Siemens-Chef Peter Löscher:Der Weltkonzern-Verbesserer

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Von außen kam er vor einem Jahr an die Spitze, nun baut er das Unternehmen komplett um - vielen aber macht er damit mehr Angst als Hoffnung.

Thomas Fromm

Die fünf Treppenstufen rauf zur Bühne nimmt er im Laufschritt. Eine elegante Drehung, noch einmal das Jackett glattziehen, dann steht Peter Löscher am Kopf des festlichen Speisesaals im alten königlichen Marine-College von London. Vor sich 200 Journalisten, um sich herum Dutzende elektrischer Kronleuchter, über sich eine alte lateinische Wandschrift. Früher wurde hier der britische Seefahrer-Nachwuchs herangezogen.

Peter Löscher: "I don't want to general-electrify Siemens" (Foto: Foto: ddp)

Jetzt steht er hier. Hebt die Hände beschwörend in die Höhe, als würde er etwas Großes ankündigen. Etwa zum geplanten Stellenabbau bei Siemens. Tut er aber nicht. Der Siemens-Chef sagt: "Welcome to the most splendid menue of London". Es darf serviert werden - Roastbeef mit Karotten und grünen Bohnen.

So gefällt es dem 50-jährigen Kärntner. Gediegen und traditionsbewusst, gleichzeitig modern und international. Löscher gibt sich präsidial, so als hätte er nie etwas anderes gemacht, als Siemens zu leiten. Seit einem Jahr steht er nun an der Spitze. Doch noch immer gibt es viele, die in ihm den Außenseiter sehen, einen, dem das Gespür fehlt für all das, was den 160 Jahre alten Konzern ausmacht. Doch es ist wohl so, dass Löscher, gerade weil er von außen kam, Siemens in zwölf Monaten umbauen konnte wie niemand vor ihm in 160 Jahren.

Drei Freunde für die Not

Eine Meisterleistung, sagen seine Unterstützer. Ein Selbstläufer, sagen die Skeptiker. Siemens sei ein kopf- und führungsloser Konzern gewesen, von der Schmiergeldaffäre gebeutelt, mit dem Rücken zur Wand.

"In diesem totalen Machtvakuum hätte sich jeder behaupten können", sagt ein Münchner Siemens-Manager. Löscher selbst formuliert es heute so: "Ich habe das große Glück gehabt, ausgerechnet in dieser schwierigen Phase zu Siemens zu stoßen. Ich hätte den Job sonst nicht bekommen."

Als Löscher kam, war sein Vorgänger Klaus Kleinfeld gerade weg. Wegen der Schmiergeldaffäre wollte der Aufsichtsrat mit der Verlängerung seines Vertrages warten. Da schmiss Kleinfeld hin. Vor einer Woche trafen sich Löscher und Kleinfeld zufällig in St. Petersburg. Es hätte vielleicht ein Moment der Abrechnung, der Bitterkeit, sein können. "Keine Spur, man redet einfach nicht über die Vergangenheit", sagt einer, der mit dabei war.

Vor einem Jahr, da stand Löscher vor der versammelten Presse in Nürnberg. 1,95 Meter, die demütig um Unterstützung baten. Die Hände gefaltet, der Blick unsicher.

Und dann dieser österreichische Akzent. "Ich reihe mich ein in die Reihe von 475.000 Siemensianern", sagte der Mann, der vorher beim Siemens-Konkurrenten General Electric und beim US-Pharmakonzern Merck & Co. war. Erst viel später wurde vielen klar, dass es nicht Löscher war, der Siemensianer werden wollte. In Wahrheit sollte Siemens so werden, wie es sich Löscher vorstellte.

Viel wusste man damals noch nicht über den Neuen. Da war die Geschichte vom Bauernbub aus Villach, die spanische Ehefrau, der Schwiegervater, der mal Präsident des FC Barcelona war. Viele gaben Löscher nicht mehr als ein halbes Jahr. Noch heute erinnern sich Mitarbeiter an die Kälte, die sich in den Besprechungsräumen breitmachte, wenn er hereinkam, wenn Alt auf Neu traf.

Den Löscher einfach ins Leere laufen lassen - so hatten sich das viele gedacht. Jeder wusste, es war ein gefährliches Experiment: Ein Unbekannter ohne Stallgeruch, ohne Siemens-Biographie und ohne Seilschaften. Da braucht man gute Freunde, um zu überleben. Löscher hat drei davon. Zuerst Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, der von Anfang an hinter ihm stand, immer bereit, ihn hochzuziehen, sollte er stolpern.

Mit Cromme, dem alten Gralshüter der Deutschland AG, hatte Löscher eine veritable Versicherung. Der Aufsichtsrat hatte ihn berufen, und so schnell würde er ihn nicht wieder fallen lassen. Dann kam irgendwann Peter Solmssen dazu, jener Amerikaner, den Löscher holte, um als Rechtsvorstand die Folgen der Schmiergeldaffäre zu managen und der heute vor allem als Ansprechpartner für die US-Börsenaufsicht SEC fungiert.

"Die beiden sind ständig zusammen - Löscher fragt Solmssen immer wieder um Rat", heißt es im Konzern. Und dann ist da noch der Siemens-Kommunikationschef, Stephan Heimbach. "Er ist im Laufe der Monate zu einem der engsten Vertrauten Löschers geworden", sagt ein Insider. Zum Beispiel vor ein paar Tagen in London. Löscher soll Journalisten-Fragen beantworten, steht rund zehn Meter von Heimbach entfernt. "Wollen Sie zu mir herüberkommen", fragt Heimbach auf Englisch. Dankbar rückt Löscher näher an seinen Chef-Kommunikator heran. Dann beantwortet er die Fragen. Sein Pressechef nickt dazu.

Weg mit der "Lehmschicht"

Vom ersten Tag an war Löscher vor allem eines: unterwegs. Er wolle das große Weltreich des Konzerns kennenlernen, sagte er am Anfang. Eigentlich aber war er auf der Flucht. Da draußen, in den 190 Siemens-Ländern, war es egal, wo man herkam. Die Zentrale am Münchner Wittelsbacherplatz war weit weg, irgendwie sind draußen alle Fremde, egal ob sie Peter Löscher heißen oder Klaus Kleinfeld oder Heinrich von Pierer, Löschers Vorvorgänger.

Viel hatte er da noch nicht zu sagen. "I don't want to general-electrify Siemens", verkündete er oft. Er wolle aus Siemens kein zweites General Electric machen, keinen amerikanischen Konzern. Und dann sagte er immer wieder "Tempo, Tempo, Tempo". Das klang so, als wollte er eigentlich gar nichts machen.

Dies aber möglichst schnell. Heute sagt der Bremer Siemens-Betriebsrat Jörg Pupat: "Wenn Klaus Kleinfeld der Mann mit der Keule war, dann ist Löscher der Kämpfer mit dem Florett." Natürlich, irgendwie ist Löscher um einiges eleganter als sein Vorgänger. Gerade das aber macht ihn für manche gefährlich. Kleinfeld, das war für viele Arbeitnehmer das Feindbild. Jung, dynamisch, amerikanisch, forsch. Löscher dagegen: feinfühlig, leise, geduldig - und irgendwie doch noch viel amerikanischer als sein Vorgänger. Nur eben freundlicher und unverbindlicher, sagen viele.

"Man hat mich in den ersten Wochen bei Siemens kräftig unterschätzt", sagt Löscher über Löscher. Wie wahr. Der Neue schlug zu. Wo sein Vorgänger noch in den Seilschaften der alten Siemens AG gefangen war, konnte er alles verändern. Da waren zum Beispiel die vielen Machtzentren, Grund dafür, dass jahrelang alles doppelt und dreifach erledigt wurde. Wo zu viele Leute draufschauen, wird gerne weggeschaut, sagte sich Löscher, und er mag dabei auch an die milliardenschwere Schmiergeldaffäre gedacht haben.

Den Vorstand wechselte er fast komplett aus. Wo früher zehn Geschäftsbereiche waren, stehen heute nur noch die drei Großsektoren Energie, Industrie und Gesundheit. Eine ganze Hierarchieebene mit einflussreichen Bereichsvorständen fiel über Nacht weg.

Die mächtigen Landesgesellschaften mit ihren Fürsten und dem Hofstaat, die fernab der Zentrale jahrelang ein Eigenleben führten - weg. Innerhalb kürzester Zeit an die lange Leine Münchens genommen. Peter Löscher denkt nicht in Ländern. Seine Welt besteht aus "Clustern", aus 20 regionalen Zentren statt knapp 200 Landesgesellschaften. So spart man nicht nur Geld in der Verwaltung. So zieht man auch die Macht an sich.

Aus Siemens wurde in kurzer Zeit eine große Pyramide. Die Spitze, das ist die Zentrale in München, das sind die drei neuen Geschäftssektoren. Ganz oben stehen Peter Löscher und seine engsten Mitarbeiter. Darunter ein Weltreich. "Der Weltunternehmer hat Vorfahrt vor der Region", sagt der Neue bei jeder Gelegenheit. Es ist seine ganz persönliche Revolution.

"Die Führungskultur hat sich von Grund auf verändert", beschreibt ein Aufsichtsrat die neuen Vorfahrtsregeln. "Es wird knallhart durchgestochen, von oben nach unten, und Löscher zieht das rigoros durch." Mit seinen neuen Vorfahrtsregeln hat Löscher viele brüskiert. Die meisten der Entmachteten sind inzwischen weg. Die Feinde, die Kritiker, und natürlich diejenigen, die die Wucht der Schmiergeldaffäre aus ihren wohlbehüteten Büros gefegt hat. Übriggeblieben sind viele, die heute um ihren Job bangen müssen.

Bis 2010 will Löscher 1,2 Milliarden Euro einsparen. 15 000 Stellen in Vertrieb und Verwaltung stehen auf der Kippe, damit Siemens schlanker wird. Nicht nur in der Münchner Zentrale, aber vor allem. Löscher spricht von der "Lehmschicht" im mittleren und oberen Management, die er abtragen will. In den Fabrikhallen des Konzerns ist man mit den Kollegen aus der Verwaltung nur wenig solidarisch. "Ich habe kein Problem damit, wenn jetzt auch mal die Anzug- und Krawattenträger bluten müssen", sagt ein Siemens-Arbeiter aus Nordrhein-Westfalen.

Das schlimmste Szenario

Hier, an der Siemens-Basis, muss Löscher erst noch beweisen, ob er mehr kann als umbauen und von Kontinent zu Kontinent reisen. Im November ist einer jener Termine, die für einen Siemens-Chef zum Fiasko werden können. 700 Betriebsräte werden in Berlin zusammenkommen, und wie jedes Jahr muss der Vorstandsvorsitzende Rede und Antwort stehen. "Dann werden wir sehen, ob er auch mit dem gemeinen Volk klarkommt", sagt ein Arbeitnehmervertreter. "Denn auch ein Weltunternehmer muss mal in die Niederungen gehen und sich dort schlagen."

Bei Siemens hofft man, dass das schlimmste Szenario ausbleibt. Dass irgendjemand, vielleicht ein Hilfsarbeiter aus Nürnberg, eine alltägliche Frage stellt und Löscher nicht den richtigen Ton findet. "Wenn dann irgend so eine nebulöse akademische Antwort kommt, pfeift der Saal", sagt der Arbeitnehmervertreter.

Der eine oder andere mag in den vergangenen Tagen schon heimlich gepfiffen haben. Als Löscher sagte, dass ihm Siemens zu deutsch sei, zu weiß und zu männlich. Der Konzernchef wünscht sich mehr Ausländer und Frauen in den Führungsetagen. Im Traditionskonzern war das ein Tabubruch, und er war kalkuliert. Denn der Vorstand ist nun mal weiß, männlich und deutsch.

Löscher weiß, dass er den Konzern überstrapaziert. Und dass er noch längst nicht bei allen angekommen ist. Die einen, meist sind es junge Mitarbeiter, halten ihn für einen Glücksgriff. Der Kampf gegen die Schmiergeldaffäre sei zwar noch längst nicht beendet, aber unter Löscher zu gewinnen. Und den großen Kulturbruch hätte es ohnehin gebraucht - mit Löscher sei eben alles viel schneller gegangen. Viele sehen das anders.

Mit Löscher sei die alte Siemens-Welt zu Grabe getragen worden, ohne dass es heute eine neue gäbe. Das wohlige Netzwerk, die Traditionen, die alten Garden - alles fort. Siemens sei dabei, ein Weltkonzern wie jeder andere zu werden. Wie General Electric zum Beispiel.

© SZ vom 27.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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