Solarindustrie:Wenn das Spezialglas knapp wird

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Der Bedarf an Solarglas wächst ob der stetig steigenden Nachfrage nach Solarmodulen rasant - genau das könnte jetzt zum Problem für die Glasindustrie werden.

Ariane Rüdiger

Horrorszenario für die Solarbranche: Aktuelle Zahlen von Photon Consulting lassen den Schluss zu, dass ausgerechnet Glas zum knappen Gut in der Solarindustrie werden könnte. Das Marktforschungsunternehmen und sein Vorstand Michael Rogol gelten als eine der wichtigsten Quellen für Daten zur Photovoltaik-Industrie. Photon Consulting gehört zum Solar-Verlag, der die führende Branchenzeitschrift Photon herausgibt.

Die Sonne ernten - der Bedarf an Photovoltaik-Anlagen wächst stetig. (Foto: Foto: AP)

Rogols Prognosen werden von der Industrie gefürchtet. Ist er doch einer von denen, die davon ausgehen, dass in den Preisen für Solarmodule noch ziemlich viel "Luft" steckt. Seine Grundthese: Die Industrie brauche "mehr Druck", damit Module billiger werden. Neben anderen Argumenten sind auch die Daten von Photon Consulting dafür verantwortlich, dass die Einspeisevergütung für Solarstrom in Deutschland von Jahr 2009 an wahrscheinlich relativ stark reduziert wird.

In Bezug auf Solarglas nennt der Analyst nun erstaunliche Zahlen: Im vergangenen Jahr habe die Solarindustrie 31 Millionen Quadratmeter Flachglas und damit weniger als ein Prozent der weltweiten Produktion verbraucht. 2010 sollen es schon 116 und im Jahr 2012 dann 370 Millionen Quadratmeter sein. "Die Glasindustrie reagiert auf diesen Bedarf bei weitem nicht schnell genug. Wir stehen bei Glas vor einer Angebotslücke", prognostiziert Rogol.

Allerdings ist die These vom Engpass bei Solarglas durchaus umstritten. "2010 werden um die 116 Millionen Quadratmeter gebraucht, dem steht dann eine Produktion von 150 Millionen Quadratmetern gegenüber", schätzt beispielsweise Thomas Hofmann von Centrosolar, einem deutschen Modulhersteller, der auch selbst Spezialglas fertigt. Die prophezeite Lücke werde es nicht geben, sagt Hofmann.

Marktvolumen im Milliardenbereich

Lücke oder nicht, das in Frage stehende Marktvolumen ist beträchtlich - es geht um Milliardenbeträge. Kostet normales Flachglas für Fenster etwa sechs Euro pro Quadratmeter, sind es bei Gläsern für die Solartechnik zwischen zehn und 16 Euro pro Quadratmeter, je nach Ausführung. Das bedeutet ein Marktvolumen zwischen 1,2 und 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2010.

Der Werkstoff Glas hat in der Solartechnik gleich mehrere wichtige Funktionen: er schützt empfindliche Solarzellen vor Witterungseinflüssen und dient bei der Dünnschicht-Technologie als Träger für die eigentlich stromerzeugende Schicht. Solarglas muss sehr spezifischen Anforderungen genügen. Deshalb kann nicht einfach konventionelles Glas für die Solartechnik genutzt werden.

Gebraucht werden hochtransparente Gläser, die kein Eisen mehr enthalten oder beschichtet sind, damit sie mehr Licht durchlassen und keins reflektieren. Zur besseren Ausnutzung der Sonnenstrahlen werden Abdeckgläser für Solarzellen an der Außenseite oft dreidimensional gemustert, zum Beispiel mit winzigen Pyramiden. Auch die Formate sind kleiner und vielfältiger als sonst bei der Glasindustrie üblich. Außerdem sind die Glasscheiben für Dünnschichtsysteme besonders fein, um Gewicht und Material zu sparen. Das wiederum macht den Transport riskanter als bei konventionellen Glasprodukten. Schließlich sollen Solarmodule lange auf dem Dach liegen, um sich zu amortisieren. Deshalb wünschen sich die Modulbauer, dass Solarglas mindestens 25 Jahre lang hält.

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Heute macht das Glas drei bis fünf Prozent der Kosten von Solarmodulen aus. Dieser Anteil werde sich wegen steigender Energie- und Materialkosten um zehn bis 15 Prozent erhöhen, schätzt Rogol. Bei Dünnschichtmodulen stellt Glas sogar etwas mehr als die Hälfte des Materials und heute rund ein Viertel der Kosten - hier soll der Kostenanteil von Glas bis zum Jahr 2015 auf mehr als ein Drittel steigen.

Einige Experten gehen davon aus, dass Kunststoff das Glas in der Dünnschichttechnik eines Tage ersetzen wird, andere wie der Materialspezialist Heiko Hessenkemper von der TU Bergakademie Freiberg Hessenkemper zweifeln daran. Kunststoff sei nicht langlebig genug, schlecht zu recyceln und verbrauche zu seiner Erzeugung fossile Energieträger als Rohstoffe. Für Glas hingegen werde nur reine Energie benötigt.

Schon ein um wenige Cent höherer Glaspreis könne sich negativ auf die Margen der Hersteller auswirken, die bei integrierten Modulfertigern meist 25 Prozent oder mehr beträgt. Werden steigende Einkaufskosten allerdings komplett an den Endverbraucher weitergereicht, geraten die Rentabilitätsberechnungen für Photovoltaik-Systeme auf Dächern schnell in Schieflage.

Allerdings ist die These von den unvermeidlichen Preissteigerungen nicht unumstritten. Materialspezialist Hessenkemper beispielsweise sieht im Glasmarkt erhebliche Intransparenzen, die sich zu ungunsten der Kunden auswirken. Erst im Januar waren die weltweit vier größten Hersteller Saint Gobain, ACG, Guardian und Pilkington wegen verbotener Preisabsprachen bei Flachglas zu Strafzahlungen von insgesamt 487 Millionen Euro verurteilt wurden. "Die wirklichen Kosten der Produktion werden von den Herstellern tunlichst nicht offengelegt", kritisiert Hessenkemper.

Neue Fertigungsmethoden sind in Arbeit

Deshalb geht Hessenkemper davon aus, dass günstigere Fertigungsmethoden, dünneres Glas und die Integration oder wenigstens räumliche Nähe von Glas- und Solarmodulfabrik die Kosten sogar erheblich senken könnten. "So kann man Solarglas ohne Transportrisiko in der Menge und Qualität herstellen, wie es gerade gebraucht wird", sagt er. Dieses Modell würde dem der Automobilindustrie ähneln: Viele Zulieferer sind in dieser Branche um die Montagefabriken der großen Hersteller herum angesiedelt oder arbeiten sogar in deren Hallen.

Damit liegt er auf einer Linie mit "Solar-Guru" Rogol. Der prognostiziert, dass in den kommenden Jahren weltweit Hunderte neue Unternehmen entstehen werden, die sich auf die Produktion von Solarglas konzentrieren.

Ein Beispiel für diesen neuen Trend ist die Münchner Solarglas AG, die in Brandenburg in der Nähe der dortigen Modulfertiger eine Glasfabrik exklusiv für Solarglas errichten will, die ein neuartiges, umweltfreundlicheres und günstigeres Produktionsverfahren verwenden soll, bei dem das Glas in einer reinen Sauerstoff-Atmosphäre geschmolzen wird. Derzeit befindet sich das Vorhaben noch im Projektstadium, für den neuartigen Fertigungsprozess hat die Firma Patente beantragt.

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