Start-up-Szene:Sie träumen nicht mehr

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Start-up-Paradies USA? Das war einmal. Die Zahl der Neugründungen sinkt, Kolosse wie Google und Amazon beherrschen die Szene. Beobachten lässt sich dieser Trend beim Digitalfestival South By Southwest in Austin.

Von Kathrin Werner, Austin

Die Start-up-Gründer von morgen bei der Arbeit von heute: Hacker-Veranstaltung bei der South By Southwest (SXSW) in Austin. (Foto: David Paul Morris/bloomberg)

Bei Google kann man Yoga in Begleitung von Babyziegen machen oder sich anschauen, wie das Leben in einem smarten Haus wäre - inklusive Roboter, der Socken sortiert. Vor der Niederlassung, die sich HP und Intel teilen, steht eine lange Schlange. Drinnen gibt es Spielzeug zum Thema künstliche Intelligenz, eine App verwandelt ein Selfie in Roboter-Kunst. Gegenüber dem Konferenzzentrum kann man im Sony-Haus einen Maschinenhund streicheln. Es gibt das Dell-Haus, das Panasonic-Haus und ein riesiges Gelände voller Autos und Lounges von Daimler, einem der Hauptsponsoren.

Über Jahrzehnte hinweg war das Digital-, Film- und Musikfestival South By Southwest (SXSW) in Austin ein Treffen der Gründer, Erfinder und Kreativen. Doch in diesem Jahr, wohin man schaut: Großkonzerne. Man könnte das als nebensächlich abtun, wenn es kein Symbol für die Lage der amerikanischen Volkswirtschaft wäre. Denn während immer mehr Macht in den Händen einiger weniger Unternehmen wie Amazon oder Google ist, fehlen den USA die Start-ups. Trotz all der Mythen um den schöpferischen Geist des Silicon Valley sinkt die Zahl der Firmengründungen seit den 80er-Jahren. Im Jahr 1979 machten Firmen, die weniger als ein Jahr alt sind, 14 Prozent aller US-Unternehmen aus, 2015 waren es nur noch gut acht Prozent, hat eine neue Studie des Think Tanks Brookings Institution ermittelt. In 2015, dem letzten Jahr, für das die US-Statistikbehörde Daten veröffentlicht hat, wurden 414 000 Unternehmen gegründet. Das war zwar etwas mehr als im Vorjahr, allerdings ein deutlicher Niedergang im Vergleich zu den 558 000 Neugründungen von 2006, dem letzten Jahr vor der Rezession. Und anders als am Ende des vergangenen Jahrtausends, als Branchen wie der Einzelhandel weniger Neugründungen sahen, weil große Ketten kleine Läden verdrängten, betrifft der Start-up-Mangel der vergangenen Jahre alle Branchen, sogar die Internetindustrie. "Märkte sind stärker konzentriert und weniger wettbewerbsorientiert als zu jeder anderen Zeit seit dem Ende des 19. Jahrhunderts", schreibt das linksliberale Roosevelt-Institut.

Mit den Start-ups fehlt der Wirtschaft die Dynamik. Start-ups kreieren mehr neue Jobs als alte Firmen, haben Ökonomen bewiesen. Wenn Start-ups fehlen, gibt es weniger Anreiz und Gelegenheit, Jobs zu wechseln. Und mit einem Jobwechsel steigen meist die Gehälter. Das Einkommen eines amerikanischen Durchschnittshaushalts ist heute in etwa genauso hoch wie in den 80er-Jahren. Es ist sogar so, dass eine wachsende Zahl der Arbeiter in ihren besten Jahren sich völlig vom Arbeitsmarkt verabschiedet hat - vor allem übrigens die Männer. Der Anteil der berufstätigen Menschen ist weit entfernt von seinem Höchststand Ende des 20. Jahrhunderts. Diese Leute gründen keine Unternehmen. Die Produktivität der Amerikaner wächst längst nicht mehr so schnell wie Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Brookings Institution sagt: Die fehlende Dynamik ist eine Bedrohung für den American Dream.

Wahrscheinlich tragen mehrere Phänomene zu Start-up-Mangel und fehlender Dynamik bei: Die Gesellschaft altert. Die Finanzkrise könnte dazu geführt haben, dass die Generation, die während und kurz nach ihr ins Berufsleben startete, zu große Angst vor Risiken hat und die Sicherheit eines Konzernjobs vorzieht. Einen Einfluss dürfte auch haben, dass Unternehmen wie Google Erfinder mit Geld und guten Arbeitsbedingungen anlocken, sodass sie ihre Ideen innerhalb der Konzerne entwickeln, statt eigene Firmen zu gründen. Das trägt wiederum zur wachsenden Macht der Monopolisten bei. Monopolisten wachsen langsamer als kleinere Firmen, sie haben schließlich weniger Konkurrenz. "Wir sehen steigende Marktmacht", sagte Marshall Steinbaum, Volkswirt beim linksliberalen Roosevelt-Institut, der New York Times. "Generell macht es das schwierig für neue Firmen, mit den Etablierten zu konkurrieren. Marktmacht erklärt alles." Die Zahlen zur Vergabe von Wagniskapital machen keine Hoffnung. Das Geld der Venture-Capital-Fonds geht mehr und mehr an Start-ups, deren Produkte und Dienstleistungen schon weit entwickelt sind. Seit 2014, dem Rekordjahr seit der Finanzkrise, ist die Anzahl der Wagniskapital-Vergaberunden weltweit von 19 000 auf 10 000 pro Jahr gesunken, hat der Marktforscher Pitchbook ermittelt. Die Summen, die sie insgesamt verteilt haben, sind recht stabil geblieben, das Geld hat sich nur konzentriert. Es gibt eine wachsende Zahl sogenannter Einhörner, also Start-ups mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar. Wer so viel wert ist, funktioniert eher wie ein Großkonzern.

Menschen, die an ihren ersten Ideen arbeiten, bekommen immer weniger Startkapital

An Menschen, die an ersten Ideen arbeiten, fließt immer weniger Startkapital. Laut Pitchbook sind diese frühen Geldvergaberunden, genannt "Early- und Seed-Kapital", von mehr als 13 000 im Jahr 2014 auf nur noch rund 6000 gesunken. Besonders schwer mit dem Geldeinsammeln tun sich Firmen, die den Großkonzernen Konkurrenz machen wollen, sagt die Kartellrechtlerin Lina Khan von der Universität Yale. "Wagniskapitalgeber fragen Start-ups inzwischen fast immer gleich am Anfang, was Amazon davon abhält, ihnen das Geschäft kaputt zu machen."

Auf der SXSW, dem Abbild der Internetwirtschaft, gibt es noch Idealisten, die mit kleinem Geld am Fortschritt der Welt arbeiten. Da ist das Start-up Sunculture, das mit solarbetriebenen Bewässerungsanlagen Kleinbauern helfen will, damit die Welt bald neun Milliarden Menschen ernähren kann. Da ist der schlaue Stift Mas Spec Pen, eine Erfindung der University of Texas, der Krebszellen noch während der Operation erkennt - ohne Labor. Wenn dafür Wagniskapital fließt, wird ein Start-up daraus. Und da ist das Team von Replex, das Computersysteme effizienter machen will, weil so viele Server grundlos laufen und gigantische Geld- und Energiemengen verschlingen. In wuseligen Räumen mit Papp-Aufstellern oder auf Podiumsdiskussionen mit ein paar Dutzend Zuhörern stellen sich Firmen vor, die soziale Medien von Fake News befreien oder mit künstlicher Intelligenz Krankheiten heilen wollen. Doch ob sie es jemals schaffen, so viel Kapital zu sammeln, dass aus ihrer Idee ein Produkt wird und sie sich irgendwann selbst eigene Werbe-Häuser mit Freigetränken, Warteschlangen und Yoga-Ziegen leisten können, ist fraglich. "Jeder liebt Unternehmertum, aber nicht jedem ist klar, dass es bedroht ist", sagt John Dearie, Präsident des neu gegründeten Centers for American Entrepreneurship. "Wenn neue Firmen der Motor neuer Jobs sind und Firmengründungen auf 30-Jahres-Tiefstand sind, bedeutet das einen nationalen Notstand."

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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