Serie: Finanzfrauen:Auf der Allmende

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Elinor Ostrom wurde als erste Frau mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Ihre These: Unter bestimmten Voraussetzungen ist Gemeinschaftsbesitz an Ressourcen die beste Lösung.

Von Nikolaus Piper

Es war eine Botschaft an die Großen der Welt. Im Juni 2012, als in Rio eine lange erwartete Konferenz der Vereinten Nationen zu Klima und Entwicklung zusammentrat, erschien in mehreren großen Zeitungen ein Beitrag der amerikanischen Professorin Elinor Ostrom unter der Überschrift "Grün von den Wurzeln". Die Botschaft bestand aus zwei Teilen. Der erste war erwartbar ("Nichtstun in Rio wäre ein Desaster"), der zweite jedoch nicht: "Aber auch eine einheitliche internationale Vereinbarung wäre ein schwerer Fehler." Aber für solche globalen Abkommen sind Gipfel doch da, oder? Nein sagt Ostrom: Eine "einheitliche globale Politik" wird nicht helfen die Wälder, die Ozeane, das Klima und die Artenvielfalt zu erhalten. Das können nur Gruppen, Städte, lokale Initiativen, und zwar weil diese nahe am Problem sind: "Niemand weiß sicher, was funktionieren wird, deshalb ist es wichtig, ein System zu bauen, das sich schnell entwickeln und anpassen kann."

Der Aufruf war das letzte Werk Ostroms. Sie starb am 12. Juni 2012 in Bloomington (Indiana) mit 78 Jahren. Er enthielt die Quintessenz ihrer Lehre: Nutzergruppen können Probleme oft besser lösen als Märkte, aber auch als Regierungen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Gemeinschaftsbesitz an Ressourcen die effizienteste Lösung.

Elinor Ostrom war die erste und bisher einzige Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat. Ausgezeichnet wurde sie 2009. Möglicherweise war dies kein Zufall, denn damals, ein Jahr nach der Finanzkrise, war die Sehnsucht groß nach Ökonomen, die die Weisheit freier Märkte in Zweifel zogen. Dabei war sie eigentlich gar keine Ökonomin, sondern hatte bis zu ihrem Lebensende einen Lehrstuhl für Politikwissenschaften der Uni Bloomington inne. Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte und hat auch damit zu tun, dass Ostrom eine Frau war. Geboren wurde sie 1933 in Los Angeles als Elinor Awan und als "Kind der Weltwirtschaftskrise", wie sie selber sagte. Sie half schon als Mädchen ihren Eltern im Garten Aprikosen und Pfirsiche anzubauen, während des Kriegs strickte sie Schals für Soldaten. Weil ihr Elternhaus nahe Beverly Hills lag, durfte sie in die renommierte Beverly Hills High School gehen. Als "armes Kind in einer Schule für reiche Kinder" zu sein, hatte für sie einen großen Vorteil: Unter ihren Mitschülern war es normal, aufs College zu gehen, also sah sie es für sich genauso. Nach dem College machte sie als Frau weitere, damals sehr typische Erfahrungen. So verlangte man von ihr, erst einmal Steno zu lernen, weil College-Absolventinnen meist als Sekretärinnen arbeiteten. Sie habe die Kurzschrift später ganz gut brauchen können, um sich Notizen zu machen, schrieb sie in einer biografischen Notiz. Nach einem kurzen Ausflug in die Privatwirtschaft wollte sie sich in der ökonomischen Fakultät der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) einschreiben. Dort aber wies man sie ab: Ökonomen brauchen Mathematik und Mathematik ist nichts für Frauen.

Elinor Ostrom beschäftigte sich für ihre Doktorarbeit mit dem Management der Grundwasser-Vorräte in Südkalifornien. (Foto: dpa)

Auch die Politologen waren - Anfang der Sechziger Jahre - zunächst skeptisch, was Frauen in der Fakultät betraf, akzeptierten sie dann aber schließlich doch mit drei weiteren Frauen. "Glücklicherweise waren unsere männlichen Kommilitonen nett und ermutigten uns weiterzumachen." Für ihre Doktorarbeit erforschte sie dann das Management der Grundwasser-Vorräte in Südkalifornien. Dabei lernte sie erstens ihren Mann kennen, den Politologen Vincent Ostrom. Und sie fand zweitens ihr wissenschaftliches Lebensthema. Das kam so: Kurz nachdem Ostrom ihre Dissertation abgeschlossen hatte, erschien der heute berühmte Artikel des Ökologen Garret Hardin mit dem Titel "Die Tragik der Allmende". Darin belegt Hardin, dass Gemeineigentum an natürlichen Ressourcen, wie es in vielen Teilen Europas bis in die Neuzeit üblich war, zu Übernutzung und ökologischer Verwüstung führt.

Ostrom zeigte nun, dass die Allmende unter bestimmten Bedingungen doch effizienter ist als Privat- oder Staatseigentum, und zwar dann, wenn das Eigentümer-Kollektiv Kontrollsysteme entwickelt hat, die Übernutzung verhindern. Das Problem dabei ist, dass sich diese Systeme oft spontan entwickelten, ohne dass die Beteiligten dies geplant hätten. Forscher können zwar feststellen, dass die Allmende funktioniert, wissen aber nicht warum. All dies hat Ostrom in ihrem Hauptwerk "Governing the Commons" von 1990 niedergelegt. Für den Vorzug der Allmende nennt sie zwei sehr plastische Beispiele: So zeigen Satellitenbilder, dass die Steppen in der Mongolei noch weitgehend intakt sind, während das Grasland in den benachbarten Staaten Russland und China ruiniert wurden. Die Erklärung: In der Mongolei treiben Nomaden ihr Vieh abhängig von den Jahreszeiten über das Land; sie verstehen am besten, wie viel die Steppen aushalten. In Russland und China dagegen wurde das Land erst verstaatlicht und dann privatisiert. Beides funktionierte nicht.

Diese Frauen haben die Finanzwelt bewegt. SZ-Serie, Teil 26. (Foto: SZ-Grafik)

Zweites Beispiel sind Bewässerungssysteme in Nepal. Deren wichtigster Teil sind Dämme, die von Dörfern entlang der Bergflüsse informell verwaltet wurden. Die Dämme wurden aus Steinen, Lehm und Baumstämmen gebaut und bedurften regelmäßiger Wartung. Irgendwann ersetzte die nepalesische Regierung, unterstützt von Entwicklungshelfern, die alten Dämme durch moderne Stauwehre aus Stahl und Beton. Sie waren perfekt, und genau das war das Problem. Die Bauern am Oberlauf des Flusses waren nicht mehr auf die Kooperation der Bauern am Unterlauf bei der Pflege der Dämme angewiesen und fingen an, rücksichtslos mit dem Wasser umzugehen. Eine funktionierende Allmende wurde zerstört.

Gelehrt hat Ostrom an einer nicht sehr berühmten Universität in Indiana, weil ihr Mann dort eine Professur als Politologe bekam. Sie bekam erst einmal einen Job als Assistentin, weil die Uni jemanden brauchte, der amerikanische Politik unterrichtete - morgens um halb acht.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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