Siemens-Affäre:Ermittlungen auch gegen Ex-Aufsichtsratschef Baumann

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Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird in der Siemens-Affäre auch gegen den ehemaligen Finanzvorstand und Aufsichtsratsvorsitzenden Karl-Hermann Baumann ermittelt.

Klaus Ott und Uwe Ritzer

Die Affäre um den mutmaßlichen Kauf von Betriebsräten bei Siemens reicht bis in die Konzernspitze. Vorstand Johannes Feldmayer wurde am Dienstag wegen Untreue-Verdachts verhaftet. Nach Angaben aus Justizkreisen bestand wegen zahlreicher Auslandskontakte Fluchtgefahr.

Karl-Hermann Baumann stand dem Siemens-Aufsichtsrat bis 2005 vor. Nun wird gegen ihn ermittelt. (Foto: Foto: dpa)

Er soll Millionenzahlungen veranlasst haben, mit denen sich Siemens das Wohlwollen von Betriebsräten gesichert habe. Auch gegen den ehemaligen Finanzvorstand und späteren Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann wird ermittelt.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, die den Fall untersucht, ermittelt gegen mehrere Siemens-Manager wegen Untreue zum Schaden des Konzerns. Diese Führungskräfte sollen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung dafür verantwortlich sein, dass der Nürnberger Unternehmer und frühere Siemens-Betriebsrat Wilhelm Schelsky seit 2001 fast 34 Millionen Euro Beraterhonorare erhalten habe, ohne angemessene Gegenleistungen zu erbringen.

Arbeitgeberfreundlich

Schelsky war bislang Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB), die nach eigenen Angaben in Deutschland 19000 Betriebsräte stellt. Am Abend teilte die AUB mit, Schelsky sei zurückgetreten. Die 1986 von Schelsky und anderen Siemens-Betriebsräten gegründete AUB gilt als arbeitgeberfreundlich und als Konkurrenz zu den DGB-Gewerkschaften.

Im Ermittlungsverfahren stellte sich nach SZ-Informationen heraus, dass Schelsky das von Siemens erhaltene Geld zumindest teilweise nutzte, um die AUB zu finanzieren. Er bezahlte damit unter anderem AUB-Mitarbeiter, Büromieten und Werbematerial. Schelsky sitzt seit Mitte Februar wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und der Beihilfe zur Untreue in Untersuchungshaft.

Feldmayer hatte 2001 als Fachvorstand der Siemens-Sparte ,"Automatisierungs- und Antriebstechnik" einen Vertrag mit Schelsky unterzeichnet, der zu Millionenzahlungen an den AUB-Chef führte. 2003 rückte Feldmayer in den Zentralvorstand auf, in dem er unter anderem für das Europa-Geschäft zuständig ist.

Für Europa-Geschäft zuständig

Anschließend galt der Manager als Kandidat für den Vorstandsvorsitz, den dann aber Klaus Kleinfeld übernahm. Feldmayer war bereits Mitte Februar vernommen worden. Bei einer Razzia am heutigen Dienstag, die sich auf 20 Büros und Wohnungen im Großraum Nürnberg/Erlangen sowie in München erstreckte, wurde der Siemens-Vorstand verhaftet.

Ermittelt wird gegen mindestens vier weitere Manager, darunter den ehemaligen Aufsichtsratschef Baumann. Weder Baumann noch dessen Anwalt Hanns W. Feigen waren am Dienstag für eine Stellungnahme erreichbar.

Eine von der Nürnberger Kriminalpolizei und der Steuerfahndung gebildete Sonderkommission "Amigo", die wegen Steuerhinterziehung und Untreue ermittelt, hegt auch den Verdacht von Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Paragraf 119 untersagt Eingriffe in Betriebsratswahlen, zum Beispiel durch die "Zuwendung von Vorteilen".

Siemens habe über Schelsky Millionenbeträge in die AUB gesteckt, um deren Aufbau und deren Betriebsratswahlkämpfe zu unterstützen, lautet der Verdacht.

Verfolgung nicht von Amts wegen

Derartige Gesetzesverstöße werden von der Staatsanwaltschaft aber nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag von Betriebsräten, Gewerkschaften oder Unternehmen verfolgt. Ein solcher liegt bislang aber nicht vor.

Die IG Metall prüft nun, ob sie Strafanzeige stellt. In diesem Fall könnte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ausweiten.

Ex-VW-Vorstand Peter Hartz war wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 119 und wegen Untreue kürzlich zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Hartz habe sich mit Zahlungen von 1,9 Millionen Euro an den ehemaligen VW-Betriebsratschef Klaus Volkert dessen "Wohlwollen" sichern wollen, befand das Landgericht Braunschweig.

In dem Fall hatte Mitte 2005 der damalige VW-Chef Bernd Pischetsrieder Strafanzeige gestellt, um zur Aufklärung beizutragen. Siemens plant das offenbar nicht.

Pauschale Formulierungen

Nun könnte auf den Fall VW der Fall Siemens folgen. Die Zusammenarbeit des Konzerns mit AUB-Chef reicht weit in die Vergangenheit. Schelsky hatte sich nach seiner Zeit als Betriebsrat bei Siemens Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahr selbständig gemacht - und rasch einen gut dotierten Beratervertrag.

Für 52 000 Mark im Monat durfte sich der Jungunternehmer von 1991 an um die Siemens AG kümmern. Bei dem Ermittlungsverfahren in Nürnberg fand sich ein Beratungs- und Schulungsvertrag, der vorsah, dass Schelsky dem Konzern Ratschläge bei Personalentscheidungen und Tipps zur Mitbestimmung geben sowie Mitarbeiter und Manager schulen sollte.

Der Chef einer Arbeitnehmer-Organisation als bezahlter Helfer bei Personalentscheigungen - das dürfte in der deutschen Wirtschaft ziemlich einmalig sein.

Aus den umgerechnet 322 000 Euro pro Jahr, die der ab 1991 gültige Vertrag vorsah, wurden später viele Millionen Euro, bis dieses Treiben irgendwann dem Fiskus auffiel. Die Finanzbehörden fingen an, den Geldfluss zu prüfen, und stießen auf viele merkwürdige Rechnungen. Mit pauschalen Stichworten wie "Dienstleistungen" oder "Beratungsleistungen wie vereinbart" hat Schelsky nach den Erkenntnissen der Ermittler über eine ihm gehörende Unternehmensberatung GmbH allein zwischen 2002 und 2004 dem Konzern 22 Rechnungen mit Beträgen zwischen 450 000 und 800 000 Euro ausgestellt.

Allein in diesen drei Jahren soll Siemens 14,75 Millionen Euro anstandslos bezahlt haben, ohne dass es dafür nachvollziehbare Gegenleistungen gegeben habe - außer möglicherweise dem Wohlwollen des AUB-Chefs, seiner Organisation und der von ihr gestellten Betriebsräte gegenüber Siemens.

Nach ersten Ergebnissen aus dem Strafverfahren hat Schelsky mit dem Siemens-Geld beispielsweise im Jahr 2004 mindestens für eine Million Euro Sach- und Personalkosten der AUB bestritten. 20 AUB-Mitarbeiter seien auf diesem Wege indirekt von Siemens bezahlt worden, darunter Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle, der Landesgeschäftsstellen und Vorstände. Daneben soll Schelsky mit dem Siemens-Geld bei der AUB Büromieten sowie Kosten für Fahrzeuge, EDV und Werbung übernommen haben. Sogar ein Kinderferienlager für AUB-Mitglieder sei gesponsert worden.

Das dürfte auch erklären, wie es die AUB es sich leisten konnten, von ihren Mitgliedern nur acht Euro Beitrag im Monat zu verlangen, weit weniger als die DGB-Gewerkschaften.

Nun fehlt der AUB das viele Geld von Siemens, ihr Vorsitzender sitzt im Gefängnis, und Siemens hat noch größere Probleme. Ein Vorstand eines DAX-Konzernes in Untersuchungshaft, das kommt nicht alle Tage vor.

Zuvor hatte schon der Korruptionsskandal dem Konzern ziemlich zugesetzt. Zwei ehemalige Zentralvorstände, Heinz-Joachim Neubürger und Thomas Ganswindt, zählen dort zu den Beschuldigten, und auch dieses Ermittlungsverfahren ist noch längst nicht ausgestanden. Die Münchner Staatsanwaltschaft vernimmt weiter Zeugen und Beschuldigte, um weltweite Schmiergeldzahlungen aufzuklären. Es bleibt spannend bei Siemens.

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