Serie: Die Angreifer:Geld gegen Daten

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Die Beurteilung der Kreditwürdigkeit ist für Kreditech reine Mathematik. Das Hamburger Start-up hat viele Investoren und große Pläne. Auch einen Börsengang könnte es im nächsten oder übernächsten Jahr geben.

Von Elisabeth Dostert, Hamburg

Die Adresse der Kreditech Holding SSL passt. Ludwig-Erhard-Straße 1. Selbstbewusstsein, Mut und Optimismus, mit dem sich die Gründer in Hamburgs Bestlage eingemietet haben, hätten dem Wirtschaftswunder-Mann gefallen. Die Zinsen, die Sebastian Diemer, 28, und Alexander Graubner-Müller, 26, für ihre Dienste kassieren, wohl nicht. Ihr Anspruch ist ehrgeizig und die Vorbilder groß. Die beiden wollen das Bankwesen revolutionieren. Auf ihrer Homepage zitieren sie Microsoft-Mitgründer Bill Gates "Banking is necessary, banks are not".

Das Geschäftsmodell der 2012 gegründeten Firma: Sie verleiht online Geld gegen Informationen. Auf Basis Tausender Daten, die der Antragsteller preisgibt und das Start-up im Internet abgrast, berechnen die Hamburger die Kreditwürdigkeit. "Einen Kreditantragsteller, der bei Amazon gerade das Buch 'Raus aus den Schulden' bestellt hat und angibt, 3000 Euro im Monat bei einer Bank zu verdienen, dessen Smartphone sich allerdings nie dort aufhält, sondern der sich jeden Morgen mit einem Trunkenbold in der Eckkneipe eincheckt, den lehnen wir mit Sicherheit ab", sagte Mitgründer Diemer einmal in einem Interview. Vom Antrag bis zur Auszahlung dauere es im Schnitt 15 Minuten, erklärte Christian Miele, der für die Erschließung zuständige Direktor, im März der SZ. Datenschützern graut vor so viel Datengier.

Zwei Millionen Kunden hat Kreditech seit der Gründung bedient. Auf Basis der Zahlen für Mai rechne Kreditech in diesem Jahr mit 50 Millionen Euro Umsatz und neu vergebenen Krediten im Volumen von 120 Millionen Euro, sagte eine Sprecherin der SZ. Der Marktauftritt in Deutschland dauerte weniger als einen Monat. Das sei nur ein Test gewesen, um den Investoren zu zeigen, dass das Ding auch läuft.

Derzeit ist Kreditech unter verschiedenen Marken in Polen, Russland, Spanien, Rumänien, Kasachstan und Brasilien vertreten, oft in Ländern, in denen die gesetzlichen Vorschriften für die Kreditvergabe laxer sind, es etwa keine Banklizenz braucht. Kritiker bezeichnen solche Praktiken gerne als Aufsichtsarbitrage. Wer sich beispielsweise in Polen über die Plattform Kredito24 für einen Monat 3000 Zloty leiht, muss am Ende 3900 Zloty zurückzahlen. Das entspricht einem effektiven Jahreszins von 2334 Prozent einschließlich der Bearbeitungsgebühr. Kreditech sei gesetzlich verpflichtet, den effektiven Jahreszins anzugeben, so die Sprecherin. Der aber ja nur rein theoretisch sei, weil die Laufzeit maximal 30 Tage betrage.

Beschwerden von Verbrauchern seien in Polen bisher nicht eingegangen, teilte die Verbraucherschutzbehörde Urząd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (UOKiK) in Warschau mit. Allerdings untersucht sie seit Ende November 2014, ob Kredito24 gegen Verbraucherinteressen verstoße. "Die UOKiK habe sich die Fernsehwerbung und die auf der Internetseite veröffentlichten Informationen angesehen", heißt es auf Anfrage der SZ. Die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen. Zwar dürften die Zinsen das Vierfache des Lombardsatzes der polnischen Zentralbank, er liegt gegenwärtig bei 2,5 Prozent, nicht überschreiten. Für andere Kosten, etwa Bearbeitungsgebühren, gibt es keine Grenzen. Das soll sich ändern. Die Regierung will Verbraucher bessern schützen. Ein Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Begrenzung solcher Zusatzkosten vor. Kreditech will nach eigenen Angaben diese Art der Mikrokredite von 2016 an nicht mehr anbieten.

Das Marktpotenzial scheint nach Darstellung von Kreditech unermesslich, schließlich gebe es weltweit vier Milliarden Menschen, die keinen oder nur einen unzulänglichen Zugang zu Bankdienstleistungen haben. Die Investoren finden Gefallen an den schnellen Typen aus Hamburg. Seit der Gründung hat Kreditech nach eigenen Angaben 260 Millionen Euro Eigen- und Fremdkapital eingesammelt. Gründer und Management halten rund ein Drittel des Kapitals. Zu den Investoren zählen Blumberg, Värde, HPE Growth, Point Nine und, mit einem Anteil von "deutlich unter zehn Prozent", Global Founders GmbH, das Finanzvehikel der Samwer-Brüder. Für deren Start-up-Brutstätte Rocket Internet haben Diemer und Graubner-Müller früher gearbeitet. Im Jargon von Oliver Samwer könnte das Fintech ein "Milliardending" werden. Jedenfalls haben die Gründer die Börse schon im Blick. Ihre Firma gehört zu den Teilnehmern des Deutsche Börse Venture Network, das vergangene Woche offiziell gestartet ist. Die Plattform will junge Unternehmen und internationale Investoren verkuppeln. Ein Börsengang, so die Sprecherin, sei "frühestens 2016 möglich, realistisch aber erst 2017".

Das 2007 von den Südafrikanern Errol Damelin und Jonty Hurwitz gegründete britische Vorbild Wonga hat es auch wegen des schlechten Images bis heute nicht an die Börse geschafft. Kreditech machte zuletzt Schlagzeilen durch einen Datenklau. Die Ermittlungen gegen "Unbekannt", teilt die Hamburger Staatsanwaltschaft mit, laufen noch.

Die Digitalisierung hat die Finanzbranche voll erfasst, immer mehr Start-up-Unternehmen fordern die Banken heraus. In dieser Serie stellt die SZ die Angreifer vor.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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