Schwarzfahrer:Herzklopfen im offenen System

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Seit Juni haben Münchens Schwarzfahrer Grund, nervös zu sein: Mit stärkeren Kontrollen nach Fahrausweisen wollen die Verkehrsbetriebe abschrecken und millionenschweren Einnahmeausfällen entegegenwirken.

Von Barbara Vorsamer

"Herzklopfen hol' ich mir lieber bei meinem Freund", verkündet das braunhaarige Mädchen mit Sonnenbrille. Seit Juni lächelt sie in den Münchner Bahnen und Bussen von Plakaten herunter und warnt vor dem Schwarzfahren.

Haben Sie schon bezahlt? Der jährliche Einnahmeausfall durch Schwarzfahren beträgt bundesweit 250 Millionen Euro. (Foto: Foto: dpa)

Seit Juni haben Schwarzfahrer in München auch Grund, nervös zu sein. Die Münchner Verkehrsbetriebe haben ihre Kontrollen massiv verstärkt. Nach 20 Uhr muss im Bus das Ticket beim Fahrer vorgezeigt werden, und neuerdings fragen neben den Kontrolleuren auch 120 Mitarbeiter des MVG-Serviceteams und die S-Bahnwache nach den Fahrscheinen.

Allein den Münchner Verkehrsbetrieben entgingen wegen Schwarzfahren im vergangenen Jahr Einnahmen von zwölf Millionen Euro. Bundesweit liegt der Einnahmeausfall nach Schätzungen des Verbandes deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bei 250 Millionen Euro. Im Durchschnitt sind drei Prozent der Fahrgäste ohne gültigen Fahrschein unterwegs.

Kein Königsweg

Diese Quote ist seit Jahren konstant, schwankt jedoch stark je nach Region. Besonders in Städten ist sie oft deutlich höher. Deswegen probieren die städtischen Nahverkehrsanbieter immer wieder unterschiedliche Methoden aus, um die Kunden zum Ticketkauf zu bringen. Der Vergleich zeigt: Einen Königsweg gibt es nicht.

Manche Methoden sind nicht neu. In Berlin zum Beispiel müssen Fahrgäste seit April auf allen Buslinien vorne einsteigen, und dem Fahrer das Ticket vorzeigen — wie früher. Nach Angaben von Pressesprecher Klaus Wazlak erhofft sich die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) davon Mehreinnahmen von 4,5 Millionen Euro.

Auch in anderen deutschen Verkehrsunternehmen gehe der Trend zur Vollkontrolle durch den Fahrer, so Friedhelm Bihn vom VDV. Doch löst sie das Problem nicht vollständig. Aus notorischen Schwarzfahrern werden "Graufahrer".

Das heißt, sie kaufen sich das billigste Ticket, zeigen es dem Fahrer beim Einstieg und fahren damit längere Strecken. Diesem Phänomen versuchen die Verkehrsgesellschaften mit den üblichen Stichprobenkontrollen beizukommen.

Schätzungen zufolge hat die Berliner Verkehrsgesellschaft die Schwarzfahrerquote so vom Höchststand zehn Prozent auf drei bis fünf Prozent gedrückt, so Wazlak von der BVG. Eine weitere Methode, zu der die Nahverkehrsanbieter zunehmend greifen, sind Schwerpunktkontrollen an bestimmten Bahnhöfen, bei denen alle Ein- und Ausgänge gleichzeitig besetzt werden.

Diese werden oft mit Hilfe der Polizei oder im Beisein von Medien durchgeführt und sollen Präsenz zeigen und Aufmerksamkeit erregen. Als ebenfalls öffentlichkeitswirksam erwies sich in Leipzig besondere Härte: Schon wer zwei Mal ohne Fahrschein erwischt wird, wird in der Regel angezeigt. Das führte zu fast 10000 Anzeigen im Jahr 2003.

Nach Angaben von Reinhard Bohse, Pressesprecher der Leipziger Verkehrsbetriebe, sei ein deutlicher Rückgang von Mehrfachschwarzfahrern zu verzeichnen. "Unser hartes Vorgehen hat sich wohl herumgesprochen", sagt er.

Anzeige beim zweiten Mal

Eine Anzeige wegen Schwarzfahren wäre juristisch auch schon beim ersten Mal zulässig. Schwarzfahren gilt als "Erschleichung einer Dienstleistung" und ist damit eine Straftat nach Paragraf 265a des Strafgesetzbuches. Es kann mit einer Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr bestraft werden.

In den meisten Fällen beschränken sich die Verkehrsbetriebe jedoch darauf, ein erhöhtes Beförderungsentgelt einzutreiben. In der Regel sind das 40 Euro. Erst bei Wiederholungstätern kommt es zur Anzeige.

Egal ob Vollkontrolle am Eingang, Stichpunktkontrolle in der Bahn, oder Schwerpunktkontrolle am Bahnhof, Kontrollen bleiben in Deutschland die einzige Maßnahme gegen das Schwarzfahren. Geschlossene Systeme mit Schranken oder Barrieren wie im Ausland üblich gibt es nicht.

In Großstädten wie Berlin und München wurde zwar darüber nachgedacht, doch nach Angaben der Verkehrsbetriebe steht eine solche Investition in keinem Verhältnis zum erwarteten Nutzen.

Auch High-Tech wird daran vermutlich wenig ändern. Berlin hat schon einen Feldversuch mit dem elektronischen Ticket hinter sich. Dabei haben die Fahrgäste eine Chipkarte, mit der sie an elektronischen Lesegeräten ein- und auschecken — oder eben nicht.

Die Möglichkeit zum Schwarzfahren bleibt, weiterhin braucht es Kontrollen. Den optimalen Effekt haben Kontrollen, wenn zwei bis 2,5 Prozent der Fahrgäste kontrolliert werden.

Zu dieser Zahl kommen Statistiker, wenn sie die Ausgaben für die Kontrollen mit den Einnahmen durch das erhöhte Beförderungsentgelt und die geschätzten Mehreinnahmen durch den Abschreckungseffekt miteinander verrechnen. Konkreter ausgedrückt: Bei dieser Quote haben die meisten Fahrgäste das Gefühl, dass sich Schwarzfahren nicht rechnet.

Die reale Kontrollquote — das heißt, wie wahrscheinlich es für den einzelnen Fahrgast ist, kontrolliert zu werden — verraten die meisten Betriebe allerdings nicht. Schließlich gibt es auch Schwarzfahrer, die etwas von Statistik verstehen.

© SZ vom 24.08.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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