Steuerpolitik:Ende des Tabus

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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (rechts) und der Union-Fraktionsvorsitzender Volker Kauder denken über Steuersenkungen nach. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Die große Koalition hat es sich selbst verboten, an der Steuerschraube zu drehen. Nun plant die Union für die Zeit nach der Bundestagswahl.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Gemessen an den Vorarbeiten, die schon angelaufen sind, wird die Union mit der klaren Forderung nach Steuersenkungen in den Wahlkampf ziehen. Im Bundesfinanzministerium, in der CDU-Fraktion, im Präsidium der Partei, in der Mittelstandsvereinigung der Union und in Bayerischen Gremien wird heftig überlegt, wie die Bürger nach 2017 steuerlich entlastet werden können. Angesichts der stetig sprudelnden Steuereinnahmen sowie milliardenschwerer zusätzlicher Ausgaben für Flüchtlinge ist in der Union offenbar die Erkenntnis gewachsen, dass diejenigen, die die Steuern zahlen, im Bundestagswahlkampf jenen Politiker ihre Stimme geben könnten, die das deutsche Steuersystem endlich reformieren.

Die Gremien arbeiten an verschiedenen Konzepten. In Bayern laufen streng vertrauliche Arbeiten an einer Reform der Steuergesetzgebung. In der CDU wird über die Änderung des Spitzensteuersatzes beraten. Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte am Samstag im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bestätigt, "über das Thema werden wir sprechen". Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann, erklärte dazu, seine Organisation werde im Juli, also noch vor der Sommerpause, ein Konzept vorlegen, das sowohl alle anstehenden Aufgaben des Staates berücksichtige als auch passende Finanzierungsvorschläge präsentiere. Auch Linnemann betonte, dass Änderungen beim Spitzensteuersatz nötig seien.

Zuvor hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit Andeutungen über mögliche Steuersenkungen nach der Bundestagswahl das Thema offiziell auf die Wahlkampfagenda gehoben. Schäuble zeigte sich am Rande des Treffens des Finanzminister der größten westlichen Volkswirtschaften (G 7) Mitte Mai in Japan offen, die steuerlich am meisten belastete Mittelschicht zu entlasten. "Wir können natürlich in den nächsten Jahren den Spielraum auch nutzen, um etwa die zu hohe Besteuerung bei mittleren Einkommen zusammen mit den Sozialversicherungsabgaben zu senken", sagte Schäuble in Sendai. Deutschland bekomme in internationalen Vergleichen stets relativ hohe Steuersätze bescheinigt. "Das kann man korrigieren. Da haben wir den Spielraum für die nächsten Jahre", fügte Schäuble hinzu. "Das sollten wir auch tun, um die gute Lage, die wir jetzt am Arbeitsmarkt haben, auch dauerhaft zu sichern."

Ähnlich äußerte sich CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Das Schuldenmachen zu beenden und keine Steuern zu erhöhen, das sei das Versprechen für die laufende Legislaturperiode gewesen, hatte Spahn der SZ gesagt. "In der nächsten Legislatur sind dann auch Spielräume da, um Steuern zu senken und damit neue Impulse für die Wirtschaft zu geben. Das wäre schon ein starkes Zeichen."

Dass der Bundesfinanzminister mehr als ein Jahr vor dem Wahltermin die Steuerdebatte eröffnet hat, liegt nicht zuletzt daran, dass Steuern in den letzten Monaten verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung gerückt sind. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Flüchtlingskosten können praktisch aus Überschüssen finanziert werden

In Deutschland verzeichnen Bund und Länder überdurchschnittlich steigende Steuereinnahmen und Haushaltsüberschüsse. Flüchtlingskosten in Milliardenhöhe können praktisch aus Überschüssen finanziert werden. Das ist einerseits komfortabel für die Finanzminister in Bund und Ländern, andererseits fordern Steuerzahler zunehmend lauter, dass sie selbst steuerlich entlastet werden sollten. Schäuble weiß, dass es schlecht bei den Wählern ankommen könnte, diese Forderung einfach abzutun. Und gleichzeitig zu privater Vorsorge bei Rente und Altersbezügen aufzurufen.

Einkommensteuer und Spitzensteuersätze sind das eine Thema, das die Bürger umtreibt. Das andere ist Steuergerechtigkeit. Die Enthüllungen über Steuerflucht, Schwarzgeldgeschäfte und Briefkastenfirmen in Luxemburg und in Panama haben in der Bevölkerung große Empörung ausgelöst. Sie fordern, dass auch reiche Privatpersonen, Unternehmen und Finanzorganisationen angemessen zur Kasse gebeten werden. Das Steuergeheimnis ist bereits gefallen, ab 2017 werden automatisch Daten über Einkünfte zwischen beinahe 100 Staaten ausgetauscht. In Deutschland könnte damit die Abgeltungssteuer vor dem Aus stehen. Zwar hatte Schäuble Ende vorigen Jahres Forderungen zurückgewiesen, die bisherige Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge sofort abzuschaffen. "Jetzt einfach die Abgeltungssteuer wieder abzuschaffen, wäre einfach falsch", sagte er in den abschließenden Haushaltsberatungen des Parlaments. Zugleich hatte er seine Haltung bekräftigt, die Steuer abzuschaffen, wenn der automatische Informationsaustausch über Finanzdaten greife. "Wenn wir den haben, kann man wieder darüber nachdenken." Allerdings gebe es "eine Menge Argumente dagegen".

Die Abgeltungssteuer dürfte also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf der Wahlkampfagenda landen. Wird sie abgeschafft, würde für Kapitalerträge wieder der persönliche Steuersatz statt der 25-prozentigen Quellensteuer gelten.

Dass sich CDU und CSU bereits auf ihrer geplanten Klausurtagung am 24./25. Juni auf ein gemeinsames Vorgehen in Sachen Steuersenkungen und Steuerreform einigen könnten, gilt als ausgeschlossen. Nicht nur, weil die Union seit Monaten über ein ganz anderes Steuerthema streitet: die Reform der Erbschaftsteuer. Im Kern geht es darum, inwieweit Firmenerben verschont werden, wenn sie den Betrieb und Arbeitsplätze erhalten. Die CSU fordert weitreichende Ausnahmen und blockiert einen Koalitionskompromiss. Parteichef Horst Seehofer ist bisher zu keinem Zugeständnis bereit. Solange sich CSU und CDU nicht einigen, dürften die Schwesternparteien kein anderes Steuerthema anpacken.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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