Staatsanwaltschaft im Steuerskandal:Herren des Verfahrens

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Nach dem Steuerskandal gelten Staatsanwälte als Volkshelden und werden in den Rang einer moralischen Autorität erhoben. Doch dieser Anspruch ist zu hoch, die Enttäuschung ist somit programmiert.

Heribert Prantl

In den obersten Etagen der Gesellschaft ist das Unrechts- und Schuldbewusstsein noch geringer als in den unteren. Steuergroßbetrüger und Bilanzfälscher halten nicht ihr Verhalten, sondern das der Ermittler für dubios; sie betrachten den Durchsuchungsbeschluss als Beleidigung, die Vernehmung als üble Nachrede und ein Ermittlungsverfahren als Übergriff in eine Welt, von der der Staatsanwalt keine Ahnung habe.

Staatsanwältin Margit Lichtinghagen begleitet Klaus Zumwinkel aus seinem Haus in Köln. (Foto: Foto: ddp)

Strafrecht gilt in besseren Kreisen als Spezialrechtsgebiet für das Prekariat und den unteren Mittelstand; die Strafrichter und Staatsanwälte gelten als robentragende Brüder der Sozialarbeiter - zuständig für Mord, Krimskrams und Verkehrsdelikte, für Dinge also, mit denen man in oberen Kreisen nur ausnahmsweise zu tun hat.

Siegfrieds Bad im Drachenblut ist nicht nur eine Sage. Es gibt viele Manager, die sich unverwundbar wähnen. Sie haben nicht gemerkt, dass die Lindenblätter wie jenes, das den Helden verwundbar machte, fast so zahlreich geworden sind wie ihre Kontoauszüge. Die Justiz hat nämlich den Schluss daraus gezogen, dass Wirtschafts- und Börsenkriminalität viel größere materielle Schäden anrichtet als die gesamte übrige Kriminalität zusammen - sie hat sich also auf Wirtschaftsvergehen konzentriert.

Die jungen Strafjuristen haben gelernt, Bilanzen zu lesen; es wurden Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften errichtet; und der Gesetzgeber hat die Paragraphen so zugespitzt, dass sie zur furchtbaren Waffe geworden sind. Diese Paragraphen betreffen gar nicht das Urteil. Sie betreffen die laufenden Ermittlungen und ermöglichen die Einziehung aller durch die Tat erlangten Vermögenswerte und die Beschlagnahme von Konten, ohne dass ein dringender Tatverdacht vorliegen muss. Eigentlich ist das Einfrieren von Konten nur eine vorläufige Maßnahme, der Beschuldigte gilt ja bis zum Urteil als unschuldig.

Die Folgen der Beschlagnahme sind aber nicht selten endgültig: Eine Firma, deren Konten eingefroren sind, geht schnell pleite. Das kann für einen brachialen Ermittlungsdruck sorgen - auch darauf basiert der üblich gewordene ,,Deal'', also das Aushandeln der Strafe.

Die Strafjustiz ist zwar nach wie vor auf groteske Weise unterbesetzt. Aber sie gleicht das durch behände Nutzung ihrer Möglichkeiten aus. Die CEOs schmunzeln nicht mehr, wenn der Staatsanwalt mit seinem Opel Vectra vor der Konzernzentrale vorfährt. Zwar kennt das Recht keine Vorschrift, die dem Beschuldigten das Messer auf die Brust setzt. Die Präsentation eines Haftbefehls kann aber ähnliche Wirkung haben.

Die Staatsanwaltschaft präsentiert sich mit neuer Souveränität. Zwar sind Staatsanwälte noch immer Beamte, noch immer genießen sie nicht die Unabhängigkeit der Richter, noch immer werden sie in ihrem Beruf nicht reich. Aber sie haben ein neues stolzes Rechtsbewusstsein, eine fast libidinöse Beziehung zum Recht. Viele Staatsanwälte hätten auch Wirtschaftsanwälte werden können, sie haben sich bewusst gegen den Reiz des großen Geldes und für das langsam mahlenden Justizwerk entschieden - und dafür, es zu verbessern.

Beschuldigte Wirtschaftsführer lassen die Großanwälte der Republik für sich aufmarschieren; das gibt den Staatsanwälten ein David-gegen-Goliath-Gefühl; sie haben aber viel mehr in der Hand als Schleuder und Kieselstein. In den Wirtschaftsverfahren ist die Staatsanwaltschaft wieder das, was sie laut Gesetz sein soll: Herr des Verfahrens. Sie greift bisweilen auch zu etwas suspekten Mitteln. In den aktuellen Großverfahren hat sie sich die Erkenntnisse für fünf Millionen Euro gekauft: Die Anwälte der Steuerhinterzieher werden (wohl vergeblich) versuchen, daraus ein Verwertungsverbot zu konstruieren.

In den Verfahren des großen Geldes packt die Staatsanwaltschaft zu: Das gefällt den Menschen, die mit Zorn das Treiben der Wirtschaft und die Schwäche der Politik betrachten. Die Kriminalverfahren werden zur Aktion mani pulite (saubere Hände) der deutschen Justiz. Die Staatsanwaltschaft wird dabei von der Öffentlichkeit in den Rang einer moralischen Autorität erhoben: Sie gilt als Institution zur Abstellung von Missständen, als Ober-Aufsichtsrat, als Lehranstalt für die Eliten. Weil auch die beste Strafverfolgung dies nicht leisten kann, ist die Enttäuschung programmiert.

Saubere Hände: Unter diesem Motto hat die italienische Staatsanwaltschaft vor fünfzehn Jahren das korrupte Gefüge des Parteibonzentums aus den Angeln gehoben. Eine kleine Schar unerschrockener Juristen ließ Industriemanager und Parteibosse in Handschellen abführen. Die Staatsanwälte wurden zu Volkshelden, mit ihnen verband sich die Hoffnung auf die Erneuerung der Gesellschaft. Was ist daraus geworden? Berlusconi! Mit dem Strafrecht kann man also die öffentliche Moral, den Anstand der Eliten nicht dauerhaft erzwingen.

Strafrecht kann nur die Linie ziehen, ab der aus fehlendem Anstand krimineller Missstand wird. Diese Grenze muss gut bewacht, der Grenzübertritt bestraft werden. Zu diesem Zweck braucht es keine neuen Höchststrafen bei Steuerhinterziehung; es braucht eine gut besetzte, eine gut motivierte und gut rechtsstaatliche Staatsanwaltschaft.

© SZ vom 18.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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