Statement Rucksack:Der Problemberg ruft

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Nicht ohne meinen Rucksack: Finanzminister Euklid Tsakaltos sieht man auch im griechischen Parlament stets mit dem roten Stück auf dem Rücken. (Foto: dpa)

Ein Mann und sein Rucksack: Über ein modisches Phänomen zwischen Brüssel, Athen und Frankfurt.

Von Angelika Slavik

Ein Mann könne anziehen, was er will, hat Coco Chanel mal gesagt, er bleibe doch immer nur das Accessoire der Frau. Das wird dem modischen Anspruch des Mannes von heute natürlich nicht mal im Ansatz gerecht. Der Mann von heute, besonders der öffentlich beobachtete, hat sein eigenes Repertoire an Accessoires. Und mancher, wie etwa der griechische Finanzminister, zählt dazu auch den Rucksack.

Während, jetzt mal als Beispiel, Krawatten und Manschettenknöpfe nur im Fall eines schweren Fehlgriffs (großflächige Blumenmuster, Comicfiguren, Totenköpfe) die Massen bewegen, ist das bei einem Rucksack anders. Ein Rucksack ist ein Statement. In der Rangliste der polarisierenden Männer-Accessoires teilt er sich den Spitzenplatz mit dem Siegelring.

Euklid Tsakalotos wurde bislang nicht mit einem Siegelring gesichtet, der neue Finanzminister in Athen blieb modisch unauffällig. Bis auf den Rucksack. Ein feuerroter Rucksack. Wenn man also davon ausgeht, dass Mode immer ein Statement und Politik immer Inszenierung ist - was ist dann die Botschaft? Der Berg ruft?

Tatsächlich ist der Rucksack eines der wenigen Dinge, die Tsakalotos' Auftritte und die seines Vorgängers verbinden: Auch Yanis Varoufakis, unzweifelhaft das Aufregendste, das Brüssels Beamten in den vergangenen zwanzig Jahren passiert ist, kam häufig mit einem Rücksack über der Schulter bei den europäischen Geldgebern an. Was er damit transportiert hat, ist leider nicht überliefert, Sparvorschläge waren es bekanntlich nicht. Varoufakis' Rucksack wurde dennoch zum Sinnbild seiner Sonderstellung im Kreis der EU-Finanzminister.

Er war aber nicht der erste prominente Rucksackträger: Als Anshu Jain Chef der Deutschen Bank wurde, war es ebenfalls sein Verzicht auf den Aktenkoffer, der zum Symbol für eine neue Zeitrechnung bei dem Geldinstitut erklärt wurde. "The Bag Is The Botschaft" kalauerte der S piegel. Jains Gepäckstück - übrigens von der US-Firma Incase und damals für überschaubare 59,95 Dollar im Onlineshop erhältlich - verlieh ihm in der öffentlichen Wahrnehmung ein zupackendes Image. Dass seine Zeit an der Spitze der Bank im Rückblick mit weniger schmeichelhaften Adjektiven versehen werden würde, war da noch nicht zu ahnen.

Die zunehmende Beliebtheit des Rucksacks bei Führungskräften in Wirtschaft und Politik macht ihn deshalb nicht frei von Kritik: "Geschmacklos und kindisch" sei Jains Rucksack, befand etwa der Modekritiker Bernhard Roetzel, schließlich müsse ein Topmanager seine Unterlagen nicht in einem Rucksack transportieren, er habe ja andere Möglichkeiten. Auch der deutsche Knigge-Rat, selbst ernanntes Aufsichtsgremium über den Verfall der Sitten, rät nachdrücklich von Rucksäcken im beruflichen Umfeld ab, besonders von "zu sportlichen" - damit wären die beiden Herren Finanzminister wohl ebenso durchgefallen wie Jain, der Commerzbank-Chef Martin Blessing und Fiat-Boss Sergio Marchionne. Peter Knäbel, der Manager des Hamburger Fußballklubs HSV, hat seinen Rucksack kürzlich auf noch ungeklärte Art und Weise verloren: Voll gepackt mit Gehaltslisten und vertraulichen Dokumenten wurde er verlassen in einem Park gefunden. Andere dagegen brauchen nicht einmal einen Rucksack, um die Kritiker gegen sich aufzubringen: Der frühere österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer etwa versuchte sich einst an einem modischen Statement, als er mehrfach mit einer klassischen Aktentasche in sehr unklassischem Karminrot gesichtet wurde. Genützt hat das auch nichts: Die eigenen Parteifreunde jagten ihn schließlich aus dem Amt.

Nach althergebrachtem Stilverständnis gibt es also nur zwei Gelegenheiten, bei denen ein Rucksack für einen Mann angemessen ist: Er ist auf dem Weg zur Schule und hat seinen 13. Geburtstag noch vor sich. Oder er bezwingt einen Berg. Einen echten Berg, mit Felsen und Gipfelkreuz und der ständigen Gefahr durch wild grasende Kühe.

Aber vielleicht lässt man künftig Problemberge auch gelten: Dann hätten Chefs der Deutschen Bank und griechische Finanzminister einen modischen Freifahrtschein.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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