Serie: Denk doch, wie du willst:Kosmopolit in Kiel

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Die Globalisierung hat ein Imageproblem, findet Ökonom Görg. Er betreibt Forschung, für die er auch mal kritische Blicke von Kollegen erntet.

Von Angelika Slavik

An einem Universitätsgebäude, zumal in einem deutschen, muss die Ästhetik oft hintanstehen. Im Büro von Holger Görg sieht man das sehr schön, es gibt darin ein paar fragwürdige Regale, einen alten Schreibtisch und einen fast schon beeindruckend hässlichen blauen Teppich. "Kaffee haben wir hier leider nicht", sagt Görg. Er lacht. Der Mann nimmt den kargen Schick mit Humor, schließlich hat er neben diesem Büro an der Universität in Kiel, wo er Professor für Außenwirtschaft ist, ja noch einen zweiten Arbeitsplatz, nur ein paar Minuten entfernt: Am Institut für Weltwirtschaft (IfW) leitet er den Forschungsbereich "Internationale Arbeitsteilung". Vereinfacht ausgedrückt konnte man also sagen, Holger Görg widmet sein wissenschaftliches Leben der Globalisierung.

Und ist Globalisierung denn nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Görg macht eine lange Pause. Dann sagt er: "Das kommt darauf an."

Holger Görg, geboren 1970, hatte es sich auch bequemer machen können, in einem Leben mit schöneren Büros und einfacheren Antworten. Vor dem Studium hat er eine Ausbildung bei einer Bank gemacht und eigentlich, so hatte er das geplant, wollte er danach auch wieder zurück in die Finanzbranche. "Vielleicht auch zu einer Unternehmensberatung. Das war die Richtung, die mir so vorschwebte." Aber während des Studiums in Irland entdeckte Görg seine Vorliebe für wissenschaftliches Arbeiten. "Ich mag die Beschäftigung mit den Details", sagt er. "Einem Problem in allen seinen Facetten auf den Grund zu gehen, das reizt mich."

Holger Görg hat eine Ausbildung bei einer Bank gemacht und wollte nach dem Studium eigentlich auch wieder zurück in die Finanzbranche. (Foto: IfW/Studio 23)

Sein erster wissenschaftlicher Forschungsschwerpunkt galt der Rolle der vielen multinationalen Konzerne in Irland. Wie vernetzt sind sie eigentlich mit der irischen Volkswirtschaft und welche Faktoren sind dafür maßgeblich? Die Herkunftsländer der Unternehmen seien dabei entscheidend, das war die zentrale Erkenntnis aus Görgs frühem wissenschaftlichem Wirken: Während die Amerikaner enge Bande mit Irland knüpften, seien etwa europäische Unternehmen starker auf ihre Heimatländer konzentriert und würden externe Dienstleistungen bevorzugt dort einkaufen. Noch heute findet Görg: "Das ist doch spannend."

Mittlerweile hat sich sein Forschungsgebiet verbreitert. Görg versucht heute, die Globalisierung und all ihre Folgen zu erfassen. Die zunehmende internationale Verflechtung habe ihre Vorteile, findet er. Dennoch habe die Globalisierung ein "Imageproblem": Deutschland zum Beispiel sei ein Land, das von der Globalisierung stark profitiere. Dennoch gebe es natürlich auch hier Berufsgruppen, die eher die Nachteile zu spüren bekamen. Görg nennt als Beispiel die Beschäftigten in der Stahlindustrie: "Es ist, im Hinblick auf die globale Arbeitsteilung, nicht sinnvoll, dass Deutschland Stahl produziert", sagt Görg. Wegen der hohen Produktionskosten sei man damit auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig. Doch für die vielen tausend Menschen, die in Deutschland in diesem Bereich arbeiten, sei das natürlich ein Desaster. Für sie habe die Politik weder eine berufliche Perspektive entwickelt, noch habe sie sich ausreichend bemüht, die Dynamik der Weltwirtschaft für die Betroffenen nachvollziehbar zu machen. "Aus meiner Sicht wird hier kommunikativ versagt", sagt Görg. Würde man deutlich machen, warum die Stahlproduktion keine Zukunft habe, und gleichzeitig berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten anbieten, glaubt Görg, stünden viele Menschen der Globalisierung positiver gegenüber.

Dullien ist einer der 36 Ökonomen, den die SZ in ihrem Buch „Denk doch, wie du willst“ vorgestellt hat. Erhältlich im Handel, unter sz-shop.de oder Telefon: 089/21 83 18 10. (Foto: N/A)

Noch drastischer sehe man das Versagen der Politik im Umgang mit der Globalisierung an den afrikanischen Staaten. "Die durfte man nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Man musste sich aktiv darum kümmern, dass die Nachteile der Globalisierung für diese Länder ausgeglichen werden", sagt Görg. Es gelte, eine echte Perspektive für diese Länder zu erarbeiten. Weil all das aber nur unzureichend geschehe, könne er die Argumente vieler Globalisierungskritiker gut nachvollziehen. So gesehen sei die Globalisierung also "eine gute Sache, die aber leider schlecht gemanagt wird."

Unter den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung gibt es Görg zufolge aber auch Berufsgruppen, die man dort nicht unbedingt vermuten würde. "Tendenziell gelten hoch qualifizierte Menschen ja eher als Profiteure", sagt Görg. Dennoch mussten zum Beispiel Ärzte in den USA bereits mit neuer Konkurrenz zurecht kommen: "Röntgenbilder werden immer öfter zur Auswertung nach Indien geschickt", berichtet Görg. Für Mediziner dieser Fachrichtung sei die weltweite Vernetzung also eher nachteilig. Umgekehrt würden dagegen Taxifahrer keine Nachteile durch die Globalisierung erleben. "Die profitieren vielleicht sogar davon, dass die Mobilität der Menschen zunimmt", sagt er.

Görg ist ein Wissenschaftler, der überdurchschnittlich viel veröffentlicht. Die Möglichkeit, mit seiner Forschung an die Öffentlichkeit zu gehen, sei ein Aspekt seines Jobs, den er von Anfang an reizvoll gefunden habe, sagt er. Anders ist das mit dem Unterrichten: Daran habe er sich erst gewöhnen müssen. "Aber heute würde ich es nicht mehr missen wollen. Wissen weiterzugeben ist ein essentieller Bestandteil eines akademischen Lebens."

In seinen Forschungsprojekten beschäftigt sich Görg mitunter auch mit Fragen, die ihm von einigen seiner Kollegen kritische Blicke einbringen. Wie bei einer Studie, die untersuchte, ob sich Korruption, jenseits aller moralischen Fragen, für Konzerne wirtschaftliche lohne. Tut sie das? "Nicht in Ländern, in denen Bestechung ohnehin an der Tagesordnung ist", sagt Görg, "dort verschafft sie ja keinen Wettbewerbsvorteil." Anders sei das in Staaten, in denen Korruption kaum vermutet wird. "Wenn Sie in einem EU-Land bestechen, dann hat das tatsächlich messbare Vorteile auf die Produktivität ihres Unternehmens", berichtet der Forscher. Dass solche Ergebnisse im Wissenschaftsbetrieb nicht von allen gerne gehört werden, bekam Görg deutlich zu spüren: "Wenn man so eine Studie auf einem Kongress präsentiert, gibt es schon ziemlich unfreundliche Nachfragen." Persönliche Überzeugungen lasse er bei seiner wissenschaftlichen Arbeit aber bewusst außen vor - er vertraue ausschließlich auf die Empirie.

In Zukunft wolle er sich in seiner Arbeit noch stärker den sozialen Aspekten widmen. Etwa der Frage, ob und wie der Wohlfahrtsstaat in Zeiten der Globalisierung noch zu finanzieren ist. Ein Thema, das auch durch die vielen Flüchtlinge an Aktualität gewinnt.

Ob er die Entscheidung gegen eine Karriere in der Wirtschaft mal bereut hat, hier in seinem kargen Büro in dem maroden Uni-Komplex? Er wollte einen Beruf, der "ein ganzes Leben lang" zufrieden machen könne, sagt Görg. So einen habe er gefunden. "Da ist es schon in Ordnung, vielleicht weniger als in der freien Wirtschaft zu verdienen."

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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