Springer-Chef Mathias Döpfner im Interview:"Der Abgesang auf die Zeitung ist falsch"

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Der Rundumblick auf die Zeitungslandschaft: Mathias Döpfner, Vorstandschef des "Bild"-Konzerns Springer, spricht über die hohe wirtschaftliche Attraktivität klassischer Zeitungen und über Springers "Elefantenfriedhof" in Berlin.

Caspar Busse, Christopher Keil

SZ: Herr Döpfner, Rupert Murdoch will das Wall Street Journal, die zweitgrößte US-Zeitung, für fünf Milliarden Dollar kaufen. Kommt jetzt die Renaissance der Zeitungen und der Zeitungskonzerne?

Döpfner: Ich finde den Vorgang sehr interessant, auch wenn es sich für mich eher nach Klassizismus als nach Renaissance anhört. Der Preisaufschlag, den Murdoch für Dow Jones angeblich bietet, ist für jeden Zeitungsjournalisten ein unglaubliches Kompliment. Wenn ein überaus erfolgreicher Medienunternehmer wie Murdoch diesen Preis für ein klassisches Printunternehmen zahlen würde, heißt das doch: Zeitungskonzerne sind nach wie vor wirtschaftlich hoch attraktiv. Murdoch bietet diese Summe ganz sicher nicht allein aus Prestigegründen.

SZ: Aber ist Dow Jones überhaupt ein klassischer Zeitungskonzern?

Döpfner: Dow Jones ist natürlich mehr als ein Zeitungskonzern. Ich vermute, Murdoch verfolgt eine multimediale Strategie. Mit Hilfe der Kompetenz des Wall Street Journal könnte er einen eigenen Wirtschafts-Fernsehkanal aufbauen. Und schließlich gibt es das sehr erfolgreiche Internetgeschäft von Dow Jones. Dieser Dreiklang ist durchaus sinnvoll.

SZ: Was bedeutet das für den Axel Springer Verlag?

Döpfner: Zunächst einmal ist das die Bestätigung unserer Strategie. Auch wir setzen auf diesen Dreiklang: Zeitungen und Zeitschriften mit geschriebenen Informationen, das Fernsehen mit Bewegtbildern und das Internet als konvergente Synthese daraus. Wir werden in Zukunft in allen drei Bereichen wachsen, am stärksten im Online-Bereich. Zudem zeigt sich, dass der Abgesang auf die Zeitungen voreilig und falsch ist.

SZ: Lohnt es sich noch, in Printprodukte zu investieren?

Döpfner: Ja, in Neugründungen. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren 60 neue Titel herausgebracht. Wir stellen fest, dass man heute in der angeblichen Zeitungs- und Zeitschriften-Krise offenbar schneller erfolgreich gründen kann als früher.

SZ: Haben Sie Beispiele?

Döpfner: Unsere neue Fernsehzeitschrift TV Digital meldet schon zwei Jahre nach dem Start eine Auflage von fast zwei Millionen und ist damit bereits profitabel. Das spektakulärste Beispiel ist unsere Neugründung Fakt in Polen: In weniger als zwei Jahren nach dem Start war das Blatt profitabel. Von Null an haben wir die größte Zeitung des Landes etabliert. Und im letzten Jahr folgte Dziennik, der Titel ist die drittgrößte Zeitung in Polen. Das zeigt: Da geht noch was.

SZ: Vor dem Start wurde Fakt sehr kritisch beurteilt, es gab Vorbehalte gegen einen deutschen Verleger. Wie erklären Sie sich den Erfolg in Polen?

Döpfner: Es ist nicht so, dass in Polen der Humus so gut ist, dass auch der faulste Samen die schönsten Blüten treibt. Die Marktbedingungen sind schwierig. Das sieht man daran, dass der bisherige Marktführer seine Reaktion auf Fakt schon nach drei Monaten wegen mangelnden Erfolgs wieder einstellen musste. Am Ende zählt nur der Inhalt. Wir hatten das richtige Team. Wir machen eine Zeitung aus Polen für Polen. Die Qualität des Journalismus entscheidet, das Marketing hat gestimmt.

SZ: Sie planen derzeit auch ein neues Objekt für Frankreich. Können Sie den Erfolg wiederholen?

Döpfner: Wir werden über den Start einer Tageszeitung in Frankreich im Sommer entscheiden. Die qualitative Marktforschung war ermutigend. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse einer quantitativen Analyse. Es geht auch um Fragen des Vertriebs, der Drucktechnik und natürlich um die inhaltliche Konzeption.

SZ: Wird es eine Boulevardzeitung nach dem Vorbild von Bild?

Döpfner: Wenn wir uns für eine Einführung entscheiden und das ist derzeit noch offen, soll es ein Boulevardtitel werden, aber keine Kopie der deutschen Bild-Zeitung, sondern eine sehr französische Zeitung.

Lesen Sie weiter: Französische Vorbehalte gegen deutsche Zeitungen, die neue Mode der Line Extensions und Springers "Elefantenfriedhof" in Berlin...

SZ: In Frankreich gibt es auch Vorbehalte gegen deutsche Zeitungskonzerne.

Döpfner: Kulturelle Sensibilität ist in unserem Geschäft sehr wichtig. Wir haben nicht den Ansatz, dass wir mit einer deutschen Keulenriege im Ausland einmarschieren und sagen, wie eine Zeitung zu machen ist. Wir vertreten keine deutschen Interessen: Wir sind nicht das Goethe-Institut und auch nicht das Auswärtige Amt.

SZ: Wie hoch soll die Auflage sein?

Döpfner: So hoch wie möglich.

SZ: Es gibt Spekulationen, die neue Zeitung für Frankreich könnte in den ersten drei Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag verschlingen. Stimmt das?

Döpfner: Das kann ich nicht bestätigen. Wir haben noch keinen Geschäftsplan verabschiedet. Es wäre aber eine erhebliche Investition.

SZ: Wann könnte die Zeitung starten?

Döpfner: Sollten wir uns dazu entschließen, wäre der Start noch in diesem Jahr machbar, aber nicht zwingend.

SZ: Viele Verlage setzen derzeit auf so genannte Line-Extension, also neue Unterobjekte von bereits bestehenden Titeln. Planen Sie das auch?

Döpfner: Line Extension ist ein neumodisches Wort, für das, was wir seit zwei Jahrzehnten machen. Beispiele sind Audio Video Foto Bild, Computer-Bild Spiele, Computer-Bild, Sport-Bild, Auto-Bild oder Bild der Frau. Alleine bei Bild haben wir mit neuen Titel in den letzten zwanzig Jahren die Reichweite von acht auf 24 Millionen gesteigert.

SZ: Planen Sie so etwas auch für die Welt?

Döpfner: Für die Marke der Welt geht es in eine ähnliche Richtung. Wir haben jetzt neben der Welt und der Welt am Sonntag Welt kompakt erfolgreich positioniert und mit Welt-online einen komplett neuen Online-Auftritt realisiert. Mit der Zusammenlegung von Welt und Berliner Morgenpost sind wir entgegen aller Kritik im Vorfeld sehr erfolgreich. Viele haben uns anfangs einen Tabubruch vorgeworfen und erhebliche publizistische Probleme mit beiden Titel vorhergesagt, das Gegenteil ist eingetreten. Journalistisch und wirtschaftlich ist die Zusammenlegung ein überragender Erfolg.

SZ: Gibt es ein ähnliches Konzept auch für die zweite große Springer-Regionalzeitung, das Hamburger Abendblatt?

Döpfner: Nein, hier haben wir eine völlig andere Situation. Das Hamburger Abendblatt ist über Jahrzehnte gewachsen und hat eine sehr gute Marktposition. Vorstellbar ist aber, dass auch das Hamburger Abendblatt stärker überregionale Korrespondenten- Berichte der Welt nutzen wird, so wie beispielsweise auch Texte von Agenturen genutzt werden. Weiterführende Pläne gibt es da nicht.

SZ: Sie haben rund 60 Welt-Redakteure in eine sogenannte "Entwicklungsredaktion" ausgelagert. Was soll dieser "Elefantenfriedhof"?

Döpfner: Das soll kein Elefantenfriedhof werden, sondern ein höchst lebendiges Biotop. Die Service- und Entwicklungsredaktion soll für das Haus wichtige Beiträge liefern und im Idealfall auch externe Aufträge akquirieren. Erste Gespräche werden geführt. Am Ende soll sie sich wirtschaftlich selbst tragen.

SZ: Wie lange wird das dauern?

Döpfner: Das lässt sich heute noch nicht absehen.

SZ: Was sind das für interne und externe Aufträge, die erledigt werden sollen?

Döpfner: Es geht dabei um Themen-Beilagen, Supplements und Service-Elemente,Veranstaltungskalender oder andere Nutzwert-Angebote.

Lesen Sie weiter: Der Veränderungsprozess bei Springer, der Anschluss an YouTube und der Umzug der Bildzeitung...

SZ: Wir weit wird der Veränderungsprozess bei Axel Springer gehen?

Döpfner: Die Branche ist insgesamt in einem strukturellen Veränderungsprozess. Nur wer auf diese Veränderungen rechtzeitig und richtig reagiert, wird Erfolg haben. Innovationen sind wichtig, um am Markt bestehen zu können. Wir dürfen aber nicht alles ändern und müssen wissen, was wir bewahren sollten. Wir dürfen nicht Selbstmord begehen aus Angst vor dem Tod. Die Grundlage unseres Geschäftes ist nach wie vor guter Journalismus. Nur dann können wir auch in Zukunft bestehen.

SZ: Was macht guten Journalismus aus?

Döpfner: Guter Journalismus packt, bewegt, führt und verführt, erklärt und klärt auf, und er amüsiert und erschließt andere Welten. Er interessiert für etwas, von dem der Leser noch gar nicht wusste, dass es ihn interessieren könnte. Guter Journalismus pflegt eine eindringliche, anschauliche Sprache, er überzeugt durch Haltung, also durch eine klare, leidenschaftlich begründete Meinung und natürlich durch investigative, selbst recherchierte Nachrichten. Das war vor vierhundert Jahren bei Johann Carolus in Strassburg so, das hat Theodor Wolff in seinen Dreyfuß-Texten beherzigt und das wird auch in der digitalen Zukunft nicht anders sein.

SZ: Das sind Dinge, die auch das Wall Street Journal oder Reuters auszeichnen, beide stehen derzeit vor der Übernahme.

Döpfner: Da gibt es auch nichts Neues zu erfinden. Inhalte ändern sich deutlich weniger als viele denken. Was sich ändert, sind die Produktionsbedingungen, die Arbeitsabläufe, die Vertriebskanäle und die Ästhetik. Aber eine gute Geschichte bleibt eine gute Geschichte.

SZ: Mit der Übernahme des TV-Konzerns Pro Sieben Sat 1 sind Sie im vergangenen Jahr am Widerstand des Kartellamtes gescheitert. Ist Fernsehen noch wichtig für Sie?

Döpfner: Fernsehenspielt weiter eine wichtige Rolle, da hat sich nichts geändert. Wir verfolgen jetzt andere Wege, um unser Ziel zu erreichen. Neben unserer bestehenden Beteiligung an der Pro Sieben Sat 1 Media AG beteiligen wir uns zum einen an regionalen Fernsehsendern, etwa in Berlin und in Hamburg. Wir gehen ins Ausland, in Märkte, in denen wir aktiv sind oder aktiv werden wollen, aktuell nach Polen und in die Türkei. Und außerdem setzen wir auf den Aufbau unserer eigenen Gesellschaft für Internetfernsehen. Der Weg zum Massenmarkt ist zwar noch lang, aber Internet-Fernsehen bietet eine große Chance für organisches Wachstum.

SZ: Noch sind Sie mit zwölf Prozent an Pro Sieben Sat 1 beteiligt. Werden Sie daran festhalten?

Döpfner: Wir sind mit der Wertentwicklung sehr zufrieden und sind nach wie vor mit zwei Sitzen im Aufsichtsrat vertreten. Jetzt schauen wir uns erst einmal die geplante Übernahme von SBS an. Für uns gibt es nach wie vor drei Optionen: alles bleibt wie es ist, wir verkaufen oder wir stocken auf.

SZ: Im Ausland sind Sie Minderheitsbeteiligungen an TV-Anbietern eingegangen. War das ein Verzweiflungsakt?

Döpfner: Eher ein Lustkauf, denn die Beteiligungen an Dogan TV in der Türkei und Polsat in Polen sind höchst attraktive Investments, die wir zudem zu für uns sehr vorteilhaften Konditionen verhandeln konnten. Natürlich ist eine Mehrheit immer schöner als eine Minderheit, manchmal ist das aber nicht anders möglich. Entscheidend ist für uns der Zugang zu Bewegtbildern ohne von Dritten, die uns ihre Konditionen diktieren können, abhängig zu sein.

SZ: Wie kritisch sehen Sie die Rolle des Kartellamts bei der Medienfusionskontrolle in Deutschland?

Döpfner: Hierzu haben wir alles gesagt. Alle Beteiligten sind aufgerufen, die Veränderungen der Märkte zur Kenntnis zu nehmen. Ich selbst habe schon früh gewarnt, dass Internetfirmen wie Google, Yahoo oder Ebay zu einem ernsten Wettbewerber für die werbefinanzierten klassischen Medienfirmen werden. Anfangs wurde ich dafür belächelt. Jetzt bin ich selbst ein wenig überrascht, nicht dass, aber wie schnell die Prognose eingetroffen ist. Google realisiert heute mehr als zehn Milliarden Dollar aus Werbeerlösen, das ist rund die Hälfte des amerikanischen Online-Werbemarktes. Vor zwei Jahren hätten die Kartellwächter mich für solche Prognosen in die Geschlossene Anstalt eingeliefert.

SZ: Internetfirmen wie Youtube oder Myspace werden zu hohen Preisen verkauft. Verliert Springer den Anschluss?

Döpfner: Ob die Rechnung für uns und für andere langfristig aufgeht, muss man sehen. Youtube könnte eine Keimzelle sein, für eine neue Generation des Fernsehens, oder es könnte sein wie eine angesagte Diskothek, die eine Zeit lang sehr großen Zulauf hat und unendlich trendy ist. Aber plötzlich macht woanders ein neuer Club auf, der mehr dem Zeitgeist entspricht. Wir wissen es nicht. Die Axel Springer AG aber verliert nicht den Anschluß, sie ist nach meiner bescheidenen Beobachtung der innovativste und veränderungsfreundlichste Verlag in Deutschland, wenn es um den existenziellen Transformationsprozeß von der analogen in die digitale Welt geht.

SZ: Aber auch Springer-Titel wie Bild setzen doch immer stärker auf von den Lesern generierte Inhalte, Stichwort Leser-Reporter.

Döpfner: Natürlich. Dieser so genannte User-generierte Inhalt ist weder Allheilmittel, noch Elend. Er wird das inhaltliche Angebot bereichern, aber niemals guten Profi-Journalismus ersetzen.

SZ: Die Deutsche Post und der Spiegel planen eine Sonntagszustellung. Damit ist das Monopol von Springer am Sonntag in Gefahr. Beunruhigt Sie das?

Döpfner: Mir wäre es natürlich lieber wenn es nicht soweit käme. Aber irgendwann war damit zu rechnen. Ich bin mir nicht sicher, ob das für uns zu Einbußen führen wird. Auch als die FAZ mit der Sonntagszeitung auf den Markt kam, gab es nicht den befürchteten Auflageneinbruch für BamS und Welt am Sonntag. Der Sonntag als Lesetag wird einfach immer wichtiger.

SZ: Sie planen den Umzug von Bild. Betroffen sind 700 Beschäftigte. Sie könnten sich mit dem Umzug auch von Mitarbeitern trennen?

Döpfner: Das könnten wir auch in Hamburg. Darum geht es nicht.

SZ: Bei Bild und Bild am Sonntag gibt es wegen des geplanten Umzugs der Redaktion erhebliche Unruhe, sie wurden zuletzt von den Mitarbeitern ausgebuht. Warum machen Sie überhaupt diesen Schritt?

Döpfner: Weil uns die Wettbewerbsvorteile der Zukunft wichtiger sind als die Bedenken von heute. Aber wir werden in der sozialen Tradition unseres Verlages alles Erdenkliche tun, um unseren Mitarbeitern diesen Schritt zu erleichtern.

SZ: Was spricht denn dafür?

Döpfner: Die Überlegungen sind publizistisch und unternehmenspolitisch motiviert. Berlin ist die größte deutsche Metropole, das kulturelle Zentrum und der Regierungssitz. Hier liegt der Rohstoff für Journalismus. Außerdem ist Berlin der Hauptsitz des Verlages. Auf die Dauer ist es nicht sinnvoll, dass die wichtigste Zeitung des Hauses woanders gemacht wird. In einigen Jahren werden unsere Wettbewerber uns um diesen Standortvorteil beneiden. Axel Springer hat vor mehr als vier Jahrzehnten die visionäre Entscheidung getroffen, ein Verlagshaus an der Mauer zu bauen, um eines Tages im vereinigten Deutschland seine Zeitungen aus der Hauptstadt zu gestalten. Es ist bisher kein Grund aufgetreten, Axel Springer zu korrigieren.

© SZ vom 16.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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