Serie: Finanzfrauen:Die Furchtlose

Lesezeit: 4 min

Julia Dingwort-Nusseck war die erste Frau im Zentralrat der Bundesbank. Die Ökonomin behauptete sich trotz heftiger Widerstände - und blieb.

Von Meike Schreiber

Fast 40 Jahre liegt die Episode nun zurück, aber Julia Dingwort-Nusseck hängt sie immer noch nach. Kerzengerade sitzt sie auf einer Sesselkante im Wohnzimmer ihres lichtdurchfluteten Hamburger Bungalows in Elbnähe. Sie trägt ein damenhaftes Sakko, dezenten Schmuck, der weiße Bubikopf ist sorgsam nach hinten gekämmt. Sie hat Schnittchen geschmiert, serviert einen kühlen Weißwein und erzählt, wie ihre männlichen Kollegen fast verhindert hätten, dass sie Landeszentralbankpräsidentin von Niedersachsen wird.

93 Jahre alt ist Dingwort-Nusseck heute und hinter ihr liegt eine bemerkenswerte Karriere in einer Männerwelt. Nicht nur die erste Chefredakteurin des WDR war sie, sondern auch die erste Landeszentralbankpräsidentin und damit erste Frau im Zentralbankrat der Bundesbank. Bundesrepublikanische Geschichte kann sie von Anbeginn erzählen, von der Währungsreform, der Ölkrise, auch der RAF. Und natürlich von jener Episode, als sie einmal weniger Glück hatte in ihrer Laufbahn.

Und zwar war es Ernst Albrecht, Ministerpräsident von Niedersachsen und Vater von Quotenverteidigerin Ursula von der Leyen, der sie damals für die Spitze der Landeszentralbank vorschlug. Eine Frau! Eine Journalistin! "Warum die?", zitierte daraufhin - ausgerechnet - eine Spiegel-Redakteurin einen Frankfurter Währungshüter. Der gab vor, nichts gegen eine Frau im Amt zu haben. Aber eine Journalistin gefährde doch die fachliche Qualifikation des Landeszentralbankrats.

Dieser Rat war schließlich nicht irgendein Gremium, sondern das oberste Entscheidungsorgan der Bundesbank. Es bestand aus den Präsidenten der Landeszentralbanken, bis 2002 selbständige Institutionen der Länder, und dem Bundesbankpräsidenten. Damals noch unabhängig, entschied das Gremium über die Geldpolitik im Land. Eine Frau in diesem Gremium hatte es noch nie gegeben.

Dabei wäre es beinahe geblieben, denn an der entscheidenden Sitzung, auf der sie sich hätte vorstellen sollen, konnte sie wegen einer Reise nicht teilnehmen. Man hatte sie beruhigen wollen, das sei gar nicht nötig. Ihre Gegner machten derweil Front, der Zentralbankrat lehnte sie mit zehn zu sechs Stimmen ab. Der damalige Bundesbankpräsident Karl Klasen bat sie: "Sagen Sie doch bitte, dass Sie für dieses Amt nicht zur Verfügung stehen." Das jedoch ließ sie sich nicht gefallen. "Da kam mein weiblicher Trotz durch: Wenn ich mir das zutraue, dann mach ich das auch!", sagt sie heute. Vom Bundesrat wurde sie dann zwar einstimmig gewählt. Die Wunde schloss sich aber erst, als ihr Vertrag acht Jahre später einstimmig verlängert wurde. "Da habe ich geheult vor Freude."

Kein Wunder, denn die Aufgabe empfand sie als großes Geschenk. "Es war wirklich der Traum meines beruflichen Lebens, Geld und Währung, das waren ja meine Themen", sagt die zierliche alte Dame. Dabei hebt sie die Arme, als ginge das Angebot in diesem Moment noch einmal ein. Zwölf Jahre lang, bis 1988, reiste sie alle zwei Wochen von Hannover nach Frankfurt zur Sitzung des Zentralbankrates in der Bundesbank. Es ging um den stetigen Kampf für Geldwertstabilität, gegen Ölkrise und die Inflation. Zurück in Hannover kümmerte sie sich um ihre Behörde: 1200 Beamte, Bargeldversorgung, Bankenaufsicht vor Ort. Sie war in ihrem Element.

Dass sie es so weit bringen würde, hätte sie selber nie gedacht: 1921 in Hamburg-Altona geboren, legte sie im Krieg ein Notabitur ab, studierte Volkswirtschaftslehre, promovierte. Sich selbst bezeichnet sie selbstironisch als "Kriegsgewinnlerin", der fehlenden männlichen Konkurrenz wegen. Sie arbeitete bei der Sparkasse, als ihr zu Ohren kam, dass Radio Hamburg, ein Vorläufer des NDR, dringend Mitarbeiter suchte. "Die nahmen doch alles, was aus der Nazi-Zeit unbelastet war und irgendetwas kann."

Sie bewarb sich, durfte sofort anfangen - wohlweislich beim Frauenfunk. In die Wirtschaft, ihr Wunschressort, durfte sie erst später, übernahm jedoch nach kurzer Zeit die Leitung. Täglich erklärte sie den Hörern die Weltlage, zum Beispiel die Währungsrefom. Im Prinzip durfte sie alles - außer selber sprechen. Das war den Hörern noch nicht zuzumuten. "Eine Frau als Ressortleiterin war an sich schon ein dicker Brocken." Für sie sprach ein Schauspieler, der den Autorennamen absichtlich so betonen sollte, dass es nach Julian Usseck klang. Erst als er einmal erkrankte, durfte die junge Redakteurin selber ran. "Das war der Durchbruch ", sagt sie. "Nun ließ sich nicht verheimlichen, dass hinter der Leitung der Wirtschaftsredaktion eine Frau steckte." Die Hörzu schrieb: "Nicht einmal die taufrische Jungmädchenstimme der Autorin konnte die politische Wirkung des Kommentars beeinträchtigen."

Als sie wenig später heiratete, dann drei Kinder bekam, gönnte sie sich nur kurze Auszeiten. "Ich galt absolut als Rabenmutter", sagt sie. Ihr Glück: Sie konnte eine Haushälterin beschäftigen, und ihr Mann - ein Verleger - unterstützte sie.

1969 der nächste Karriereschritt: stellvertretende Chefredakteurin des NDR und das "wirtschaftspolitische Gesicht der ARD". Als sie der WDR schließlich in die Chefredaktion holen wollte, sagte sie zunächst ab, wollte warten, bis die Kinder Abitur haben. Der WDR hielt ihr den Posten frei, den sie 1973 antrat. Jedoch: Es war keine glückliche Zeit, in Köln fasste sie nie richtig Fuß. Kein Wunder, dass sie froh war, als 1976 der Ruf aus Hannover kam.

Eine Quote? Ist nicht nötig. "Das wird durch die Demografie erledigt."

Die einzige Frau in einer Männerwelt zu sein, hat Dingwort-Nusseck geprägt. Wie viel Zeit es doch allein kostete, sie stets persönlich zu begrüßen, sagt sie heute schmunzelnd. "Liebe Frau Dingwort-Nusseck, liebe Herren, das sollte doch heißen: Liebe Damen und Herren". Heute sei das zum Glück anders: In der EZB-Führung gibt es Frauen, auch bei der Bundesbank. Keine Frage übrigens, dass sie auch deren Geldpolitik noch kritisch verfolgt.

Und welche Lehren zieht sie aus ihrer Karriere? Man braucht Glück und ein gutes Netzwerk, sagt sie. Die Quote hingegen hält sie für unnötig, "das wird durch die Demografie erledigt. Frauen werden einfach gebraucht". In ihrem Fall gilt das immer noch: Ihr Terminkalender ist gut gefüllt. Am Abend trifft sie sich wieder mit ihrem Zonta-Kreis, einem weltweiten Zusammenschluss von Führungsfrauen.

Ihrer Karriere übrigens hat auch ein Hang zum Kalauer nicht geschadet, gibt sie schmunzelnd zu. Bekannt ist folgende Anekdote: Als CDU-Mitglied war sie Teil einer Runde um Helmut Kohl, der erzählte, wie er als Student einen mit Wasser vollgelaufenen Keller ausschöpfen musste. Die Männer lauschten, ihr rutschte heraus: "Jetzt wissen wir, wann der Parteivorsitzende seine schöpferische Phase hatte". Mit Kohl wurde sie nicht mehr warm.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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