Serie Digital Divide:Sehen und gesehen werden

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Roboter vernichten Millionen Jobs? Die Digitalisierung verführt zu alarmistischen Thesen. Dabei hat sie vor allem Chancen geschaffen - und sie wird es weiter tun.

Von  Jan Willmroth

Pamela Reif ist Star und Symbol zugleich. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen folgen ihr auf der Online-Fotoplattform Instagram, so viel wie fast niemandem in Deutschland. 20 Jahre alt, im Hauptberuf Selbstdarstellerin, womöglich auch schon Millionärin. Ihre Arbeit bestand bislang darin, auf Fotos und Videos gut auszusehen und diese hochzuladen. Der Ruhm kam schnell, und er kam einigermaßen zufällig.

Ein Symbol ist Pamela Reif, weil ihre Karriere perfekt illustriert, wie schnell man heute zum Star wird, und wie schnell sich das lohnt. Vor zehn Jahren, als das erste iPhone auf den Markt kam, wäre ihr Weg noch nicht möglich gewesen. Vor fünf Jahren auch nicht. Die Digitalisierung produziert in atemberaubendem Tempo Stars, wo es vorher keine gab. Und sie wirft damit auch eine Fairness-Frage auf: Wie viele junge Frauen wie Reif gibt es, die nicht vom Zufall geküsst werden? Wie viele junge Menschen, um deren Aussicht auf Arbeit es schlecht steht, weil sie zu gering qualifiziert sind oder Fähigkeiten gelernt haben, die bald Maschinen übernehmen werden? Ein Symbol ist Pamela Reif auch deshalb. Viele ökonomische Studien legen dar, wie die Digitalisierung neue Ungleichheiten verschärft: Wenige Reiche, Stars, Unternehmer, Spitzenmanager; viele Geringverdiener, immer weniger Jobs im mittleren Einkommensbereich. Alles oder nichts.

Es vergeht derzeit kein Tag, ohne dass irgendwo diese drohende Verschärfung der Ungleichheit diskutiert wird. Man hört sie ständig, die Geschichte einer dramatischen Entwicklung, die Millionen Jobs vernichtet, von Fabrikarbeitern, von Sachbearbeitern, von Programmierern; jetzt stünden nicht mehr nur die Arbeitsplätze von Geringqualifizierten auf dem Spiel, heißt es, sondern auch die Stellen Abertausendender Akademiker.

Die MIT-Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee fragen in ihrem Buch "The Second Machine Age" zwar passend, was heute die modernen Parallelen zu den Rußschwaden über London und der Ausbeutung britischer Kinder zur Zeit der Industrialisierung sind. Aber die beiden Forscher sind aus gutem Grund optimistisch. Das Buch ist auch im dritten Jahr nach Erscheinen hoch aktuell, es macht Lust auf die angeblich so bedrohliche Zukunft. Denn die Furcht vor dem zweiten Maschinenzeitalter gründet auf Prognosen, die weit in die Zukunft reichen und deshalb höchst unsicher sind. Sie lassen offen, ob nicht langfristig die Vorteile des digitalen Fortschritts die Risiken für die Gesellschaft aufwiegen werden. Ob nicht genau das wieder passiert: Dass der Fortschritt absehbar zu einem gigantischen Wohlstandsmotor wird.

Zumindest in der Gegenwart lässt sich bereits beobachten, was in der aktuellen Debatte häufig vergessen wird. Einfach verdeutlichen lässt sich das am Kauf eines Haushaltsgeräts, etwa eines Toasters. Es ist noch nicht lange her, da war es ein Kraftakt, Preise zu vergleichen. Man ging in das Elektronikgeschäft um die Ecke, vielleicht in ein weiteres, und fand jeweils ein Angebot zwischen fünf und 20 Geräten vor. Wie die Preise zustande kamen, ließ sich nicht nachvollziehen. Der Online-Händler Amazon hat heute in Deutschland mehr als 800 Toaster im Angebot - in Konkurrenz zum stationären Handel, und zu ungezählten anderen Versandhändlern, die sich einen heftigen Preiswettbewerb leisten. Den Preis für ein einzelnes Gerät zu vergleichen, kostet nur noch wenige Minuten.

Das hat auch mit der Verbreitung von Smartphones zu tun. Deren Preise sind - auch wegen der ständigen Vergleichbarkeit - im Lauf des vergangenen Jahrzehnts extrem gefallen; heute gibt es die günstigsten Geräte deutlich unter 100 Euro. Sie sind Telefone, aber auch permanenter Zugang zum Wissen der Welt, zu Spitzenforschung, den umfangreichsten Bibliotheken, die es je gab, zu Reiseführern, Restauranttipps, zur Partnersuche, zu zahllosen Programmen, die alle denkbaren Lebensbereiche verändern und vereinfachen. Kurse an einer US-Eliteuni belegen? Kein Problem, geht heute online und kostet nichts.

Vor bald sechs Jahren versuchte der Chefökonom von Google, Hal R. Varian, herauszufinden, wie viel Zeit und damit Geld Konsumenten durch Suchmaschinen sparen. Mit seinem Team trug er Stichproben aus Google-Anfragen zusammen und verglich die durchschnittliche Zeit, die er brauchte, um die Fragen offline zu beantworten, mit der Zeit für eine Suchanfrage im Netz. Nach Varians grober Schätzmethode sparte der Durchschnittsamerikaner 500 Dollar im Jahr allein durch die Leistung von Suchmaschinen.

Selbst in abgehängten Regionen finden Menschen auf einmal wieder Arbeit im Netz

Solche Einsparungen tauchen in der gängigen Wirtschaftsstatistik nicht auf. Und die Liste an Errungenschaften wird ständig länger: Apps wie Mytaxi sparen Fahrgästen die Warteschleife. Vergleichsportale erleichtern Restaurants und Geschäften, sich gegen große Ketten zu behaupten. Verbraucher vergleichen Banken, Versicherungen und Stromanbieter, bevor sie sich entscheiden. Die Qualität von Dienstleistungen steigt, die Preise sinken, weil die Konkurrenz leichter sichtbar ist. Nie waren Märkte so transparent.

Wie die Digitalisierung die Gesellschaft trennt: SZ-Serie - Teil 13 (Foto: SZ-Grafik)

Das gilt auch für den Arbeitsmarkt, auch ihn hat die Digitalisierung längst grundlegend verändert. Wird einerseits vor Jobverlust gewarnt, sind auf der anderen Seite nie gekannte Möglichkeiten entstanden. Friktionen auf dem Arbeitsmarkt - in der Ökonomik sind das Widerstände, die blockieren, dass freie Stellen mit Arbeitslosen besetzt werden - nehmen ab. Arbeitnehmer werden auf Portalen wie Linkedin mit Jobangeboten überrascht: Sehen, und gesehen werden. Arbeitslose in abgehängten Regionen, in denen es kaum noch Jobs gab, haben durch Arbeit im Netz auf einmal wieder eine Perspektive.

Wenn alte Jobs wegfallen, entstehen anderswo neue: Dieser Zusammenhang bleibt; der Schlüssel, den Wandel zu bewältigen, liegt in Bildung und Ausbildung. Jobprofile werden sich verändern; die Zahl derer, die sich ihr monatliches Einkommen aus verschiedenen Tätigkeiten zusammensetzen, nimmt bereits zu. Aber das überhaupt tun zu können, war nie so einfach. Und nicht zu vergessen: Kaum hat man sich versehen, wird man heute berühmt, weil man ein paar Selbstporträts beim Fitnesstraining hochgeladen hat.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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