Serie: Finanzfrauen:Große Dame der Geldtheorie

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Anna Jacobson Schwartz stand lange im Schatten anderer. Erst mit ihrer Kritik an den Zentralbanken gewann sie ein autarkes Profil.

Von Simone Boehringer

Es war ein Kinderwagen, der sie zuerst in Berührung brachte mit der Riege der größten Ökonomen ihrer Zeit. Ein Kinderwagen, den Anna Jacobson Schwartz, New Yorker Mutter von vier Kindern, in den 1940er-Jahren der Familie des späteren Wirtschaftsnobel-Preisträgers Milton Friedman auslieh. Beide waren Geldtheoretiker und beide waren aus New York, der eine in Brooklyn geboren, die andere in der Bronx. Friedman und Schwartz gehörten zu den wichtigsten Mitbegründern des Monetarismus, einer Denkrichtung, die sich in den 1960er-Jahren vor allem als Gegenmodell zum damals vorherrschenden Keynesianismus etablierte. Statt auf Staatsschuldenbasis die Wirtschaft anzukurbeln (,,deficit spending"), sahen die Monetaristen in der Geldpolitik die entscheidende Stellgröße fürs Wirtschaftsgeschehen. ,,Money matters" lautete der Leitspruch, dass eine zu große Geldmenge zu steigenden Preisen, also Inflation, führt, sowie eine zu geringe zum Gegenteil, einer Deflation. Die Erkenntnis gehört auch heute noch zu den wichtigsten Theorien, wenn es um die Zusammenhänge von Geld- und Realwirtschaft geht.

Anna Schwartz, Tochter jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, hatte bereits früh den Weg Richtung Wirtschaftswissenschaften angetreten. Nachdem sie mit 18 Jahren das College und mit 19 Jahren ihren Wirtschaftsmaster an der renommierten Columbia University absolviert hatte, heiratete sie 1936 den Finanzbeamten Isaac Schwartz. Das Paar bekam vier Kinder - was Anna Schwartz nicht von einer Karriere als Ökonomin abhielt, wenn auch einer, die lange nur in Fachkreisen beachtet wurde, weil sie lange als Anhängsel des bis heute wesentlich berühmteren Milton Friedman galt.

Schwartz selbst war freilich keine junge, unmündige Schülerin des nur drei Jahre älteren Kollegen. Sondern sie forschte von 1941 an bis zu ihrem Tode 2012 fast 70 Jahre lang am angesehenen National Bureau of Economic Research. Dennoch konnte sich die fleißige Frühaufsteherin, die bis ins hohe Alter stets vor allen anderen im Büro war, erst nach Friedmans Tod 2006 endgültig aus seinem Schatten lösen. "Anna machte die ganze Arbeit, und ich erhalte die große Anerkennung", räumte Friedman selbst einmal öffentlich ein.

Von 2008 an, als die Bankenkrise immer größere Kreise zog und die Rolle der Zentralbanken entscheidende Bedeutung erlangte, meldete sich die große alte Dame unter den Geldtheoretikern öfters zu Wort - und das sehr kritisch: Die Banken befänden sich nicht in einer Liquiditäts-, sondern in einer Vertrauenskrise, weil man nicht mehr wisse, welches Institut noch solvent ist und welches nicht. Letztere müssten pleitegehen und dürften nicht rekapitalisiert werden. Genau dies tat die US-Notenbank jedoch. "Das Ergebnis sind Übertreibungen", welche die nächste Blase schon heraufbeschwörten, urteilte Schwartz.

Solche Äußerungen aus ihrem Munde waren alles andere als selbstverständlich. Schließlich hatte sie gemeinsam mit Friedman in ihrem wichtigsten Werk "A Monetary History of the United States" 1963 ausführlich die Geldpolitik in der Großen Depression 1929 bis in die 30er-Jahre analysiert und war zu dem Ergebnis gekommen, eine Politik des zu knappen Geldes damals sei wesentlich Schuld gewesen, dass so eine fatale Abwärtsspirale mit folgender Massenarbeitslosigkeit überhaupt habe entstehen können.

"Ich möchte Milton und Anna sagen: Was die große Depression angeht, habt ihr recht, wir haben es getan. Das tut uns sehr leid, aber dank euch werden wir es nicht wieder tun", erklärte der spätere US-Notenbankchef Ben Bernanke aus Anlass des 90. Geburtstags Friedmans 2002. Das war eine große Anerkennung des gemeinsamen Standardwerkes der beiden Ökonomen, jedoch eben auch eine Verkürzung der Zusammenhänge. Schwartz und Friedman wollten nämlich noch auf etwas anderes hinaus: Nicht nur die Geldpolitik der Fed damals, sondern die bloße Existenz der erst 1913 gegründeten US-Notenbank an sich, habe dazu beigetragen, dass es zur Depression kommen konnte, schrieb Schwartz. Hatten die Institute bei früheren Finanzkrisen mit umfangreichen Bankfeiertagen reagiert, was regelmäßig zu einer Bereinigung des Marktes führte, also zur Pleite einiger Banken, konnten sich seit 1913 alle Bankinstitute bei Engpässen auf die Liquiditätsspritzen der Fed verlassen und Schieflagen somit viel leichter aussitzen.

Mit dieser Grundsatzkritik am herrschenden Finanzsystem trat Schwartz ins Fettnäpfchen. Schließlich hatten sowohl der frühere Federal-Reserve-Chef Alan Greenspan als auch Bernanke ihre grundsätzliche Befürwortung expansiver Geldpolitik in Krisen gerne als Freibrief hergenommen, um bei jedem größeren Abwärtstrend in den vergangenen 15 Jahren mit einer Geldschwemme zu reagieren.

Schwartz, die beim Ausbruch der Finanzkrise schon 92 Jahre alt und vielfache Großmutter und Urgroßmutter war, hätte es mit dem Hinweis auf ihre differenzierten Ausarbeitungen zur Geldpolitik bewenden lassen können. Tat sie aber nicht. Im Gegenteil: In einem viel beachteten Interview mit dem Wall Street Journal 2008 kanzelte sie die Federal Reserve geradezu ab: "Diese Krise ist keine Wiederholung der Probleme der 1930er, aber unsere Zentralbanker reagieren, indem sie dieselben Instrumente einsetzen wie damals. Ich sehe nicht, dass sie damit erreichen, was sie erreichen sollten. Deshalb ist meine Meinung über die momentane Fed-Führung die, dass sie nicht wirklich ihren Job gemacht hat." Das saß.

Und hätte die Ökonomin nicht schon damals infolge eines Sturzes im Rollstuhl gesessen, hätte sie wohl noch viele Statements zum Thema abgegeben. Aber das war der großen Wissenschaftlerin nicht vergönnt. Zur Sonnenwende vor drei Jahren, am 21. Juni 2012 verstarb die "Hohepriesterin des Monetarismus", wie es im Nachruf der New York Times hieß, mit stolzen 96 Jahren - wohl wissend, dass diese größte Finanzkrise der Neuzeit noch lange nicht zu Ende sein würde.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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