Streik in Ostdeutschland:Kampf der Minderheiten

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Der Anfang vom Ende: Mit dem Beginn des Arbeitskampfes in Ostdeutschland zeichnet sich ab, dass immer mehr Betriebe der Metallindustrie aus dem Flächentarifvertrag aussteigen.

Jonas Viering

(SZ vom 03.06.2003) — Schon am ersten Tag hat der Arbeitskampf in der ostdeutschen Metallindustrie etwas bewirkt: Das Dresdener Werk von Federal Mogul ist aus dem Flächentarif ausgetreten.

Ein simpler Aushang am Schwarzen Brett des Autoteile-Herstellers verkündete den 320 Beschäftigten am Montag die Neuigkeit; der Betriebsratsvorsitzende erfuhr bei einer Gremiensitzung des Konzerns am Gardasee davon. "Wir mussten austreten", sagt der Geschäftsführer der Holding, Friedel Martiny; fast bedauernd. Die Firma will sich damit dem Arbeitskampf zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft entziehen. Denn es sei ganz einfach, sagt Martiny: "Wenn gestreikt wird, wird verlagert".

Damit umreißt der Manager in wenigen Worten ein veritables Drama für den ostdeutschen Arbeitsmarkt. Die von der IG Metall im Namen der Gerechtigkeit geforderte Verkürzung der Wochenarbeitszeit Ost von 38 Stunden auf die im Westen geltenden 35 erhöht für die Betriebe die Kosten. Da erwägen viele, ihre Produktion nach Polen, Ungarn, Tschechien zu verlagern, wo die Löhne billiger sind. Folge wäre ein weiteres Ansteigen der bereits allzu hohen Arbeitslosigkeit in der Region.

"Go East" als Devise

Mit der Flucht aus dem Flächentarif, den die Verbände abschließen, kann Federal Mogul selbst über die Arbeitskosten, die Arbeitszeit entscheiden. "Natürlich kann die IG Metall bei uns den Häuserkampf starten und einen Firmentarif zu erzwingen versuchen", sagt Martiny.

Er glaubt aber nicht, dass seine Beschäftigten streiken werden. "Die wissen, dass wir höhere Kosten nicht verkraften", sagt Martiny. Die Bosse der US-Mutter des Unternehmens "sagen doch nur: Go East" - raus aus Deutschland. In Dresden stehen millionenschwere Investitionen in neue Maschinen an. Erreicht der Streik doch das Werk von Federal Mogul, so Martiny, "wird woanders investiert werden".

Noch sind dies nur düstere Szenarien, die die Arbeitgeber an die Wand malen. So ungewiss aber der Ausgang dieser Kraftprobe zwischen IG Metall und Arbeitgebern ist, so sicher gilt: Der Flächentarif bröckelt. Schon heute sind nur etwa 50 Prozent aller Beschäftigten, zehn Prozent aller Betriebe in Ostdeutschland noch im Flächentarif - und auch davon weichen viele in Arbeitszeit und Bezahlung wegen wirtschaftlicher Notlagen vom vereinbarten Standard ab. Zwar orientiert sich daneben manch tarifloser Betrieb beim Entgelt am Flächentarif. Dennoch: Der Arbeitskampf Ost ist nurmehr eine Angelegenheit von Minderheiten.

In besonderer Weise gilt das auch für die Abstimmung über den Streik. Zwar streiten Arbeitgeber und IG Metall hier über die Zahlen, aber sogar nach Rechnung der Gewerkschaft haben gerade einmal 13.370 Mitglieder abgestimmt. Ihre Entscheidung soll jedoch Auswirkungen auf alle 125.000 Beschäftigten der Metallbranche Sachsens haben, so der Ehrgeiz der Gewerkschaft. Die Arbeitgeber wollen wegen dieser Kluft nun vor Gericht ziehen. Immerhin: Von Donnerstag an wird auch in Berlin und Brandenburg über Streik abgestimmt.

Stolz ist die Gewerkschaft auf einige Fimen-Tarifverträge zur Arbeitszeitverkürzung, die sie jetzt abgeschlossen hat. So wurde bei ISE Industries Hainichen ein Stufenplan zur Einführung der 35-Stunden-Woche ab 2004 vereinbart. Der aber, mokieren sich die Arbeitgeber von Gesamtmetall, sei sofort wieder ausgesetzt worden: Eine Härtefallklausel erlaube, bis Anfang 2009 eine 37,5-Stunden-Woche zu fahren.

Stufenmodell als Kompromiss

Dennoch könnte sich hier eine Kompromisslinie andeuten: Einstieg formal sofort, tatsächlich aber erst in weiter Ferne. Wann welche Stufe betreten wird, das könnte an ökonomische Daten wie die Produktivitätsentwicklung geknüpft werden.

Solche messbaren Kriterien fordert seit Wochen eisern Gesamtmetall: Die Arbeitgeber seien nicht grundsätzlich gegen die Verkürzung, so die Botschaft, nur sei gerade jetzt die wirtschaftliche Lage einfach noch nicht so weit. Die Gewerkschaft zeigt sich flexibel bei den Stufen, auch entgegenkommend gegenüber Not leidenden Betrieben, will aber mit aller Härte einen raschen und verbindlichen Anfang.

Vielleicht treiben die Kosten des Streiks beide Parteien wieder zusammen. Legt nur jeder Zehnte der sächsischen Metaller fünf Tage die Arbeit nieder, summieren sich die Umsatzausfälle auf 50 Millionen Euro. Und das mitten in der Wirtschaftskrise.

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