Gerade hat etwa 200 Kilometer weiter westlich, in Craiova, Ford eine darnieder liegende Autofabrik gekauft.

Sie gehörte in den neunziger Jahren dem sükoreanischen Konzern Daewoo, der aber nach den Turbulenzen bei der Mutter General Motors die Zelte abbrach. Der Staat kaufte die Daewoo-Anteile zurück. Jetzt gelang eine neue Privatisierung mit Ford als einzigem Bewerber. Schon heißt es, dass sich in Craiova Protest rege gegen den Plan des Managements, die Beschäftigten mit Gehältern von 200 Euro abzuspeisen.

© SZ vom 26.03.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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