Siemens in Russland:Schonfrist für die Geldboten

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Warum in Russland gegen Siemens derzeit nicht ermittelt wird - und warum sich das unter Putins Nachfolger Medwedjew ändern könnte.

Daniel Brössler

Die Geschäfte in Russland liefen gut für Siemens. Aus allen Teilen des großen Landes kam Kunde von neuen Aufträgen. Immer wieder gab es Anlässe zum Feiern, so wie am 11. April 2003 in St. Petersburg. Volker Jung, damals noch Vorstandsmitglied bei Siemens, war angereist, um mit örtlichen Honoratioren die Installation eines digitalen Telefonvermittlungssystems zu feiern.

Vielfältig in Russland aktiv - Siemens lieferte Telefontechnik, aber auch ein automatisches Verkehrsleitsystem für die Stadtautobahn in Moskau. Manche der Geschäfte von Siemens in Russland kamen nur nach Zahlung von Schmiergeld zustande, urteilte das Landgericht München. Trotz einer Liste von Geldboten, Empfängern und Beträgen ermittelt die russische Justiz bisher nicht gegen den Konzern. (Foto: Foto: oh)

"Der Firma North Western Telecom erlaubt das, veraltete Technik auszutauschen und zu modernisieren", jubelte die regionale Telefongesellschaft in einer Pressemitteilung. Heute muss der Weltkonzern damit zurechtkommen, dass Erfolge wie dieser halbseiden wirken.

Das ist so, seit die 5. Strafkammer des Landgerichts München eine Geldbuße von 201 Millionen Euro verhängt hat, weil der Konzern in verschiedenen Ländern, allen voran Russland, beträchtliche Schmiergelder bezahlt hat. Öffentlich zugänglich ist mittlerweile eine Liste mit solchen Zahlungen.

Für die russische Justiz müsste diese umfangreiche Liste eine Fundgrube darstellen. Sie enthält Namen der Geldboten, der Empfänger und auch Beträge. Geld geflossen ist in Chabarowsk und Wladiwostok im Fernen Osten ebenso wie in Pensa im Wolga-Gebiet oder auch in Petrosawodsk im Nordwesten, wo der Vize-Chef der örtlichen Telefongesellschaft beispielsweise am 27. August 2003 genau 102.400 Euro in Empfang genommen haben soll.

Bei Russlands Ermittlern freilich haben weder Namen noch Zahlen Interesse geweckt. In einem Schreiben teilte die russische Staatsanwaltschaft der Süddeutschen Zeitung in Moskau mit, "dass das Ermittlungskomitee bei der Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation keine Strafsache im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Landgericht München verfolgt".

Elena Panfilowa, die Chefin von Transparency International in Russland, ist nicht erstaunt über die Untätigkeit der russischen Justiz. "Wenn es in Deutschland Informationen gibt, heißt das nicht, dass sie auch für unsere Staatsanwaltschaft existieren", erläutert sie. "Für die Einleitung eines solchen Verfahrens ist der politische Wille unerlässlich", betont Panfilowa - und im Falle Siemens habe dieser Wille bislang offenbar gefehlt.

"Keine Gegenleistung"

Wenn es um Korruption geht, fallen Worte und Wille in Russland deutlich auseinander. Immer wieder hat Kremlchef Wladimir Putin zum Kampf gegen die Korruption geblasen, doch die Bilanz nach fast acht Jahren seiner Präsidentschaft ist ernüchternd. Russland zählt nach wie vor zu den korruptesten Ländern; nach Expertenmeinung sind die Schmiergeldzahlungen unter Putin sogar rasant gestiegen. Im neuesten Korruptionsindex von Transparency International teilt sich Russland mit Ländern wie Togo und Gambia den 143. Platz. Im Vorjahr war es immerhin Platz 121.

Die Korruption habe in Russland ein "enormes Ausmaß" angenommen, klagte jüngst Vize-Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, der von Putin zu seinem Nachfolger auserkorene Präsidentschaftskandidat. "Ohne Übertreibung kann man sagen, dass Russland das Land des Rechts-Nihilismus ist. Kein anderes Land Europas weist eine derartige Missachtung des Rechts auf", stellte der Jurist fest. Nach seinem sicheren Wahlsieg am 2. März will Medwedjew den Kampf gegen die Korruption zu einem "nationalen Projekt" machen.

Allein diese Ankündigung des künftigen Präsidenten löste Betriebsamkeit aus. So soll in Kürze im Parlament ein Anti-Korruptions-Gesetz verabschiedet werden, welches das russische Recht in Einklang mit dem von Russland ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption bringt.

Von Alexander Bastrykin, dem Chef des Ermittlungskomitees bei der russischen Staatsanwaltschaft, war zu hören, man nehme die Forderung Medwedjews nach einem "nationalen Projekt" gegen die Korruption "mit Zustimmung" auf. Bastrykin steht eben jener Ermittlereinheit vor, die im Falle Siemens bisher keinen Grund zum Handeln sah.

Die Kernfrage lautet: An wen wurde zu welchem Zweck gezahlt? Die Schmiergeld-Liste der Münchner Justiz gibt darüber nicht wirklich Aufschluss und könnte nur Ausgangspunkt weiterer Recherchen sein. Das zeigt der Fall Petrosawodsk. Im August 2003 sollen insgesamt 204 800 Euro an drei Führungskräfte der örtlichen Filiale der Telefongesellschaft North Western Telecom geflossen sein. Im Oktober wurde eine Siemens-Telefonanlage in der Stadt in Betrieb genommen. Doch der Zusammenhang erschließt sich nur scheinbar.

Zwei von drei auf der Münchner Liste genannten Namen sind in Petrosawodsk unbekannt. Bei einem der angeblichen Empfänger aber handelt es sich um den langjährigen Vize-Chef und Kommerziellen Direktor. Wenn es um die Vorwürfe gegen seinen Stellvertreter geht, spricht Filialdirektor Sergej Gawrjuschew von "Schmutz" und "Verleumdung". Zwar hat der Mann Ende 2007 die Firma und mittlerweile offenbar vorerst auch das Land verlassen, doch das hat mit dem Fall Siemens angeblich nichts zu tun.

"Er ist unschuldig. Wir kennen ihn als guten Fachmann", versicherte Gawrjuschew der Lokalzeitung Kurier Karelii. Wie sein Mitarbeiter auf die Liste der von Siemens bedachten Schmiergeldempfänger geraten sein könnte, kann sich Gawrjuschew nicht erklären. Sein Stellvertreter habe schon deshalb nicht kassieren können, weil er gar keine Gegenleistung zu bieten gehabt habe. Ein Jahr vor der angeblichen Zahlung sei aus der bis dahin eigenständigen Telefongesellschaft in Karelien eine Filiale von North Western Telecom geworden.

Immer wieder Korruptionsvorwürfe

"Das macht es einfach unmöglich, Entscheidungen über den Kauf von Ausrüstung auf der lokalen Ebene zu treffen", versichert Gawrjuschew. Nicht in Petrosawodsk, sondern in der Firmenzentrale in St. Petersburg werde entschieden. "Auch bei Siemens arbeiten Profis, die wissen, an wen man sich wenden muss."

An wen man sich in Russland wenden muss, wenn es um Telekommunikation geht, ist eigentlich klar. Der Gigant im Telekommunikationssektor heißt Svyazinvest. Zum Svyazinvest-Imperium gehören sieben regionale Telefongesellschaften, auch North Western Telecom. Chef des Aufsichtsrates von Svyazinvest ist Telekommunikationsminister Leonid Reiman. Den Verdacht, über einen Fonds namens IPOC heimlicher Besitzer großer Teile der russischen Telekomindustrie zu sein, weist Reiman freilich zurück. Weltweit sind immer wieder Korruptionsvorwürfe gegen ihn erhoben worden - doch von der russischen Justiz musste Reiman, ein Bekannter Putins aus St. Petersburger Tagen, bislang nichts fürchten.

Elena Panfilowa, die Kämpferin gegen die Korruption, hofft nun auf den neuen Mann im Kreml. Es könne durchaus sein, dass Medwedjew die Anstrengungen gegen die Korruption verstärke, sagt sie. Das könne auch den Fall Siemens betreffen. "Wenn es heute keine Ermittlungen gibt," sagt Panfilowa, "heißt das nicht, dass es sie nie geben wird."

© SZ vom 05.02.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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