Sozialpolitik:Raus aus Hartz IV

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Wer lang arbeitslos ist, wird oft zu wenig gefördert, kritisiert der DGB. Und warnt vor einer Verschlechterung der Chancen vor allem von Helfern und Ungelernten. Für sie wird es in Zukunft eher noch schwerer werden.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wer einmal ins Hartz-IV-System abgerutscht ist, kommt dort oft nicht so schnell heraus. Drei Viertel der knapp zwei Millionen als arbeitslos geführten Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) sind länger als ein Jahr auf die Grundsicherung angewiesen. Sie haben es schwer, einen regulären Job zu ergattern - in Zukunft vielleicht noch schwerer, wenn junge Flüchtlinge mit ihnen um einen Job konkurrieren.

Das liegt vor allem an der Qualifikation: Von allen arbeitslosen Hartz-IV-Beziehern in den Jobcentern sind fast drei Fünftel ohne einen berufsqualifizierenden Abschluss. Bei Jobsuchenden, die ALG I aus der Arbeitslosenversicherung erhalten und in den Arbeitsagenturen betreut werden, trifft dies nur auf jeden Vierten zu.

Um am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen und sich für einen Beruf qualifizieren zu können, brauchen deshalb gerade die Hartz-IV-Empfänger Hilfe. Doch ihre Chancen auf Förderung sind deutlich schlechter als im System der Arbeitslosenversicherung, in dem die Wahrscheinlichkeit, sich wieder ins Berufsleben eingliedern zu können, etwa viermal höher ist als im Hartz-IV-System. Das geht aus einer Studie des Arbeitsmarktexperten des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Wilhelm Adamy, hervor, die der Süddeutschen Zei tung vorliegt.

Die Zahlen des Fachmanns, der für die Arbeitnehmerseite im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA) sitzt, sind ernüchternd: Im Juli 2015 profitierten 783 000 Menschen von Fördermaßnahmen, die eine Hälfte Hartz-IV-Empfänger, die andere Hälfte Bezieher von ALG I. Über die Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung werden also genauso viele Fördermaßnahmen finanziert wie über die Steuermittel des Hartz-IV-Systems. Die Chance, davon etwas abzubekommen, ist für diejenigen, die ganz unten gelandet sind, allerdings deutlich geringer, weil die Mittel auf viel mehr Köpfe zu verteilen sind: Schließlich werden von den gut mehr als 2,7 Millionen Arbeitslosen drei Viertel oder fast zwei Millionen in den Jobcentern betreut.

Ungelernte werden es künftig schwerer haben, einen Job zu finden, erwartet die Gewerkschaft

Adamy nennt als Beispiel die berufliche Weiterbildung: Im Hartz-IV-System gab der Bund dafür in den letzten Jahren im Durchschnitt etwa 563 Millionen Euro aus. Bei der durch Beiträge finanzierten Arbeitslosenversicherung waren es etwa 766 Millionen, obwohl es dort viel weniger Arbeitslose ohne Berufsabschluss gibt.

Nun mag man entgegenhalten, dass längst nicht alle Hartz-IV-Empfänger problemlos einen Berufsabschluss erzielen können. Immer noch erhalten monatlich knapp 100 000 einen Ein-Euro-Job, vor allem, um sie zunächst einmal wieder an eine Arbeit heranzuführen.

Adamy kritisiert aber eine zu "starke Konzentration auf kurzfristige Hilfen". Er hält das Qualifizierungspotenzial im Hartz-IV-System für "nicht ausgeschöpft" und rechnet vor: Selbst wenn man nur diejenigen einbezieht, die die Arbeitsvermittler als geeignet für eine Förderung einstufen, standen für diese bei den Jobcentern zuletzt 1340 Euro zur Verfügung, in der Arbeitslosenversicherung waren es 2150 Euro. "Der Kreis der Förderfähigen ist deutlich höher als der der Geförderten", schreibt der DGB-Experte. Die "qualifikationsbedingten Wettbewerbsnachteile" der Hartz-IV-Bezieher ließen sich so nicht lösen, zumal die Beschäftigungschancen für Helfer und Ungelernte eher abnehmen.

Adamy fordert deshalb eine "Qualifizierungsoffensive" und mehr Geld für die berufliche Weiterbildung. Das lohnt sich oft: Immerhin 40 Prozent der Hartz-IV-Empfänger schaffen dann den Sprung zurück in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Bei Altenpflegekräften sind es sogar gut 70 Prozent.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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